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© Peter Knutson
© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
Malin Byström als Elisabeth in »Don Carlos«
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Malin Byström als Minnie in »La Fanciulla del West«
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Malin Byström in der Titelpartie in »Salome«

Wiens neue Elsa

Der gelebte Traum

Als 2020, gleich am Beginn der Direktion Roščić, die ehemalige »Skandalproduktion« und mittlerweile geliebte Konwitschny-Inszenierung der französischen Fassung von Verdis Don Carlos nach mehrjähriger Absenz in den Spielplan zurückkehrte, war die Vorfreude und das Interesse groß. Nicht nur, weil das Werk wieder zu erleben sein sollte, sondern auch in Hinblick auf die Besetzung. Denn neben prominenten Publikumslieblingen las man in den Ankündigungen Namen von Sängerinnen und Sängern, denen bereits ein Ruf vorauseilte, die aber an der Wiener Staatsoper noch nie gesungen hatten. So unter anderem jenen von Malin Byström. Die kurz vorher zur Sängerin des Jahres und schwedischen Hofsängerin ernannte Sopranistin debütierte als Elisabeth, und tatsächlich gelang es ihr vom ersten Auftritt, vom ersten Ton an, alle Vorschusslorbeeren in den Schatten zu stellen. Mit ihrem innig-intensiven Porträt der unglücklichen spanischen Königin sang sie sich buchstäblich in die Herzen des Wiener Publikums. Zweieinhalb Jahre später triumphierte sie dann auf dieser Bühne in der Titelpartie der Salome-Neuproduktion von Cyril Teste: Behende changierte sie zwischen der Darstellung eines Mitglieds der arroganten Upperclass, der Verführerin, des Opfers, der von unsagbarem seelischen Schmerz Getroffenen, der um Zuneigung Buhlenden. Ihre gesanglich wie schauspielerisch grandiose Interpretation dieser in der Kindheit traumatisierten jungen Frau auf der Suche nach wahrer Liebe und der Befreiung aus dem sie umgebenden verdorbenen Milieu schrieb sich fest in die Aufführungsgeschichte des Hauses ein. Wieder ein Jahr später begeisterte sie mit ihrer vielschichtigen Charakterisierungskunst in einer gänzlich anderen Rolle: als Minnie in Puccinis Fanciulla del West. Eine hemdsärmelige Wirtin als einzige Frau inmitten der rauen Männergemeinschaft eines amerikanischen Goldgräbercamps. Höhepunkte waren die unter Hochspannung stehende Pokerszene, in der Minnie um das Leben ihres Geliebten spielt, sowie der Moment unter dem Galgen, in dem sie der männlichen Übermacht ihr privates Glück abtrotzt. Aber auch in den weniger dramatischen Momenten dieser Oper vermochte sie die Zuhörerinnen und Zuhörer in den Bann zu ziehen. Ihre Begeisterung am Singen und Spielen auf einer Bühne hatte sie ohne Zutun anderer früh für sich entdeckt. Es war ein Album mit Aufnahmen berühmter Sopranistinnen, das die damals zwölfjährige Malin Byström inspirierte, Rosinas Arie »Una voce poco fa« aus Rossinis Barbiere di Siviglia nachzusingen und zu gestalten. Die dabei aufkommende Freude verwurzelte augenblicklich in ihr den Wunsch, eines Tages selbst Opernsängerin zu werden. Ein Traum, dessen Verwirklichung sie von da an – zunächst heimlich, dann erklärtermaßen – stetig vorantrieb.

Malin Byströms bis heute ungebrochene pure Lust an der theatralen Kreativität begründete von Anbeginn an eine nicht zu unterschätzende Facette ihrer künstlerischen Tätigkeit: Die Bereitschaft, jede Rolle, jede Arie, jedes Detail der Partitur immer neu zu erarbeiten. Es ist geradezu zu ihrem Leitsatz geworden, niemals automatisch auf bereits gefundene Lösungen – seien sie noch so erfolgreich gewesen – zurückzugreifen. Text, Rhythmus, Musik werden vor dem Hintergrund einer Inszenierung von ihr immer wieder neu befragt. Und so bewirkt jeder neue inszenatorische Ansatz, jede zusätzliche Erfahrung neue Schattierungen, Intentionen und Fokussierungen in ihrer Darstellung.

Bei der Auswahl ihrer Partien dient ihr untrügliches Bauchgefühl bis heute verlässlich als Kompass, der sie durchaus auch ermuntert, Wagnisse einzugehen. So bot sich der zunächst als Mozart-Interpretin gefragten Byström eines Tages die Möglichkeit, die Titelpartie in Strauss’ Arabella an der New Yorker Metropolitan Opera zu singen. Dass sie bis dahin noch keine Strauss-Rolle und schon gar nicht die Arabella in ihrem Repertoire hatte, war den Veranstaltern nicht bewusst. Musste es auch nicht werden. Byström lernte die Partie in Windeseile, absolvierte die knapp bemessene Probenzeit von zwei Wochen und reüssierte in einem für sie damals neuen Fach.

Wohin die Reise bezüglich weiterer Rollen gehen soll, möchte sie noch offenlassen. Derzeit fühlt sich Malin Byström im lyrisch-dramatischen Spektrum sehr wohl – durchaus auch im von ihr geliebten italienischen Repertoire, insbesondere bei Verdi. Um sich einerseits ihre lebendige Freude am Beruf und andererseits die Balance zum echten Leben außerhalb des Theaters zu bewahren – nimmt die dreifache Mutter pro Jahr bewusst nur zwei bis drei neue Rollen zusätzlich auf. Voriges Jahr war dies beispielsweise die Elsa, die sie erstmals in Amsterdam sang und nun unter Christian Thielemann bei der von Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenierten Lohengrin-Premiere zum Besten geben wird.


»Es ist eines der Merkmale von Meisterwerken, dass sich ihre Interpretation nicht in einer Sichtweise erschöpft.«

Erste Gedanken zu meiner neuen Elsa

Gute Inszenierungen können etwas in einem öffnen. Das gilt gleichermaßen für das Publikum, das eine Vorstellung mitverfolgt, wie für uns Mitwirkende auf der Bühne. Als Sängerin empfinde ich es sogar als unabdingbar, immer neue Perspektiven kennen zu lernen, aus der eine Geschichte erzählt wird. Schon allein, um der Routine zu entgehen und den Zugang zu meinen Bühnenfiguren lebendig zu halten. Es ist schließlich eines der Merkmale von Meisterwerken, dass sich ihre Interpretation nicht in einer Sichtweise erschöpft. Was gibt es Schöneres, als an einer Rolle unentwegt weiterzubauen, weiterzugestalten? Meine Elsa hier im Wiener Lohengrin wird folgerichtig ein zum Teil ganz anderer Charakter sein als im vergangenen Herbst in Amsterdam. Ich finde es hochspannend, dass sie diesmal, von der Tradition abweichend, nicht als die zu Unrecht verklagte Reine gezeigt wird, sondern ein Geheimnis besitzen darf. Ein dunkles Geheimnis, das leider ihrer Gegenspielerin Ortrud ebenfalls bekannt ist. Jedenfalls ist Elsa hier weniger die passive Frau als eine, die Massen zu manipulieren versteht. Und sie kann jene patriarchalen Strukturen nicht akzeptieren, die ihr, der Älteren von zwei Geschwistern, den Zugang zur Macht verwehren, nur weil sie eine Frau ist – auch wenn das früher üblich war. Das ist für mich ebenso plausibel wie ihre daraus folgende, bis zur letzten Konsequenz geführte Gegnerschaft zu ihrem Bruder. Dieser Paradigmenwechsel in der Schilderung der Geschichte wird natürlich elementare Auswirkungen darauf haben, wie ich meinen Text ausdeute, wie ich bestimmte Passagen singen werde. Anders als bisher, so viel steht fest. All das ändert für mich aber nichts am märchenhaften Charakter der Geschichte und an der Ehrlichkeit von Elsas Liebe zu Lohengrin. Dass sie in der wunderbaren Brautgemachszene im dritten Aufzug, die für mich aufgrund der Dramatik schauspielerisch und sängerisch einen Glücksfall darstellt, die berühmte verbotene Frage nach seiner Identität stellt, konterkariert die ursprüngliche Liebe nicht. Keine Beziehung ist durchgehend problemlos, Fragen zu haben und diese zu stellen sind Zeichen einer Mündigkeit. Die Sicht der beiden Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito auf das Werk ist für mich ebenso neu und überraschend wie schlüssig. In ersten Vorproben konnte ich mich über einige Fragen bereits mit ihnen austauschen, manches Detail wird dementsprechend von der ursprünglich gezeigten Version der Produktion bei den Salzburger Osterfestspielen abweichen. Das meiste wird sich aber natürlich erst im Laufe der eigentlichen gemeinsamen Arbeit herauskristallisieren, die ein höchst interessanter Prozess zu werden verspricht.