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© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

DAS RÄDERWERK DES SCHICKSALS

Von Wien aus startete Jenůfa ihre Weltkarriere: Ein Meisterwerk, das an der Staatsoper in einer exemplarischen Inszenierung zu erleben ist. Mit Asmik Grigorian und David Butt Philip stehen zudem Interpreten von packender Präsenz und Bühnenintensität auf der Bühne.


»Ihre Jenůfa hat auf mich einen gewaltigen Eindruck gemacht. Selten ging ich aus dem Theater von einem Werk so hingerissen. Sie verstehen es, den Hörer den ganzen Abend wie mit Zangen festzuhalten.« So der Komponistenkollege Otokar Ostrčil 1916, nach der Prager Erstaufführung der Oper, an Leoš Janáček. Gut hundert Jahre später haben die Zangen nichts von ihrer zwingenden Kraft verloren. Egal wann Jenůfa auf den Spielplänen erscheint, der Handlung, den vielschichtigen Figuren und ihren ungeschminkten Nöten kann sich kein Publikum entziehen. Jenůfa: Das ist die Geschichte einer jungen Frau, die in der dörflichen Enge zum Spielball der menschlichen Gewalt, des Egoismus und des Grauens wird. Sie steht zwischen zwei Männern – der eine verletzt sie körperlich, der andere seelisch –, ihre Ziehmutter, die Küsterin, ermordet ihr Kind. Und doch: Jenůfa gibt nicht auf. Wer aber ist sie? Ein Opfer? Eine Ausnahmeerscheinung?

Asmik Grigorian, die erstmals an der Wiener Staatsoper die Titelrolle übernimmt, will sie in keine Entweder-Oder-Kategorie stecken, sondern sieht die Titelheldin als ganz normalen Menschen, als Teil der dörflichen Gemeinschaft. Diese Gesellschaft wiederum, und das ist eine der faszinierenden Stärken der Oper, ist ein Panoptikum des Menschen, auch mit all den Tiefen und Schrecknissen seines Wesens. Und dennoch: David Pountney, der Regisseur der Produktion, die vor 20 Jahren ihre erfolgreiche Premiere feierte, sieht nicht nur das Dunkel, sondern hört in der Musik einen Erlösungsgedanken, der »vom ersten bis zum dritten Akt immer mächtiger wird, sich stets zu steigern scheint.« Und, so Pountney weiter: »Das Schöne an der Oper ist, dass sie eine positive Grundaussage hat. Natürlich hat der Mensch auch negative Qualitäten. Janáček geht an diesen nicht vorbei. Ganz im Gegenteil, er zeigt sie unheimlich klar auf, es gibt ja keine Spur von Sentimentalität in dieser Oper, wie etwa bei Puccini. Trotzdem schafft er es, das Würdevolle überwiegen zu lassen.« Die unbarmherzige Gewalt, die auf Jenůfa einwirkt, findet im Bühnenraum ihren treffenden Ausdruck: »Da stellt Bühnenbildner Robert Israel nämlich ein riesiges Räderwerk auf die Bühne, das nicht Protest, sondern unentrinnbares Schicksal nach antikem Vorbild signalisiert. Und diese fahle Mühle des Schicksals dreht sich gnadenlos«, wie Peter Vujica im Standard anlässlich der Premiere feststellte.

Jenůfa, uraufgeführt im Jahr 1904, ist die dritte Oper des mährischen Komponisten Leoš Janáček – und seine erfolgreichste. Das Werk konnte nach der Uraufführung in Brünn bereits zu Lebzeiten des Komponisten rund 70 Neuinszenierungen aufweisen, der Wiener Operndirektor Gustav Mahler interessierte sich für die Oper, wenn auch allfällige Pläne zu einer frühen Wiener Aufführung von Jenůfa in seiner Ära nicht umgesetzt wurden. Die Oper basiert auf einem Schauspiel der Dichterin Gabriela Preissová, das 1890 in Prag zur Uraufführung kam: Janáček zeigte sich so mitgerissen von dem Stoff und der Darstellung der unverstellten Lebensrealität, dass er bald den Plan zu einer Vertonung fasste. Denn was er für sein Musiktheater suchte, war keine überhöhte Handlung, kein fortgesponnener Mythos. Vielmehr interessierte ihn das Wahre im Menschen, und so kam ihm ein Stück, das voller Authentizität war und – noch dazu – eine Handlung aus jener Gegend erzählte, die der Komponist nur zu gut kannte, entgegen. Die Arbeit an der Musik selbst war von größter privater Tragödie, dem Tod von Janáčeks Tochter Olga, brutal überschattet. »Die Jenůfa möchte ich nur mit dem Trauerflor der langen Krankheit, des Schmerzes und des Jammers meiner Tochter Olga und meines Sohnes Vladimír umwinden«, schrieb der Komponist und widmete das Werk Olga, die, bereits todkrank, ihren Vater beim Komponieren erlebte; die erfolgreiche Uraufführung zu hören war ihr jedoch nicht mehr vergönnt.

Sehr konsequent hat Janáček in dieser Oper seine eigene, ganz persönliche Kompositionstechnik verfolgt und verfeinert. Unabhängig von den großen Schulen entwarf er einen Personalstil, der auf der Melodie seiner Muttersprache fußte. Aus dem gesprochenen Wort entwickelte er einzelne Motive, die das musikalische Klangbild prägten, ja zum grundlegenden Element seiner Kompositionssprache wurden. Aus den Melodien der Worte werden Klang-Bausteine, aus denen sich in kleinen, oftmals wiederholten und  variierten Motiven das Ton-Geschehen bilden. Bis ins Leitmotivische reicht diese Kompositionstechnik, die sich durch ihre Praktikabilität und vielfache Einsatzmöglichkeit auch für psychologische Feinarbeit anbietet. »Überall, wo der Ausdrucksinhalt es zulässt, potenziert Janáček das Wort durch dessen ganze verborgene Fülle an musikalischem Gehalt, schafft so tatsächliche Sprachmelodien und wird zu einem unvergleichlichen Meister der Kunst, in einigen Takten, ja Tönen poetische Schönheiten zum Erblühen zu bringen«, schrieb der Dirigent Jaroslav Vogel in seinem Standardwerk über den Komponisten.

Und auch wenn die Oper immer wieder mit dem Verismo in Verbindung gebracht wird – gerade aus Gründen der Unmittelbarkeit der menschlichen Gefühle und Handlungen, der Auseinandersetzung mit der Gewalt und mit dem unverstellten Leid der »kleinen Leute« – darf man nicht vergessen, dass Jenůfa zuletzt, gerade durch die menschliche Größe und das Verzeihen-Können der Titelfigur, in einer positiven Finalstimmung endet.

Es war die Erstaufführung 1918 an der Wiener Hofoper, die dem Meisterwerk seinen internationalen Durchbruch verschaffte, wenn das Werk auch zunächst (und für lange Zeit) nicht in seiner Originalsprache, sondern in einer deutschen Übersetzung erklang. Mit Maria Jeritza in der Titelrolle – »die beste Jenůfa, die ich je gesehen und gehört habe« – so die Gattin des Komponisten, sicherte man sich auch das Publikumsinteresse, seither ist das Werk auch in Wien ein regelmäßiger Gast im Opernrepertoire.

Die musikalische Leitung dieser Wiederaufnahme übernimmt Tomáš Hanus, der an der Wiener Staatsoper 2017 debütierte und hier die Premiere von Eugen Onegin (2020) sowie Aufführungen von Rusalka und Hänsel und Gretel leitete. Mit Asmik Grigorian in der Titelrolle steht eine Ausnahmeerscheinung auf der Bühne: Eine Künstlerin, die die ihr anvertrauten Partien mit höchster Intensität durchdringt und Charaktere von atemlos machender Bannkraft schafft – sie erlebte das Staatsopern-Publikum bisher als Cio-Cio-San (Premierenproduktion Madama Butterfly, 2020), Tatjana (Eugen Onegin, 2021) und Manon Lescaut (2022). Ein am Haus neuer Name ist David Butt Philip, der als Laca zu hören ist. Demnächst als Walther in der Wiener Meistersinger-Premiere zu Gast, ist der britische Tenor international ein gefragter Name: Salzburger Festspiele, Deutsche Oper Berlin, Royal Opera House Covent Garden, New Yorker Metropolitan Opera, Glyndebourne Festival, Teatro Real in Madrid. Das Ensemblemitglied Michael Laurenz als Štewa sowie die Hausdebütantin Eliška Weissová als Küsterin runden die Besetzung ab. Fünfmal steht Jenůfa im Oktober/November auf dem Staatsopern-Spielplan: Fünfmal die Gelegenheit, eine der Wegmarken des europäischen Musiktheaters der Jahrhundertwende um 1900 (neu) zu besichtigen.

 

JENŮFA
(Wiederaufnahme)
Musikalische Leitung Tomáš Hanus Inszenierung David Pountney
Mit u.a. Asmik Grigorian / David Butt Philip / Michael Laurenz / Eliška Weissová
9. / 12. / 15. / 19. & 23. Oktober 2022
→ Kostenlose Werkeinführung jeweils
eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn
im Gustav Mahler-Saal


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