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Wenn aus Hass Liebe wird

Gaëlle Arquez debütiert in der Titelrolle von Armide

"Irgendwo, in einem fremden Land, weit, weit weg …“ so märchenhaft könnte der Beginn einer Biografie Gaëlle Arquez’ lauten, in dem auf den Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn verwiesen wird. Denn die französische Mezzosopranistin verbrachte tatsächlich einen Teil ihrer Kindheit in Afrika an der Elfenbeinküste und somit in einem komplett anderen Kulturkreis, in dem die klassische Musik, wie sie in Europa verstanden wird, wenn überhaupt, dann eine importierte Randerscheinung darstellt. Doch eine mit der Familie Arquez befreundete zugewanderte Klavierlehrerin, die auch noch ihr persönliches Instrument mitgebracht hatte, ermöglichte der sechsjährigen Gaëlle trotzdem eine entsprechende regelmäßige Unterweisung. Eine Unterweisung, die Früchte trug und das musikalische Talent des damals kleinen Mädchens zum Vorschein brachte. Jahre später – die Familie ist längst wieder nach Frankreich zurückgekehrt – erkennt die inzwischen zur professionellen Pianistin herangereifte Gaëlle Arquez, dass sie zwar von der Bühne magnetisch angezogen wurde, jedoch nicht als Instrumentalistin, sondern als Sängerin, die den direkten Kontakt mit dem Publikum sucht und genießt. „Als Pianistin“, so die junge Sängerin, „schuf ich mir auf dem Podium eine eigene Welt um mich herum, gewissermaßen eine Blase, von der ich hoffte, dass sie die Menschen im Zuschauerraum erreicht. Als Sängerin kann ich hingegen jeden einzelnen und jede einzelne direkt ansprechen, sehe die Reaktionen, ja, es entsteht gewissermaßen ein unsichtbares Band, über das ich die Herzen der Zuschauer erreichen kann. Und ganz allgemein: ich liebe das Theater, ich liebe diese Welt, in der eine Geschichte erzählt wird und man das Publikum in eine andere Welt mitnimmt.“

Da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, kam zum Klavier- und Gesangsstudium auch noch jenes der Musikwissenschaften hinzu, was zu einer ungemeinen Horizonterweiterung führte: Ethnomusikologie, Jazz, Musik des Mittelalters und der Neuzeit, zeitgenössische Musik – mit jedem Tag an der Universität brachen für Gaëlle Arquez überholte Klischeevorstellungen zusammen und ließen in ihr den Grundsatz erhärten, das Leben lang die künstlerischen Grenzen weit und offen zu halten. Das auf diese Weise gewonnene Wissen ermöglicht Gaëlle Arquez einen sehr unmittelbaren Zugang zu den unterschiedlichsten Stilrichtungen, sodass die Breite ihres Repertoires, das vom Barock über Mozart, Verdi, Debussy bis ins 21. Jahrhundert hineinreicht, nicht weiter verwundert.

Nach Stationen an ersten Häusern wie in Paris, München, Brüssel oder Berlin, folgt nun im Oktober ihr Debüt an der Wiener Staatsoper. Und es ist für die Sängerin sogar gleich eine doppelte Premiere, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Partie von Christoph Willibald Gluck verkörpert. Dass es sich gleich um eine der gewaltigsten Gluckpartien handelt – der Inhalt und das musikalische Geschehen sind komplett auf die Titelpartie hin fokussiert, die sich mit Ausnahme des vierten Aktes fast durchgehend auf der Bühne befindet und vom Komponisten mit einem Füllhorn an Musik bedacht worden ist – verdoppelt ihre Freude an dieser Aufgabe. „Mit der Musik von Gluck, die das Barock bereits hinter sich gelassen hat und Mozart in manchen Aspekten antizipiert, war ich rasch vertraut, die musikalisch detailreiche Zeichnung der unterschiedlichsten Facetten von Armides Psyche beziehungsweise Seelenzustände haben mich zudem zutiefst fasziniert und das exquisite Libretto, dieser unnachahmlich herrliche Text Philippe Quinaults tat das Übrige: ich versenkte mich von Anfang an in die Rolle“, erklärt Gaëlle Arquez nicht ohne hinzuzufügen, dass die Perfektion mit der die Musik der Emotionalität des wunderbaren Textes folgt, alle Sprachbarrieren überschreitet und eine Übersetzung für das nicht französischsprachige Publikum fast obsolet macht.

Die größte Herausforderung sieht sie in der inneren Verwandlung, die aus der hassenden und auf Vernichtung programmierten Armide eine Liebende macht. „Dass sie sich verlieben könnte, war ja nicht eingeplant. Armide ist sich ihrer Macht bewusst, die sie auf Männer ausübt, sie weiß, was sie tun muss, um beim Gegner Liebe zu evozieren. Doch plötzlich verliert sie die Kontrolle und entbrennt selbst in Liebe zu ihrem größten Feind, zu Renaud. Sie weiß nicht, was Liebe ist, aber sie merkt, dass etwas Neues über sie hereingebrochen ist. Für die Interpretin ist das keine psychologisch leichte Reise, die da beschritten werden muss, aber Glucks Musik und Quinaults Text führen einen durch die Klippen dieser Verwandlung, man muss nur der Partitur trauen“.

Als am ersten Probentag klar wurde, dass Armide in dieser Produktion keine Frau, sondern ein als Frau verkleideter junger muslimischer Soldat sein soll, war sie zunächst natürlich überrascht. Doch nachdem sie das Libretto sowie das der Oper zugrundeliegende Epos von Torquato Tasso, also Das befreite Jerusalem, unter diesen geänderten Vorzeichen betrachtet, erkannte sie, dass die Geschichte auch in dieser Lesart durchaus funktioniert und wurde nun für die anstehende Inszenierung als schöne Frau zu einem jungen Mann der sich als schöne Frau verkleidet, gewissermaßen ein Gluck’sches Mariandl – mit dem Unterschied, dass am Ende kein Happy End, sondern, die Verzweiflung des Zurückgewiesenen stehen bleibt.

Andreas Láng