Der Blick ins Innere

Giuseppe Verdi hat in einem Brief davon gesprochen, dass es in dieser Oper drei Hauptrollen gibt: Macbeth, Lady Macbeth und die Hexen.

Christian Räth: Ich habe während der Vorbereitung für die Inszenierung viel über diesen Aspekt nachgedacht. Für mich haben die Hexen tatsächlich eine zentrale Position, wobei diese sich weniger in einem eigenständigen Leben ausdrückt. Die Bedeutung der Hexen lässt sich für mich nur in Relation zu Macbeth und Lady Macbeth verstehen. Sie sind so etwas wie die Dämonen, die Verführungen, der Ehrgeiz in den Köpfen der Macbeths, die Personifizierung der bewussten oder unbewussten Gedanken und Triebe, die in den Köpfen der Protagonisten wirksam werden oder auch die inneren Kräfte sind, die sie zu ihren Handlungen treiben.

Hexen sind auf einer Bühne besonders schwer darzustellen. Wenn man das Ganze nicht in einer Fantasy-Umgebung oder einer historischen Welt spielen lässt, wirken sie oft deplatziert. Wie lösen Sie das?

Christian Räth: Auch darüber habe ich mit dem Bühnenbildner Gary McCann lange diskutiert und wir haben viele Ansätze angedacht – und wieder verworfen. Letztlich sind wir zu der Überlegung gekommen, dass die Hexen die Verbindung von Macbeth und Lady Macbeth darstellen und die Grundzüge der beiden Protagonisten vereinen und reflektieren sollten. Sie verbinden die „männliche“, militärische Welt von Macbeth und die „weibliche“ Gefühlswelt von Lady Macbeth und lassen daraus ein optisches Amalgam entstehen. Wobei die Kategorien des „Männlichen“ und des „Weiblichen“ in Hinblick auf Macbeth und Lady Macbeth ja ohnehin oft ins Gegenteil verkehrt zu sein scheinen. Was für uns auch sehr wichtig war, ist, dass diese Hexen, obwohl sie nur von Macbeth und von Banquo gesehen werden, dennoch eine sehr starke Verbindung zu Lady Macbeth haben, ja mehr noch: in gewisser Weise eine Vervielfältigung der Figur der Lady Macbeth sind, so dass sich eine optische und spirituelle Verbindung zwischen den Figuren ergibt.

Oft wird darauf hingewiesen, dass Macbeth (anfangs) schwach scheint und Lady Macbeth die (zunächst) treibende Kraft ist. Wie gestalten Sie das Verhältnis zwischen den beiden?

Christian Räth: Auf einer ersten, leicht einsehbaren Ebene ist das Verhältnis klar gezeigt: Er ist ein erfolgreicher Feldherr und sie die Ehefrau, die – wie das in machen Beziehungen ist – mehr will als der Ehemann selbst oder es zumindest offener ausspricht. Schaut man aber genauer hin, untersucht man die psychologischen Konstruktionen der Figuren von Shakespeare und Verdi, dann merkt man bald, dass diese beiden Figuren eigentlich untrennbar sind. Der eine hat das was dem anderen fehlt. Lady Macbeth hat diese unglaubliche Ambition, die Willenskraft, hat aber möglicherweise nicht die körperlichen Mittel ihre Wünsche durchzusetzen noch hat sie im Machtgefüge der sie umgebenden Gesellschaft die entsprechende Position. Und Macbeth hat zwar auch den Ehrgeiz, ist jedoch gleichzeitig zögerlicher, schreckt davor zurück, die Pläne zu verwirklichen. Aber während es am Anfang so scheint, dass Lady Macbeth die Kalte und Berechnende ist, wird sie gegen Ende das Opfer ihrer eigenen Untaten, die sie im Unterbewussten verfolgen und gewissermaßen von innen her zerstören.

Wenn man die schottische Geschichte dieser Zeit überblickt wird erkennbar, dass kaum ein König nicht ermordet wurde. Sind Macbeth und Lady Macbeth in diesem historischen Kontext wirklich so böse oder waren es die Umstände?

Christian Räth: Ich glaube, dass man zwischen den historischen Figuren und den Theater-Figuren unterscheiden muss. Drama und Oper sind viel mehr als eine historische Erzählung und was mich an diesen Stücken besonders interessiert, ist die innere Dimension der Figuren, sind die psychologischen Aspekte. Die Oper erzählt vielleicht eine Geschichte, die früher wie heute alltäglich war/ist, dies aber in einer erhöhenden Weise, sodass Macbeth fast zu einem mythologischen Stoff wird. Darin liegt auch der moderne Gehalt dieser Oper, dass sich nämlich – so traurig es ist – Geschichte immer wiederholt und von Zyklus zu Zyklus neue Macbeths nachkommen.

Verdi und Shakespeare haben die Fakten dargestellt und persönlich nicht gewertet. Wie machen Sie das in der Inszenierung? Stellen Sie Macbeth und Lady Macbeth besonders böse dar oder sind es einfach nur Personen, die etwas Böses tun?

Christian Räth: Die Frage nach dem Bösen ist ja eine der zentralen Fragen, nicht nur in diesem Stück, sondern überhaupt im Leben, in unserer Gesellschaft, quer durch die Geschichte. Für mich ist das immer eine Sache die schwer zu verorten ist: Ist das Böse etwas, was von außen auf uns einwirkt oder etwas, das in uns drinnen ist? Ich persönlich glaube, dass es eher etwas ist, was in uns ist und sich bahnbricht, je nachdem, wie die Verhältnisse sind. Das heißt, wenn man das Glück hat in einer geschichtlichen Situation, in einer Gesellschaft zu leben, die friedlich ist, dann wird das Böse vielleicht in Bann gehalten. Wenn man allerdings die Möglichkeit sieht, durch etwas Böses mehr zu erreichen, weiter zu kommen, sich zu profilieren, dann ist das eine Verlockung, die viele für nachgebungswürdig halten. Und einer solchen Verlockung zu folgen ist, fürchte ich, für mehr Menschen im Rahmen des Möglichen, als man vielleicht meint. Mehr noch: Ich glaube (auch wenn man das nicht verallgemeinern kann) dass ein Sensorium für die Verlockungen und ein entsprechender Ehrgeiz grundsätzlich in jedem vorhanden ist, ein Grundpotenzial, so wie auch das Gute in jedem Menschen angelegt ist. Von daher würde ich sagen, geht es nicht um eine moralische Wertung, sondern um so etwas wie ein „Naturgesetz“, gehört also zum Menschsein dazu.

Folglich kann es für mich nicht bedeutsam sein zu sagen: Macbeth und Lady Macbeth sind wirklich die bösesten Leute, die man sich vorstellen kann, denn viele andere, die wir heutzutage für gut halten, zeigen uns eine gute Fassade hinter der womöglich etwas lauert, was alles andere als gut ist. Einer der großartigen Ansätze bei Shakespeare und Verdi ist, dass wir es mit zwei negativen Helden zu tun haben, die aber eine Faszination ausüben, weil wir in das Innere der Figuren schauen können und diese nach außen hin bösen Charaktere wirklich unsere Identifikationsfiguren werden; dieser Mechanismus, den die Musik und das ganze Stück machen, dreht unsere ganze Wertvollstellungen kopfüber. Das ist es auch, was die Hexen in dem Shakespeare-Drama sagen, „fair is foul and foul is fair“. Das Böse ist das Gute und das Gute ist das Böse, es kommt immer drauf an, was man im Sinn hat. Von daher ist diese psychologische Innenschau der Figuren das Interessanteste an Macbeth.

Oliver Láng


Giuseppe Verdi: MACBETH

Premiere:

04. Okt. 2015 | 18.30

Reprisen:

07. Okt. 2015 | 19.00 

10. Okt. 2015 | 19.00 

13. Okt. 2015 | 19.00 

17. Okt. 2015 | 19.00 

21. Okt. 2015 | 19.00

Besetzung

Alain Altinoglu | Dirigent

Christian Räth | Regie

Gary McCann | Ausstattung

Mark McCullough | Licht

Nina Dunn | Video

George Petean | Macbeth

Ferruccio Furlanetto | Banquo

Tatiana Serjan | Lady Macbeth

Jorge de Leon | Macduff

Jinxu Xiahou | Malcolm

Jongmin Park | Arzt / Diener Macbeths / Mörder

Donna Ellen | Kammerfrau