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Tickets für »Le nozze di Figaro«

Michael Nagys Debüt an der Wiener Staatsoper als Graf Almaviva im Zuge der Mai-Serie von »Mozarts Le nozze di Figaro« wird nicht von ungefähr mit großer Spannung und Vorfreude erwartet. Schließlich hat sich der deutsche Bariton mit ungarischen Wurzeln weltweit in einem breiten Repertoire mit maßstabsetzenden Rollenporträts profilieren können. Gewissermaßen als Auftakt zu dieser Aufführungsreihe bringen wir das folgende Gespräch, das Andreas Láng mit dem Sänger knapp vor Ostern geführt hat.


Jean-Pierre Ponnelle, dessen Figaro-Inszenierung nun ein letztes Mal über die Bühne gehen wird, nannte Mozart einen dämonischen Intellektuellen. Und Nikolaus Harnoncourt meinte, dass Leopold Mozart irgendwann zur erschreckenden Erkenntnis gelangt sein musste, keinen Sohn, sondern ein Krokodil aufgezogen zu haben.

MICHAEL NAGY: (lacht) Diese beiden Äußerungen umreißen im Grunde genau jenes Universelle, das das Genie Mozart ausmacht. Seine Persönlichkeit war ohne Zweifel eine extremistische hinsichtlich der Möglichkeiten zur Ausdehnung ins Helle wie ins Dunkle – wobei ich die dämonische Seite zum Beispiel im Giovanni deutlicher, im Figaro weniger ausmache. Auf jeden Fall bin ich bin mir ganz sicher, dass Leopold Mozart mit der Erziehung respektive dem Versuch einer Formung dieses Knaben durchaus überfordert war. Er erkannte ein Genie, das im sozialen Gefüge nicht recht funktionierte, und so war die Idee naheliegend, ihn auf die musikalische Schiene zu schieben, um eine offensichtlich greifbare Ecke zu packen, um diese Persönlichkeit irgendwie zu kanalisieren.


Verdi, Shakespeare, aber auch Mozart wird nachgesagt, dass sie selbst ihre furchtbarsten Bühnenfigu- ren nicht verurteilen. Sollte der Interpret, zumindest in den Werken der Genannten, dieser Idee folgen?

MICHAEL NAGY: Ich finde eine moralische Bewertung von fiktiven Kunstfiguren auch seitens der Ausübenden überaus müßig. Entsprechend wohltuend ist ja, wenn nicht nur Komponisten, Dramatikerinnen, Librettisten, sondern auch Interpretinnen und Interpreten ihre Figuren aus der Mitte kommen lassen, aus einem Zentrum des Menschlichen, und so das Innere eines Charakters erlebbar machen. Als Sänger muss ich mir den künstlerischen Arbeitsweg leisten, zum Kern einer Kunstfigur vorzudringen. Der Figaro-Graf ist beispielsweise zweifelsohne ein diffuser, mitunter sehr kontroverser Charakter, dessen Bestandteile man in sich vielleicht nicht alle entdeckt. Das Spannende ist dann, über die musikalische Zeichnung der Figur einen Zugang zu finden und ein humanes, ganzheitliches, denkendes, fühlendes Wesen zu kreieren. Man kann auf diese Weise eine Erzählung, Aspekte eines Charakters lenken, einfärben, man kann Ideen implantieren beziehungsweise auf den Weg bringen, aber die Be- und Verurteilung obliegt den Rezipienten, sprich dem Publikum – nicht uns, die wir auf der Bühne stehen.


Die Aufführungspraxis war in den letzten 50 Jah- ren bei den Werken Mozarts vielleicht einem größeren Wandel unterworfen, als das bei den meisten Komponisten der Fall war. Dies hat zu einer großen Stilpluralität geführt. Wie kommt man heute auf einen gemeinsamen Nenner, wenn man sich daran macht, ein Werk zu erarbeiten und die meisten Mit- wirkenden einen je anderen Zugang mitbringen?

MICHAEL NAGY: Die Antwort gibt Leopold Mozart, der sinngemäß meinte, dass dieses Komponistenwesen Mozart von einer derart überbordenden Innovationskraft war, einer Unerschrockenheit und Vielfalt, dass eine Aufführung seiner Werke nur dann zielführend wäre, wenn diese Reichhaltigkeit auch hörbar gemacht würde. Mit anderen Worten: Mozart zu einer einseitigen Spezialistenmusik – welcher Art auch immer – zu degradieren, wäre fatal und verkehrt. Der Grundgedanke in Mozarts Opern, Symphonien, in seiner Kammermusik ist Interaktion. Und je mehr Eindrücke, Einflüsse, Frische, Innovation durch alle Beteiligten zusammenkommen, desto gerechter werden wir dem Genius Mozart. Alles andere wäre Stillstand und bestenfalls analytische Wissenschaft.


Nach Viktor Frankl ist die Sinnfindung die zentrale Überlebensstrategie des Menschen. Ist der Gesang der Sinn Ihres Lebens?

MICHAEL NAGY: Es ist auch der Gesang, aber hauptsächlich die Musik. Das war für mich vielleicht eine der bittersüßen Erkenntnisse in den Corona-Monaten, in denen man nicht auftreten durfte: Ich könnte notfalls ohne Singen leben, ich könnte aber niemals ohne Musik leben. Aber abseits der Bühne war der schönste Moment in meinem Leben mit Sicherheit der erste Schrei meiner neugeborenen Tochter.


Sie können auf ein sehr umfangreiches Repertoire ver- weisen. Hat sich dies zufällig über die Engagements ergeben oder gab es da bewusste Entscheidungen, Zielsetzungen?

MICHAEL NAGY: Der Großteil ist tatsächlich meiner Interessenslage geschuldet. Ich bin von Musik viel zu sehr fasziniert, als dass ich mich beschränken wollte. Und so habe ich die unterschiedlichsten Ausflüge in der Musikliteratur unternommen, von denen ich keinen einzigen bereut habe. Im Gegenteil: stets wurde meine Faszination zusätzlich befördert.


Heißt das auch, dass zum Beispiel die Erarbeitung von etwas Zeitgenössischem einen neuen Blick auf Mozart gewährt hat?

MICHAEL NAGY: Das wäre vielleicht zu weit gegriffen. Aber natürlich beeinflusst sich alles gegenseitig, und je mehr sich der Horizont weitet, desto Konkreteres entdeckt man auch im Gewohnten und Bekannten.


Südlich der Alpen geben die meisten Sängerinnen und Sänger den Auftritten gegenüber den Proben den Vor- zug, nördlich der Alpen ist es meist umgekehrt.

MICHAEL NAGY: (lacht) Eine Art Sänger-Äquator! Ich muss gestehen, dass dieser Befund in meinem Fall zutrifft. Ich liebe diese Arbeit mit der Musik in einem geschützten Raum, natürlich immer unter dem Gesichtspunkt, dass man das Erarbeitete irgend- einmal auch herzeigt. Die Proben empfinde ich als herrliche Exklave, in der ich in aller Wildheit und Unbesonnenheit und praktisch folgenlos an und über meine Grenzen gehen kann, um diese zu erkunden.


Wie geht man als Künstler der negativen Eigenschaft des Ehrgeizes aus dem Weg?

MICHAEL NAGY: Da alle Künstlerinnen und Künstler narzisstisch veranlagte Menschen sind, wäre es eine Lüge, wenn ich behauptete, dass wir keinen Ehrgeiz haben. Allerdings muss Ehrgeiz nicht die Sucht nach Publikumsakklamation bedeuten, sondern kann sich auch auf den Versuch fokussieren, einem Werk unentwegt näher zu kommen und ihm daher immer gerechter zu werden.


Inwiefern nützt Ihnen Ihr Dirigierstudium als Sänger?

MICHAEL NAGY: Zum einen bin ich beim Erarbeiten neuer Rollen fürs erste auf niemand anderen angewiesen, ich kann mich also selbst am Klavier begleiten und die ersten großen Bausteine alleine zusammenfügen. Zum anderen hilft mir das Wissen um das Funktionieren eines Orchesters, das Wissen um die Aufgaben des Dirigenten, den Gesamtapparat auf eine Linie zu bringen, beim Singen ungemein. Das Gesamtresultat wird einfach besser, wenn man einander versteht.


Sie haben auch den Flugschein erworben. Was ist adrenalinsteigernder: der Moment knapp vor dem Starten des Flugzeuges oder jener kapp vor dem Auftritt?

MICHAEL NAGY: Beim Fliegen wird man alle Parameter, die zu einer potenziell gefährlichen Situation führen könnten, durch sorgfältige Vorbereitung mini- mieren. Beim Singen kommt der Faktor Mensch beziehungsweise der Faktor Physis raumgreifen- der ins Spiel. Somit ist die Antwort: Der Moment knapp vor dem Auftritt ist aufregender. (lacht)


Günther Groissböck meinte, dass ausgesuchte Landstriche die Musik eines bestimmten Komponisten atmosphärisch geradezu widerspiegeln. Der Blick vom Sonntagberg in Niederösterreich etwa klingt für ihn nach Bruckner.

MICHAEL NAGY: Dem kann ich absolut beipflichten: Hamburg, der Norden Deutschlands, die Kühle gepaart mit einem Schuss Melancholie verbinde ich etwa mit Brahms. Genauso wie mir in Wien – Sie werden vielleicht überrascht sein – augenblicklich Schre- ker in den Sinn kommt. All das, wofür Wien am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts Dreh- und Angelpunkt war, geistiger, künstlerischer, philosophischer Türöffner war, kulminiert für mich im Werk Schrekers.