Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik
© Getty Images

»WERDE ICH ES FINDEN?«

Seit Manon Lescaut (1893) lief Giacomo Puccinis Karriere wie auf Schienen. Zugleich quälte der Komponist sich und seine Librettisten mit Selbstzweifeln und der oft jahrelangen Suche nach dem richtigen Sujet. Im Fall von Il trittico vergingen vierzehn – einigen Interpretationen zufolge sogar achtzehn – Jahre von der Idee bis zur Uraufführung. Die Eigenarten der geplanten Trilogie begannen erstmals im Jahr 1904 konkrete Gestalt anzunehmen, als Giacomo Puccini die Werke Maxim Gorkis beschäftigten.

Beitrag von Nikolaus Stenitzer

Am 28. Juni 1904 – »um ein Uhr nachts« – schreibt Giacomo Puccini einen relativ langen Brief an Valentino Soldani. Dieser Brief ist ein großer Glücksfall für das Verständnis von Puccinis bis heute außergewöhnlichem Werk Il trittico. Bei näherer Betrachtung ist er aber noch deutlich mehr, denn zwischen Erwägungen und Bewertungen von Sujets und Autoren und Äußerungen künstlerischer Verzweiflung enthält der Brief ein fragmentarisches Manifest von Puccinis Musiktheater.
Valentino Soldani war zu diesem Zeitpunkt in erster Linie als Autor historischer Dramen bekannt, später sollte er sich als Filmproduzent und -autor einen Namen machen. Der Durchbruch war ihm mit dem dramma storico I Ciompi (1903) gelungen, und offenbar hatte er dieses Werk auch Puccini als Opernstoff vorgeschlagen, ebenso wie ein anderes historisches Drama, Calendimaggio (1901). In seinem Brief lobt Puccini Calendimaggio, schränkt aber zugleich ein, dass ihm eigentlich etwas anderes vorschwebe, das er nicht richtig erklären könne. Er sucht etwas »Moderneres«, schränkt aber ein: »forse«, »vielleicht«, er weiß nicht recht. Und habe er, Soldani, eigentlich Pelléas et Mélisande von Maeterlinck gelesen? Oder irgendetwas von Gorki?
Es ist erstaunlich, wie freimütig der Komponist dem Autor, der ihm gerade eigene Stücke vorgelegt hat, rät, die Werke anderer Autoren zu lesen. Aber aus dem Brief ist die Fieberhaftigkeit der Suche Puccinis nach Stoffen zu spüren. Er klagt, er erlebe eine Zeit der Nervosität, die ihm den Schlaf raube, weil er nicht das finden könne, was er suche. Was aber wäre das? Vielleicht so etwas wie La bohème, schreibt Puccini weiter, »das Tragische und das Sentimentale, mit dem Komischen vermischt.« Aber auch wieder anders, in einem anderen Rahmen und auch anders abgestimmt: 

»Weniger süße Sentimentalität
und mehr herzzerreißende Dramatik.«

Er schreibe zusammenhangslos, klagt Puccini zum Ende des Briefes, »mit brennendem Kopf und verlorener Seele, verzweifelt auf der Suche nach dem, was ich will und nicht benennen kann! Ich sehne mich nach etwas Großem, etwas Neuem, etwas nie Gesehenem – werde ich es finden?« Dem Komponisten ist das Pathos sichtlich nicht fremd, aber die Verzweiflung seiner Suche erscheint glaubwürdig.
Im intensiven Briefwechsel mit Luigi Illica, dem langjährigen Wegbegleiter, der mit Giuseppe Giacosa die Libretti zu La bohème, Tosca und zuletzt Madama Butterfly geschrieben hatte und, ebenfalls zusammen mit Giacosa, schon an Puccinis erstem Welterfolg Manon Lescaut beteiligt gewesen war, ist der Ton knapper, pragmatischer, man kennt sich. Puccini schlägt hier vor und verwirft dort, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Die Erstfassung der Madama Butterfly war am 17. Februar 1904 im Teatro alla Scala uraufgeführt worden; etwa drei Wochen danach, am 10. März 1904, schreibt Puccini an Illica, er habe ihm »einiges zu Poe, Kipling, Gorki« geschickt. Es ist der Beginn einer musiktheatralen Expedition, die erst vierzehn Jahre später mit der Uraufführung des Trittico an der Metropolitan Opera in New York an ihr unvorhersehbares Ziel kommen sollte.
Die Korrespondenz zwischen Illica und Puccini konzentriert sich bald auf Maxim Gorki. In den Novellen und Erzählungen des russischen Dichters findet Puccini etwas, das ihn anspricht. Er liest auch Novellen von Tolstoi und Turgenjew, wie er an Illica schreibt, aber bei beiden findet er nicht den besonderen Ton, der ihn an Gorki anzieht.
Warum Puccini Gorkis frühe Dramen nicht in Betracht zieht, ist unbekannt, zumindest von Nachtasyl war seit 1903 eine italienische Übersetzung verfügbar. Eindeutig geht aus den Briefen die zunehmende Faszination des Komponisten für die Idee hervor, drei unterschiedliche Geschichten zu einem Werk zu verbinden – vielleicht sieht er hier die Möglichkeit, etwas »Neues, noch nie Gesehenes« zu schaffen. Die Briefe zwischen Illica und Puccini aus dem Jahr 1904 zeugen davon, wie Ideen entstehen und vergehen, wie Kombinationen erwogen und wieder verworfen werden und wie zunehmend die Schwierigkeiten deutlich werden, die das spektakuläre Projekt des späteren Trittico mit sich bringt. Luigi Illica empfiehlt die Kombination von Gorkis Novellen Der Khan und sein Sohn und Die Holzflößer mit der Erzählung Sechsundzwanzig und Eine. Um die Holzflößer ringen die beiden eine Weile; Illica macht sich offenbar besonders stark für das Sujet, Puccini konstatiert Schwierigkeiten für die szenische Umsetzung. Sein Gegenvorschlag ist Makar Tschudra, die erste Erzählung, die Maxim Gorki veröffentlicht hatte (1892). Zwischenzeitlich ist sogar schon ein Titel für die Trilogie gefunden: Racconti della steppa, nach dem Erzählband, der 1903 bei Salvatore Romano in Neapel erschienen ist. Aber auch die neue Kombination will sich nicht recht fügen. Den Grund dafür macht Puccini nicht explizit, aber indirekt hat er ihn schon einmal formuliert: Von jenen Elementen, die Puccini im Brief an Soldani für die Bohème beschreibt und aus denen sich schließlich, Jahre später, auch tatsächlich der Trittico fügen wird, sind das »Sentimentale« und das »Tragische« in Maxim Gorkis Texten fast im Überfluss zu finden. Aber die Mischung mit dem Komischen ließ sich aus dem Werk des späteren sowjetischen Staatsdichters, der sich das Pseudonym »Der Bittere« gewählt hatte, nicht herstellen. Sechsundzwanzig und Eine erzählt die Geschichte von sechsundzwanzig Bäckern, die in einem lichtlosen, stickigen Keller ihrer Arbeit nachgehen. Die einzige Freude dieser als schmutzig und von Krankheiten geplagt beschriebenen Gestalten ist das tägliche Erscheinen des Stubenmädchens Tanja – die »Eine« –, das sich mit Bäckerei beschenken lässt. Die idealisierte Tanja lässt die vom Erzähler als völlig abgestumpft und verroht gezeichneten Arbeiter zeitweise sanfter und freundlicher werden. Als Tanja von einem neuen Brötchenbäcker, einem ehemaligen Soldaten, verführt wird, zerbricht das Idealbild, die Bäcker beschimpfen und verfluchen Tanja und verlieren den einzigen Lichtblick in ihrem fortan vollkommen eintönig stumpfen Dasein. Die kurze Novelle Der Khan und sein Sohn ist eine Fabel auf Liebe und Macht – die beiden titelgebenden Figuren, ein tatarischer Khan und sein Sohn, lieben dieselbe Frau. Der Konflikt kann nur durch einen rituell anmutenden Mord an der Frau gelöst werden – der Khan, der das nicht erträgt, tötet sich ebenfalls, der Sohn folgt ihm als Khan nach.
Die von Luigi Illica als dritter Teil vorgeschlagenen Holzflößer weisen eine ähnliche Konstellation, aber einen anderen Ausgang auf. Die Novelle, die atmosphärisch dem Tabarro, dem ersten Teil des finalen Trittico, verwandt ist, spielt auf einem Fluss, auf dem Silan Petrow und sein Sohn Mitrij als Holzflößer arbeiten. Silan hat Mitrij gegen seinen Willen – er macht sich nichts aus Frauen – mit der lebenslustigen Marja verheiratet, die anschließend, von Mitrij verschmäht, die Geliebte Silans geworden ist. Aus dieser demütigenden Situation will Mitrij, wie er dem Ruderknecht Sergej erklärt, durch Flucht entkommen, doch die Erzählung suggeriert, dass der Ausweg aus der Situation ein tragischer sein wird.
Puccini wies diesen Stoff Illica gegenüber in einem kurzen Brief vom 24. September 1904 mit den Worten »Ich bestehe auf den drei Farben« zurück – verständlicher- und richtigerweise. Die Verbindung der beiden scheinbar gesetzten Stoffe mit den Holzflößern hätte das Werk zu einer Palette von Grau- und Schwarztönen werden lassen. Puccinis Vorstellung scheint sich an dieser Stelle zu verdichten, auch wenn sie mit dem Versuch, die dritte Farbe in Makar Tschudra zu finden, noch einmal in einer Sackgasse gerät. Die Novelle, in der der alte Rom Makar Tschudra eine Geschichte aus der Bukowina über den Dualismus von Freiheit und (Liebes-) Abhängigkeit erzählt, ist im Ton viel leichter als etwa Die Holzflößer und enthält auch komische Szenen. Das Fazit der Geschichte – für einen freiheitsliebenden Mann steht die Freiheit immer an erster Stelle, noch vor der Liebe – ist aber eng an den tragischen Ausgang der Novelle mit zwei Todesopfern gebunden. Vielleicht ist Puccini im Laufe der Auseinandersetzung klar geworden, dass Gorkis Erzählung eine Abänderung des Endes nicht unbeschadet überstanden hätte, jedenfalls kam er von der Idee, Makar Tschudra als dritten Teil zu wählen, wieder ab. Darum drängte er Illica auch immer wieder, Maxim Gorki direkt zu kontaktieren – der russische Dichter sollte den fehlenden dritten Teil neu schreiben. Im Oktober 1904 schreibt Puccini noch einmal, es sei die Rede von einer außerordentlichen Komödie Gorkis, die bisher nur in Russland und Lemberg aufgeführt worden sei (vermutlich Sommergäste), und schlägt vor, danach zu suchen, aber die Idee scheint nicht weiterverfolgt worden zu sein. Puccini war ständig auf der Suche nach neuen Sujets und verfolgte viele Spuren gleichzeitig – in der Gorki-Phase beschäftigten er und Illica sich etwa mit einer Oper nach Victor Hugos Notre Dame de Paris, mit Soldani wurde eine Margharita di Cortona erwogen. Keines dieser Projekte wurde verwirklicht, aber auch die Idee der Gorki-Trilogie verschwindet wieder von der Bildfläche. Eine Beschäftigung Puccinis mit Oscar Wildes Florentinischer Tragödie im Jahr 1906 kann noch als Versuch interpretiert werden, das dritte Kapitel außerhalb von Maxim Gorkis Universum zu finden, danach tritt das Projekt für lange Zeit in den Hintergrund. Die einander ergänzenden Stoffe mit verschiedenen Farben bringt Puccini dann etwa in einem Brief an Sybil Seligman wieder zur Sprache, der vermutlich Anfang 1912 geschrieben wurde. Hier schreibt der Komponist, etwas Heiteres gefunden zu haben (vermutlich Anima Allegra, ein Libretto Adamis, das schließlich Franco Vittadini vertonen sollte) und nun auf der Suche nach dem kontrastierenden »Leid, Leid, Leid« zu sein. Als Puccini im Mai 1912 in Paris eine Aufführung von Didier Golds Schauspiel La Houppelande sah, war es – wie zuvor mit Belascos Madame Butterfly und The Girl of the Golden West – ein Theatererlebnis, das ihn davon überzeugte, den richtigen Stoff gefunden zu haben. Hier stand ihm das tragische Element, die düstere Farbe, die er gesucht hatte, deutlich vor Augen. Es ist interessant, dass sich in dem Drama, das zu Il tabarro werden sollte, tatsächlich Elemente finden, die Puccini schon in den schließlich nicht zum Zug gekommenen Gorki-Erzählungen gefunden hatte: Wie in Der Khan und sein Sohn und auch in den Holzflößern geht es um eine Dreiecksgeschichte zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann und einer jüngeren Frau. Mit den Holzflößern hatte La Houppelande sogar die Szenerie auf dem Wasser gemeinsam. Die Bitterkeit des Löschers Louis / Luigi schließlich erinnert an die Kellerbäcker in Sechsundzwanzig und Eine. La Houppelande hatte gegenüber Gorkis Erzählungen allerdings den großen Vorteil genuin theatraler Qualitäten: Eine spannungsreiche Dramaturgie und gut ausgearbeitete Dialoge, außerdem viele kleine Details und Nebenschauplätze. In dem eingangs zitierten Brief an Soldani schrieb Puccini über die Notwendigkeit, im Musiktheater zu »lyrisieren« und zu »poetisieren«: »Man muss sich gewisse kleine Situationen zunutze machen, die dann musikalisch groß werden und die im Schauspiel vielleicht quasi unbedeutend wären…« Diese kleinen Situationen, sogenannte »controscene«, hatten etwa schon in La bohème in jener Vielfarbigkeit resultiert, die sich Puccini in seinem Brief als Objekt seiner Suche beschrieb. Dass La Houppelande diese Qualität mitbrachte, muss zu seiner Entscheidung für den Stoff beigetragen haben.
Die Entdeckung der gesuchten »tragischen« Farbe änderte den Umgang mit dem Trittico-Projekt (das Puccini selbst nie mit diesem Titel bezeichnen wollte): Nun wurden – nach einer Unterbrechung, die La rondine (UA 1917) geschuldet war – jene Farben gesucht, die den Tabarro ideal ergänzen würden. Damit schlug die Stunde des noch relativ unbekannten Giovacchino Forzano, der Puccini mit Gianni Schicchi (nach einer Episode aus Dantes Inferno) und seinem eigenen Szenario Suor Angelica zu überzeugen vermochte. Mit der Uraufführung in New York am 14. Dezember 1918 endete schließlich die abenteuerliche Expedition, die Puccini von der Krim über die Bukowina bis an die Seine, ins mittelalterliche Florenz und in ein toskanisches Kloster führen sollte.