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Unser Ensemble: Orhan Yildiz im Porträt

Im Sommer: Da schwimmt er weit ins Meer hinaus, lädt eine große Spritze mit klarem Wasser und spült damit den Nasen- und Rachenbereich. „Unvergleichlich“ sei das, meint er. Und: „Nichts ist für Nebenhöhlen besser!“ Und im Winter? Da mischt er einfach Meersalz mit Wasserund wiederholt das Prozedere. Das ist nicht nur gut für die Stimme, sondern erinnert ihn an den Sommer und an die Heimat, die am Meer liegt. Er, nach eigener Definition ein „absoluter Südländer“,heißt Orhan Yildiz, 38 Jahre alt, Bariton, seit Anfang dieser Spielzeit Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper.

Moralès hat er hier bislang gesungen und auch noch den Melisso in Alcina. Und freut sich heuer noch auf Partien wie den Valentin in Faust. „Eins nach dem anderen“, lächelt er …
Gekommen ist Yildiz vom Staatstheater Braunschweig – ein Ort, den er gerne als zweite Heimat bezeichnet – an dem er sich sechs Jahre lang quer durch das Repertoire gearbeitet hatund viele führende Rollen seines Fachs sang. „Die Menschen haben mich vom ersten Moment an gut angenommen – und ich konnte viel singen, was ich als sehr schön empfinde.“ Dem Haus, den Mitarbeitern und dem Intendanten sei er deshalb„unendlich dankbar“, und es schwingt, bei aller Freude über das Engagement an der Staatsoper, auch ein Hauch von Wehmut mit. Wobei, der Anfang seiner Karriere lag in seiner ersten Heimat, in der Türkei. Dort interessierte sich der jungeOrhan zunächst „gar nicht für Oper“. Doch sein Schwager, Oboist in einem Symphonieorchester, erkannte das schlummernde musikalische Talent und drängte den damals „ein wenig faulen“ jungen Mann dazu, die Stimme ausbilden zu lassen. „Duhast gute Ohren, bist musikalisch und talentiert, hast eine gute Stimme – probier’ es und mach die Aufnahmeprüfung am Konservatorium!“ Yildiz malte sich seine Zukunft aus – und wagte den Schritt. Wobei die ausgemalte Zukunft noch wenigmit der Oper zu tun hatte: „Ich dachte, ich werde ein Pop-Sänger. Berühmt und reich. Das gefiel mir!“ Doch es kam anders. Kaum ein halbes Jahr am Konservatorium verliebte sich der Sänger so unsterblich und intensiv in die klassische Musik,dass an ein anderes Genre nicht mehr zu denken war. Er lernte, sang im Opernchor, übernahm einzelne Solostellen und mauserte sich schließlich zum Solisten. Ganz nebenbei absolvierte er eine Anzahl an Wettbewerben und kam oftmals vergoldetzurück. „Wettbewerbe finde ich spannend“, erzählt er. „Weniger wegen dem sportiven Charakter, sondern, weil es eine Art von Spiegel ist, in dem man sich sieht. Man hört viele andere Kollegen und kann vergleichen.“ Eifersucht oder Neid? Das sindbei ihm, selbst in diesem Fall, keine Themen. „Wenn jemand gut ist, freue ich mich. Und ich kann etwas lernen! Genauso wie bei einer Aufführung, in der viele gute Kollegen mitwirken. Das wirkt auf eineninspirierend.“ Einen solchen Kollegen, der für ihn so etwas wie ein Idol ist, nennt er dezidiert: Ludovic Tézier. „Abgesehen davon, dass er ein unheimlich netter Mensch ist, finde ich die Farben, das Timbre, seine Interpretationen außergewöhnlich!“
So sehr Yildiz Wettbewerbe schätzt, so wenig kann er sich mit Vorsingen anfreunden. Wie eine Prüfung empfindet er diese, noch dazu zu einer Uhrzeit, die einem Sänger wenig entgegenkommt: nämlich rund um die Mittagszeit. Als er aber die Bühne derWiener Staatsoper betrat, war plötzlich die Welt eine andere. „Wow, was für eine Akustik“, dachte er sich und sang, „entspannt und locker“ seine Arien. „Orhan, du bist jetzt auf der Staatsopern-Bühne, genieß es!“, sagte sich der Sänger – und genoss.Wenig Zeit verging bis der Anruf kam: Engagement in Wien. „Ich habe zehn Minuten geweint, als ich es erfahren habe, denn Wien, Wiener Staatsoper, das ist doch ein Traum!“ Entsprechend die Freude und das Glück, es geschafft zu haben: „Ich habeso lange gelernt, so viel studiert und geübt, mein Leben für die Oper hingegeben – als ich die Stelle bekommen habe war ich sehr glücklich, dass all das die Arbeit wert war.“ Wie aber lebt der Sänger Yildiz? Mit Sängerschal? Test- und Schrecksekundenin der Früh, ob es der Stimme gut geht? Er winkt ab. Natürlich passt er in der Kälte auf, aber nicht mehr, als andere auch. Und um eine übertriebene Schonung an Aufführungstagen bemüht er sich ebenfalls nicht. Natürlich: Im Hinterkopf ist dieAbendvorstellung, aber nur im Hinterkopf. „Früher dachte ich: Pass auf und spare mit der Stimme vor einer Vorstellung. Dann aber musste ich einmal zwei Aufführungen an einem Tag singen. Und ich dachte mir: ,Wie soll das gehen?‘ Bis ich merkte, dass diezweite viel besser war als die erste!“ Seither achtet er zwar auf sich, versucht aber immer „ein wenig locker zu bleiben“ und verschreibt sich auch nicht einem vorstellungsbedingten Stillschweigen. Viel besser sei es, meint er, sich am Vormittag ordentlicheinzusingen und eventuell kurzzeitig auftretenden Stimmdefiziten gleich entgegenzusteuern.

Ebenso wenig verbissen und mit Gelassenheit lässt er seiner Stimme ihre Entwicklung und versucht erst gar nicht, sie und sich zu einzelnen Partien zu zwingen. Lieber geht er es langsam an, ohne irgendetwas zu forcieren. Mozart – Conte d’Almaviva oder Don Giovanni – schätzt er hoch und betont die positiven Effekte dieser Partien für die Stimme; Rossini – den Barbier – hat er ebenso in seinem Repertoire wie einen Marcello in der Bohème. Manchmal habe er früher seine Grenzen überschritten, erzählt Yildiz, mit einem Klingsor etwa, doch dann habe er sehr schnell gemerkt, dass diese Ausflüge für seinen Bariton nicht dasBeste sind. Stattdessen wartet er, bis die Zeit reif ist, beschnuppert die leichteren Verdi-Partien, manches von Bellini, Donizetti oder Tschaikowski. „Natürlich ist ein Macbeth oder ein Rigoletto das Ziel“, meint er, „aber man kann heute noch nichtsagen, ob sich meine Stimme in diese Richtung entwickelt. Wenn ja: dann freue ich mich. Wenn nein: dann ist es auch gut.“

Oliver Láng