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Die Frage nach dem Umgang mit Schuld

Berlioz erzählt in seiner umfangreichen, gedichteten Autobiografie, dass er sich als Halbwüchsiger in die Aeneis verliebt habe. Geht Ihre Orest-Zuneigung auf ein ähnliches frühes Motiv zurück? Wie kamen Sie auf den Orest?
Manfred Trojahn: Orest ist vermutlich der Stoff, mit dem ich die kürzeste Lebenszeit verbracht habe, bevor er dann zum Opernstoff wurde. Es war der Intendant der Staatsoper Hannover, Michael Klügl, der mir riet mich mit dem Stück des Euripides zu beschäftigen, als er davon erfuhr, dass ich auf der Suche nach einem Opernstoff sei. Ich habe das dann gelesen und meine umgehende Reaktion war die Ablehnung. Der Schluss dieser Mythenversion ist schon etwas speziell und ich meinte, das ließe sich doch nur mit Countertenor und Knabenchor lösen, in hellblauen Kostümen. Es dauerte dann noch geraume Zeit, bis ich einen Weg zu den Figuren fand, nicht zuletzt auch durch die Dionysos Dithyramben Nietzsches, die dann bei der Gestaltung der Figur des Apollo/Dionysos eine Rolle spielen.

Die Auseinandersetzung mit den antiken Stoffen ist eine Konstante in der europäischen Kulturgeschichte. Was macht ihren Reiz aus? Die mitschwingende Archaik, die eine Zeitlosigkeit schafft? Die verzwickten Fragestellungen von Recht und Unrecht, Schuld, Rache und Pflicht?
Manfred Trojahn: Das Reizvolle scheint mir zu sein, das sie gänzlich zeitlos sind – oder doch dorthin interpretiert werden können. Natürlich hat mein Stück mit einem griechischen Drama nichts mehr zu tun, Orest verlässt Gesellschaft und Götter, um zu sich zu finden – eine völlig zeitgenössische Sicht auf die Notwendigkeiten. Die Grundprobleme in den Mythen sind natürlich die Grundprobleme der Menschheit und von daher kann man fast soweit gehen zu behaupten, es gäbe kein Problem, das sich dort nicht schon formuliert findet.

Diesmal sind Sie Ihr eigener Librettist gewesen. Waren Sie dadurch als Komponist freier? Oder stellt es sich sogar als schwieriger heraus, weil man kein Gegenüber hat? Manfred Trojahn: Ich bin es aus einer Notwendigkeit heraus geworden. Mein idealer Partner, Christian Martin Fuchs, war 2008, bald nach der Premiere unserer Oper La Grande Magia verstorben – eine der zentralen Katastrophen in meinem Leben. Wir hatten noch viele gemeinsame Pläne. Ich habe viel früher auch Claus H. Henneberg durch Tod verloren, mein erster Librettist, mit dem Enrico entstand. Es war weder jemand im Blick, noch hatte ich die Neigung jemanden zu finden – daher war der Schritt, das Libretto selbst zu verfassen, vorgegeben.

Woran hat sich der Librettist Trojahn geschult?
Manfred Trojahn: Oper benötigt eine Kunstsprache; alles was alltagssprachlich ist, taugt nicht dazu gesungen zu werden. Ich denke, auch die Sprache benötigt einen gesteigerten Ausdruck, der die Emotionalität die durch die Musik hinzuwächst, ermöglicht. Natürlich habe ich lesen müssen – da ich mit Oper lebe, gab es natürlich auch einen Fundus dessen, was ich ohnehin kenne. Hofmannsthal war natürlich wichtig, einmal ob der Bezüge die es einfach geben muss wenn man die Fortsetzung von Elektra erzählt, aber auch weil so bedrückend deutlich ist, welche Qualität er hat gegenüber all dem was für Strauss danach kam.

Strawinski prägte den berühmten Satz: „Um etwas zu schaffen, braucht es einen Motor. Und welcher Motor ist mächtiger als die Liebe?“ Ist es die Liebe zu den Menschen an sich, die Sie antreibt?
Manfred Trojahn: Müssen es gleich alle sein?? Ich bin kein Misanthrop, aber die Liebe zu ausgewählten Menschen füllt mich gänzlich aus, die anderen müssen mit meiner guten Erziehung vorliebnehmen.

Sie notieren zum Teil genaue Regieanmerkungen. Wie konkret haben Sie als Komponist die Theater-Umsetzung im Kopf?
Manfred Trojahn: Ich bemühe mich nur das Allernötigste vorzugeben und es ist immer noch zu viel. Ich habe mich mehrfach als Regisseur versucht, um eine Ahnung davon zu bekommen, was in diesen Köpfen vorgeht und ich habe gelernt, dass ich in der Rolle des Regisseurs sehr anders denke als in meiner angestammten Komponistenrolle. Ich habe sehr genaue Vorstellungen, aber als Komponist können die dauernd wechseln, weil ich mir ja leicht etwas vorstellen kann. Der Regisseur muss es realisieren, wird also eine Vorstellung entwickeln. Dadurch werden wir sehr verschiedene Menschen. Ich versuche daher alles so offen wie möglich zu lassen und möglichst alle Richtungsweisungen in den Text zu geben. Aber es gelingt nicht immer und von daher gibt es immer noch zu viele Regieanweisungen …

Steht am Anfang der Arbeit ein Formmodell im Raum? Gibt es so etwas wie eine Uridee? Einen Klang? Eine Art Schöpfungseingebung, die sich Wagner stets so schön herbeidichtete?
Manfred Trojahn: Oper hat sehr viel mit Arbeit zu tun und sicher gibt es von alledem etwas vor oder während der Arbeit. Ich denke, dass Wagner ein begnadeter Nutzer dessen war, das wir heute Marketing nennen. Und es hat ja gezündet. Gegen‚ Schöpfungseingebungen‘ gibt es heutzutage aber gute Therapeuten …

Die Oper fängt mit dem Todesschrei Klytämnestras an – ein Strauss-Elektra-Zitat. Ist Orest eine bewusst gesetzte Auseinandersetzung mit Strauss? Eine Fortsetzung der Elektra-Geschichte oder ein anderer Blickwinkel? Und ist Ihr Klytämnestra- Schrei am Beginn analog zum effektvollen Beginn der Elektra zu sehen?
Manfred Trojahn: Ist ein Schrei ein Zitat? Es ist in Strauss’ Elektra ein realistischer Effekt, es ist bei mir völlig künstlich, kommt sozusagen als Erinnerung an den Mord aus dem Kopf des Orest. Es ist also die formulierte Erinnerung an die Elektra von Strauss/Hofmannsthal was ich da gemacht habe. Und weil die Erinnerung der Leute manchmal so schlecht ist, haben viele sogar das Orchester der Elektra gehört haben wollen – aber da bin ich doch sehr viel bescheidener. Natürlich reflektiert das Stück seine Vorgeschichte, und die ist genial und atemberaubend als Oper erzählt worden. Und natürlich ist die Auseinandersetzung bewusst gesetzt. Es gibt immer wieder Bezüge zum Text der Elektra und es gibt einige wenige Verweise in der Musik.

Wie viel Sympathie gebührt Orest? Und kann man von einem finalen utopischen Funken sprechen, etwa dass Hermione mit Orest geht und Orest seinen Weg geht? Dass vielleicht nicht alles gut, aber zumindest eigenbestimmter wird? Hat die griechische Antike da den Weg in die Aufklärung gefunden?
Manfred Trojahn: Ich versuche doch dem Orest durchaus Sympathisches hinzuzugeben in seinem Kampf darum, seinen Kopf zu ordnen und Besseres zu tun. Ich denke schon, dass Orest eine Lebensleistung vollbringt sich aus dieser Gesellschaft, von diesen Göttern zu entfernen und ich bin der Auffassung, dass er eine Antwort gibt auf die Frage nach dem Umgang mit Schuld, wie sie uns allen auf sehr verschiedenen Ebenen gestellt wird. Auch entfernt er sich von sich, als einem, der in bestimmten Denkmodellen verhaftet ist. Er wird einer, der – vielleicht erst durch das Beispiel Hermiones, oder durch das Erkennen, dass Hermione in ähnlicher Weise sucht – zu seinen Möglichkeiten findet. Dass Hermione mit Orest geht, hat Neuenfels in Zürich absolut in Frage gestellt: Es war ein überzeugender, bewegender Schluss, Orest eben doch allein gehen zu lassen – eine geniale Möglichkeit, wenn ich auch gerade die Stärke der jungen Hermione im Stück dadurch betone, dass sie eben mit ihm geht – wenn vielleicht auch nicht aus Liebe, sondern aus Einsicht, dass gegangen werden muss.

Wieweit sehen Sie die Oper als Auseinandersetzung zwischen Recht/Pflicht und Liebe/Menschlichkeit, wie Orest im 4. Bild sagt? Ist sie eine Absage an die Pläne eines falschen Gottes oder an alle Autoritäten, die einen Weg vorgeben?
Manfred Trojahn: Es wird ja deutlich, dass Orest begreifen zu beginnt, dass es vielleicht nicht nur ein Recht gibt! Dennoch scheint mir das Stück mehr zu sein, als sich an einem solchen Detail festmachen lässt. Am Ende geht es doch um eine deutliche Absage an die angemaßte Autorität. Kommt sie nun aus der Gesellschaft, von der Schwester in ihrem Überlegenheitswahn oder von der Religion.

Die Fragen stelle Oliver Láng


 MANFRED TROJAHN

Manfred Trojahn wurde 1949 in Cremligen bei Braunschweig geboren. Er studierte Orchestermusik in seiner Heimatstadt, später bei Karlheinz und Gertrud Zöller in Hamburg, wo er auch in der Kompositionsklasse von Diether de la Motte arbeitete. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet.

Manfred Trojahn war bis 2017 Professor für Komposition an der renommierten Robert Schumann Hochschule, Düsseldorf und ist Mitglied der Kunstakademien in Düsseldorf, Hamburg, Berlin und München.
Sein Werkverzeichnis umfasst nahezu alle Genres. Seine Arbeiten werden von bedeutenden Solisten, Orchestern und Dirigenten international zu Aufführung gebracht.
Seit der Aufführung der Oper Enrico in Schwetzingen und München 1991 nimmt das Musiktheater eine vorrangige Stellung in Trojahns Schaffen ein. Seine Opern Was ihr wollt (München 1998), La Grande Magia (Dresden 2008) und Orest ( Amsterdam 2011) wurden an zahlreichen internationalen Bühnen produziert. Auch seine Fassung von Mozarts Oper Titus, deren Rezitativtexte er neu komponierte, erlebte Produktionen an zahlreichen Theatern. Manfred Trojahn ist derzeit als Fowler Hamilton Research Fellow am Christ-Church-College in Oxford tätig.


Orest | Manfred Trojahn
Premiere: 31. März 2019
Reprisen 5., 7., 10., 13. April 2019

KARTEN & MEHR 

Einführungsmatinee: 17. März 2019

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