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© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor

»Onegin« - Interview mit Marcos Menha

»WAS ER FÜHLTE, WAR LIEBE.«

Seit jeher berührt John Crankos Ballett Onegin nach Alexander Puschkins Versroman tanzbegeisterte Menschen weltweit. Die im Unglück endende Liebesgeschichte zwischen der jungen Frau Tatjana und dem Dandy Onegin diente John Cranko als Ausgangspunkt für ein Werk, das sich – 1965 mit dem Stuttgarter Ballett uraufgeführt – zu einem der bedeutendsten Handlungsballette des 20. Jahrhunderts entwickeln sollte. Cranko verbindet meisterhaft die diversen emotionalen Zustände und Leidenschaften seiner Figuren mit einer Dramaturgie des Tanzes, in der intime Momente auf große Ensembleszenen treffen.

Auch im Repertoire des Wiener Staatsballetts hat Crankos Onegin seit 2006 einen festen Platz und bietet den Tänzer*innen die Möglichkeit, sich nicht nur mit der intensiven Rollengestaltung eines Onegin, Lenski, einer Tatjana oder Olga auseinanderzusetzen, sondern auch mit der anspruchsvollen Technik, die maßgeblich für Crankos Choreographie ist. Am 20. und 23. September tanzen Marcos Menha, der im folgenden Interview über seine Arbeit an Onegin spricht, und Ketevan Papava die beiden Hauptrollen an der Seite von Elena Bottaro als Olga und Alexey Popov als Lenski. Am 26. September feiert Solistin Ioanna Avraam ihr lang erwartetes Debüt als Tatjana mit Eno Peci als Onegin und Sonia Dvořák sowie Davide Dato als Olga und Lenski.

Die ikonische Rolle des Onegin ist eine, nach der viele Tänzer in ihrer Karriere streben und die stets einen Höhepunkt darstellt. Was bedeutet es für dich, Onegin in John Crankos gleichnamigem Ballett zu tanzen?

MARCOS MENHA Das Ballett ist ein Meisterwerk, ein wahrhaft unglaubliches Stück. Das natürlich auch, weil es für wichtige und großartige Persönlichkeiten in der Ballettwelt kreiert wurde: Marcia Haydée und Ray Barra. Es ist eine große Ehre für mich, Onegin zu tanzen. Man kann mit dieser Rolle wachsen, sich ständig weiterentwickeln. Es gibt kein Ende und keine Limits. Als ich begonnen habe, an ihr zu arbeiten, wollte ich immer mehr: Noch tiefer in Onegins Seele und seine Welt eindringen. Man kann als Tänzer außerdem sehr viel von dem Ballett lernen, was zum Beispiel das Partnering, das sehr anspruchsvoll ist, betrifft.

Was ist das Herausfordernde an Crankos Partnering?

MM Der »Spiegel-Pas de deux« ist allein in der körperlichen Umsetzung einer der schwierigsten Pas de deux in der Ballettwelt. Bei der letzten Hebung kurz vor dem Ende hat man das Gefühl, dass die eigenen Arme aufgeben. Cranko hat hier spezifische Griffe von der Handoberseite ausgehend choreographiert, die man einhalten muss. Die Herausforderung besteht darin, zum einen die Kontrolle über den eigenen Körper und die Technik zu beherrschen und zum anderen loslassen zu können und frei zu sein. Onegin ist eines der Ballette, welches man oft proben muss, damit man sich darin zuhause fühlt und diesen Moment, in der Kontrolle loszulassen, erreichen kann. Und natürlich muss man auch verstehen, dass es hier ganz um die Frau, um Tatjana geht. Sie ist der wichtigste Part in diesem Pas de deux, der Mann ist für sie da und lässt ihre Träume wahrwerden. Ich muss sie fliegen lassen.

Das Ballett ist technisch sehr anspruchsvoll, aber die von dir erwähnte Freiheit und die Emotionen müssen genauso entwickelt und in die Technik integriert werden.

MM Genau, und das macht diese Choreographie so einzigartig. Hinzu kommt Tschaikowskis Musik, die wunderschön ist. Es ist auch immens wichtig, mit wem man das Ballett tanzt. Meine Partnerin Ketevan Papava tanzt die Rolle der Tatjana bereits seit vielen Jahren. Sie hat mir sehr dabei geholfen, den Charakter zu entwickeln, ihn und unsere Beziehung bzw. die Entwicklung dieser zu spüren. Das hat es einfach für mich gemacht. Ich bin ein großer Fan von ihr und sehr dankbar, mit ihr dieses Ballett zu tanzen.

Wie hast du dich auf die Rolle des Onegin vorbereitet?

MM Ich habe mir verschiedene Vorstellungen zum Beispiel vom Stuttgarter Ballett und auch Rolleninterpretationen diverser Tänzer angeschaut. Ich wollte sehen, wie die Tänzer sich dem Ballett und der Rolle des Onegin annähern und das körperlich erreichen, was die Choreographie vorgibt. Ich habe mich mit Puschkins Roman beschäftigt und auch zusätzliches Material gelesen. Vor allem hat mir die Arbeit mit Ketevan geholfen: sowohl mit der Entwicklung der Geschichte als auch, um meinen Onegin lebendig werden zu lassen. Trotz der vielen Recherche ist es wichtig, eine eigene Interpretation des Onegin zu finden und seine Persönlichkeit in die Rolle einfließen zu lassen. Crankos Choreographie macht es uns Tänzer*innen allerdings leicht, diese Rollen darzustellen. Des Weiteren muss auch die Technik da sein, um das Künstlertum ausleben zu können. Daran muss man arbeiten.

Wie haben sich die Proben gestaltet? Wie hast du an der Pantomime gearbeitet?

MM Es war ein intensiver Probenprozess. Ich bin eine sehr romantische Person, ich kann in meinem Ausdruck schnell und einfach verliebt und romantisch erscheinen. Das fällt mir leicht. Aber Onegin ist kein romantischer Mensch. Er ist arrogant und verwöhnt. An dieser Darstellung eines Mannes, der gelangweilt ist und sich nicht kümmert bzw. sich nicht für seine Umgebung interessiert, musste ich in den Proben viel arbeiten und Jean Christophe Lesage, unser Ballettmeister, hat mir dabei geholfen und mich dahin gebracht, Onegin so auf der Bühne darzustellen, wie er sein sollte: »Marcos, sei nicht so verliebt, schau nicht so freundlich«, das habe ich oft in den Proben gehört (lacht). Das Schöne an diesem Ballett ist aber auch, dass man einen Charakter entwickeln kann, der sich im Verlauf des Balletts verändert: Der Onegin vom Beginn ist ein anderer als der zum Schluss. Und ich habe gefühlt, dass Onegin mehr wie ich wurde oder ich mehr wie Onegin.

Wie empfindest du den Charakter des Onegin?

MM Das ist eine gute Frage. Er ist jemand, der sehr viel Zeit benötigte, um zu realisieren, dass das, was er fühlte, Liebe war. Ich mag ihn, denn er hat schlussendlich gelernt, was Liebe ist und dass er sie fühlen kann. Ich denke, nicht jeder Mensch teilt diese Erfahrung im Leben. Wenigstens hat er sie gespürt, auch wenn seine Einsicht zu spät kam und er wahrscheinlich sein ganzes restliches Leben darunter leiden wird. Aber er hat seine Fehler eingesehen. Er hat versucht, es wieder zu richten. Das gefällt mir an ihm und am Ende tut er mir auch leid.

Hast du eine Lieblingsszene im Ballett?

MM Ja! Der letzte Pas de deux, in welchem Onegin und Tatjana nach vielen Jahren wieder aufeinandertreffen und diese große Enttäuschung auf beiden Seiten zu spüren ist. Man ist so verletzlich in diesem Moment und muss es nicht einmal spielen oder vortäuschen. Das Ballett, die Choreographie bringt dich dahin. Man ist müde und innerlich zerbrochen und alles, was man will, ist Tatjanas Liebe. Es ist schön, das einfach zuzulassen. Für mich ist dieses Finale ein sehr besonderer Moment in dem Ballett. Man wirft sich vollkommen hinein und gibt alles, was man zu geben hat – als Tänzer und als Mensch. Leidenschaft, Liebe, Zögern, Wut, Kampf …

Das Interview führte Nastasja Fischer.

Hier geht es zum Video.


ONEGIN

Ballett in drei Akten & sechs Szenen nach Alexander Puschkin

20., 23. & 26. September 2022, 3. Oktober 2022, 23., 27. & 30. Jänner 2023

Musik Piotr I. Tschaikowski in einem Arrangement von Kurt-Heinz Stolze

Choreographie & Inszenierung John Cranko

Musikalische Leitung Robert Reimer

Bühne & Kostüme Elisabeth Dalton

Licht Steen Bjarke

Einstudierung Reid Anderson, Jean Christophe Lesage, Lukas Gaudernak

Wiener Staatsballett

Orchester der Wiener Staatsoper