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Paradiesischer Gesang

Das Paradies wünscht sie sich, wie sie einmal erzählte, mit Musik, aber auch mit Momenten der Stille. Vielleicht ein wenig im Gegensatz zum Wiener, zum internationalen Opernpublikum, das sich das Opernparadies eher mit mehr, und immer noch mehr Nina Stemme-Musik bzw. -Gesang vorstellt. Das lässt sich jedenfalls aus den Reaktionen schließen, die nach einem Stemme-Abend obligat scheinen: Jubel und Euphorie, dazu passende und ebenso jubelnde und euphorische Rezensionen der internationalen Presse. Und dies allgemein abrundend, ist sie Trägerin zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen, nicht nur in Form von Titeln wie Österreichische Kammersängerin oder Schwedische Königliche Hofsängerin, sondern auch des Laurence Olivier Awards …

Wobei es egal ist, ob es sich bei diesen Abenden um das deutsche Fach mit all den großen Wagner- und Strauss-Partien handelt oder um das italienische.

Damit wäre einer der Stemme’schen künstlerischen Kernaspekte angesprochen. Und zwar, dass es für eine technisch und musikalisch ausreichend versierte und kluge Sängerin oder einen Sänger diese strenge Einteilung in ‚hier deutsch‘ und ‚dort italienisch‘ nicht gibt. Dass ein solches Schubladendenken eine Krankheit der neueren Operngeschichte ist, weiß man: für etliche der ganz Großen der Vergangenheit gab es ein solches Einzwängen in vorbestimmte Fächer nicht. Und doch lassen sich viele einfangen und werden so zum sogenannten Spezialisten, mit allen daraus folgenden Beschränkungen des Repertoires. Stemme wiederum ist auf ihre Art auch eine Spezialistin, nur eben eine des großen Repertoires. Ein Blick in ihre Biografie zeigt das: Sie sang all die Mimìs, Tatjanas, Butterflys, Manon Lescauts, Marguerites, Nyssias, Rosalindes, Euridices, Agathes, die ein Sängerleben mit sich bringt, und war, um zur Wiener Staatsoper zu kommen, weiters auch Senta, Elisabeth (Tannhäuser), Marschallin, Minnie, Leonora (Forza del destino), Brünnhilde, Isolde, Sieglinde, Ariadne, Leonore und Tosca. Dass ihr manche Partie, wie in letzter Zeit die Brünnhilden und die Isolde besonders am Herzen liegen, ändert nichts daran, dass sie mit gleicher Liebe und Herzensnähe eine Minnie in Puccinis La fanciulla del West gestaltet hat und sich auch der Turandot zuwandte, die derzeit einen Schwerpunkt ihres Repertoires bildet. Das Herz Nina Stemmes ist also, wie man sieht und hört, groß. Dass dort viel Platz für die großen Frauengestalten der Opernbühne ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie sich mit rechter Konsequenz und soweit möglich, vielen Aspekten des medialen Drumherums entzieht. Sie sei nicht interessiert daran, ein Medien-Produkt zu sein, meinte sie im Dezember des letzten Jahres in einem Interview im britischen The Telegraph. Ebenso verweigert sie Crossover. „Ich opfere meine künstlerische Freiheit niemandem und nichts“, meint sie zu diesem Thema abschließend. Journalisten aller Herren Länder und vieler Magazine und Zeitungen können ein Lied davon singen: Nicht immer ist die Sängerin „verfügbar“, mitunter bittet sie um Verständnis, dass die Zeit eines medialen Schweigens gekommen wäre und sie sich nun doch lieber auf ihre nächsten wichtigen Auftritte und Rollen vorbereiten möchte. So führt sie auch keine Check-Liste der Bühnen, um laufend überall aufzutreten.

An der New Yorker Metropolitan Opera war sie eine Zeit lang weniger präsent; diese Tatsache kommentierte sie in einem Interview mit dem polnischen online-Opernmagazin opera.pl: „Nun, sie müssen mir eben die richtigen Projekte anbieten.“ Glückliches Wien! Ist sie hier doch ein ständiger Gast; und ein solches, richtiges Wiener Projekt ist nun die Elektra, die Nina Stemme mit der Premiere im Haus am Ring in ihr Repertoire nimmt. Wie bei ihren anderen wichtigen Partien geht auch hier eine große Vorbereitung – sowohl auf musikalischer als auch auf inhaltlicher Ebene – der Premiere voran. Noch einmal Stemme im Telegraph über ihre Elektra - Beschäftigungen: „Schwierig zu verinnerlichen, es gibt so viele Wege, wie sie gezeigt werden kann. Ich muss meinen Weg finden.“ Und so berichtet die Zeitung, war Stemme etwa zwischen den Tristan und Isolde-Proben am Royal Opera House Covent Garden im Londoner Old Vic Theater, um dort die britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas in Sophokles’ Drama als Elektra zu erleben. Auch Hintergrundinformationen, die über ihre Partie hinausgehen, sind für sie stets wesentlich und wichtig, ja selbstverständlich: und so erfolgt die Annäherung an einen Charakter und eine Opernfigur in weiten Kreisen, auch über Literatur, um die Handlung und den Kern eines Bühnenwesens verständlich und vermittelbar zu machen. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen scheut sich die Sopranistin auch nicht davor, in historische Aufnahmen hineinzuhören, um sich dann und wann ein Bild einer Partie zu machen. „Wir haben Zugang zu so vielen guten Aufnahmen, warum sollte ich darauf verzichten? Für mich wäre das, wie das Rad neu zu erfinden. Ich bin durch sie inspiriert, aber kann sie niemals imitieren“, erzählte sie im Interview mit dem Magazin opera.pl. Vielmehr sei es so, dass sie sich einige Aufnahmen anhört und diese dann im Laufe ihrer Arbeit an der Rolle wieder vergisst. Und sobald die eigene Interpretation fertig entwickelt ist, könne sie auch keine Aufnahmen dieser Partie mehr hören, präzisiert Stemme. Ihr großes Arbeitspensum bewältigt sie mit größter Intensität und Konzentration auf das Wesentliche, oder, wie sie es in einem Gespräch mit der New York Times formuliert: „Mein Weg ist es, mich langsam zu beeilen.“

Derzeit kümmert sie sich natürlich um die Elektra; aber auch die Kundry in Parsifal, die letzte der großen Wagner-Figuren, die Nina Stemme noch nicht gestaltet hat, wird sicherlich folgen. Doch lässt sich die Sopranistin noch Zeit, denn, und das ist auch ein wesentlicher Aspekt ihres Lebens, es gibt ja ein Privatleben mit ihrer Familie, das nicht zu kurz kommen soll, kommen darf. Zuletzt noch ein Detail: Diesen August wird Nina Stemme als Turandot beim schwedischen Dalhalla Festival auftreten; als Regisseur liest man den Namen Bengt Gomér, und man kennt ihn nicht nur als Regisseur, sondern auch als Ehemann der Sängerin. Eine Art künstlerische Familienzusammenführung, und mit Sicherheit ein Projekt, das Opernfreunde aller Welt zu diesem Festival locken wird …

Oliver Láng