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© Wiener Staatsopern GmbH / Michael Pöhn
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Nicht gerade bescheiden

Am Donnerstag, den 19. November 2020 ist Les Troyens um 19.00 Uhr hier in unserem Stream zu sehen. 

Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris… für wie viele Generationen waren und sind diese Verse, bitte auch korrekt betont, nicht unvergessliche, auswändig gelernte Erinnerung an den Lateinunterricht? Es sind die ersten Verse aus Vergils Aeneis, dem altrömischen Nationalepos, einer Art mythologischer Grundsteinlegung, in der der Untergang Trojas, die Flucht Aeneas’ und die legendenhafte Gründung Roms erzählt werden. Den meisten von uns liegt die Erinnerung an die Aeneis, je nach Schulleistung, mehr oder minder flockig im Magen, der eine oder andere wird sich am sanften Laufrhythmus der Hexameter nach wie vor erfreuen. Und die Geschichte des Aeneas, der das brennende Troja verlässt, inklusive seiner Flucht, gehört für viele zum kulturellen Wortschatz.
Wie groß aber die Begeisterung des halbwüchsigen Hector Berlioz gewesen sein muss, der nach der Lektüre des antiken Stoffes von Vergil, vom Helden Aeneas, von Kassandra und Dido ein Leben lang nicht mehr loskam – das ist für uns kaum auszumalen. Sie war so stark, dass er sich noch in seiner umfangreichen Autobiografie daran erinnert, wie ihm die Stimme bei einer innerfamiliären Lesung des vierten Buchs der Aeneis – es geht um Didos Liebe – versagte und er den Raum, zu Tränen gerührt, fluchtartig verlassen musste. Ein Leben lang bleibt er der (römischen) Antike verbunden, 40 Jahre nach dem Erstkontakt resümiert er: „Ich habe mein Leben mit diesem Volk von Halbgöttern verbracht; ich bilde mir ein, dass sie mich kennen, so innig kenne ich sie.“
Zu dieser überaus persönlichen Bindung an das Werk kommt für den französischen Komponisten noch eine politische hinzu: Bis ins 16. Jahrhundert beriefen sich die französischen Könige – via römisches Imperium, dessen Gründungsvater Aeneas war – auf ihre trojanische Herkunft. Dass die Aeneis in der französischen Kulturgeschichte bis ins 19. Jahrhunderts einen besonderen Stellenwert einnahm, ist in diesem Zusammenhang ebenso Fakt wie auch die Tatsache, dass das Vergil’sche Epos als Gegengewicht zum Nibelungen-Mythos verstanden werden konnte. Bedenkt man nun, dass Berlioz und Wagner ein seltsames Konglomerat aus Bekanntschaft, Gegnerschaft und Kollegenschaft bildeten und man das Opernwerk Berlioz’ als französischen Gegenpart zum deutschen Wagner-Mythos-Musiktheater stilisieren kann, so wird die Bedeutung, die Berlioz als Opern-Komponist in sich birgt, um eine Facette reicher.
Jedenfalls: Hector Berlioz, 1803 geboren, beschließt früh, Musiker zu werden und verschreibt sich ganz dem Dreigestirn Weber – Beethoven – Gluck. Er studiert am Pariser Konservatorium, findet das Bestehende konservativ und unerträglich und spielt – hypothetisch – mit dem Gedanken, das Théâtre Italienne in die Luft zu jagen, um Rossini, sein Werk und alle seine Anhänger mit einem Schlag los zu werden. Daneben verliebt er sich nach Vergil in Goethe und Shakespeare, auf realistischerer Ebene in die einige Jahre ältere Shakespeare-Darstellerin Harriet Smithson, die er bald darauf heiratet. Nach einem holprigen Beginn als Komponist – er wirkte später noch lange als Kritiker, um Geld zu verdienen – gewinnt er den renommierten Rom-Preis und schreibt mit der Symphonie fantastique einen bleibenden Erfolg. In Franz Liszt findet er einen Freund und Förderer, der versucht, zwischen Berlioz und Wagner zu vermitteln. Später verfasst Berlioz eine Instrumentationslehre, die von Richard Strauss bis Gustav Mahler durch viele Hände gehen wird, bereist auf Tourneen ganz Europa – so ist er auch in Wien mehrfach zu Gast. Als Komponist verfasst Berlioz drei Opern, sieben Ouvertüren, vier Symphonien, sakrale Musik, den Liederzyklus Nuits d’Eté und einige kleinere Werke – im Grunde keine sehr große Ausbeute.
Doch finden sich zumindest zwei Werke, die bis heute größtes Interesse an sich binden: die bereits genannte Symphonie fantastique, die landauf, landab auf den Konzertplänen steht und die Oper Les Troyens. Diese erklingt zwar landauf landab eher selten, doch nicht aus qualitativen, sondern aus rein ökonomischen, organisatorischen und logistischen Gründen. Denn Les Troyens ist kein gewöhnliches Opernwerk, es ist ein radikaler und in seinem Umfang überaus mutiger Entwurf mit einem antik-epischen Umfang. Nur wenige Opernhäuser können sich heute an das Werk heranwagen, zu groß ist der Aufwand, zu gewaltig die Anforderungen, die sich stellen. Und so sind die Premieren international eher dünn gesät: derzeit Dresden und Nürnberg im Jahr 2017, Mariinskij und Wiener Staatsoper 2018, Pariser Oper 2019; oftmals wird das Werk zwar gestemmt, aber entweder geteilt oder mehr oder weniger stark gekürzt.
So erklang Les Troyens im Haus am Ring bisher nur neunmal in seiner doppelteiligen Form (Österreichische Erstaufführung und Premiere 1976 unter Gerd Albrecht, Inszenierung Tom O’Horgan, Premiere mit Guy Chauvet, Christa Ludwig und Helga Dernesch), ab den 1980er Jahren spielte man nur den zweiten Teil, und auch das nur fünfmal. Und selbst in den Archiven eines so großen Festivals wie den Salzburger Festspielen findet sich nur eine einzige Aufführungsserie. Häufiger gaben die Scala und die Met das imposante Werk – aber eine wirklich hohe Aufführungsdichte, die erreicht die Oper nie.
Wer nun denkt, dass das ein eher neuzeitliches Problem sei, der irrt: Schon in seiner Entstehungs- beziehungsweise Uraufführungszeit war Les Troyens alles andere als ein Repertoirestück. Entstanden in den 1850er Jahren – im Wesentlichen schrieb Berlioz die Musik zwischen 1856 und 1859, das Textbuch, das zum Großteil auf einigen Passagen aus Vergils Aeneis und einer Szene aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig aufbaut, etwas früher – war anfangs an eine komplette Uraufführung zunächst gar nicht zu denken. Man spielte in Paris 1863 erstmals den zweiten Teil der Oper, setzte sie aber nach nur 21 Aufführungen wieder ab. Zehn Jahre nach dem Tod des Komponisten, also 1879 folgte Teil eins. Erst Felix Mottl brachte die Oper 1890 in Karlsruhe erstmals, wenn auch an zwei Abenden, komplett heraus, doch auch dieses Unternehmen verebbte ohne Folgen. Stuttgart folgte im frühen 20. Jahrhundert, Sir Colin Davis brachte 1957 am Royal Opera House Covent Garden beide Teile heraus, 1960 folgte die italienische Erstaufführung (als I Troiani) in Mailand unter Rafael Kubelik – übrigens in einer Inszenierung von Margarethe Wallmann! Doch wohin man auch blickt, immer zuckte es den vielfachen Bearbeitern in den Fingern, wenn es um Striche (besonders in der Ballettmusik) ging. Ein Übel, auf das übrigens in der aktuellen Wiener Fassung bis auf minimale Straffungen verzichtet wurde.
Man sieht: Hector Berlioz hatte sein Werk niemals als Einheit hören können! Was das für den nicht immer ganz nervenruhigen Komponisten bedeutet hatte, kann man bestenfalls erahnen. Vor allem mit dem Wissen, dass Wagners Werke, trotz aller Schwierigkeiten, zweifellos intensiver rezipiert wurden. Nur gut, dass Berlioz die Uraufführung des Mythos-Antipoden, des Ring des Nibelungen, in den 1870er-Jahren, nicht mehr miterlebt hatte. Doch immerhin: Wenn ihn auch immer wieder Zweifel plagten, so wurde er durch persönlichen Stolz entschädigt: Beim Komponieren der großen Arie der Dido im dritten Akt – „Errante sur la mer“ – sprach er zum imaginär neben ihm stehenden Vergil: „Lieber Meister, das ist es doch, oder?“ Und nicht genug damit, auch sein Vorbild Gluck musste sich in Berlioz’ Gedankenwelt zu Wort melden: „Ich fühle, dass, könnte Gluck zurückkommen und Les Troyens hören, er zu mir sagte: ,Wahrhaft, das ist mein Sohn‘“, führte der Komponist in einem Brief an seine Schwester aus. Um gleich darauf hinzuzufügen: „Ich bin nicht gerade bescheiden, oder?“
Bescheiden ist, das wurde bereits angedeutet, an dieser Oper rein gar nichts. Viele Choristen, Orchestermusiker, Statisten, Kinder, Tänzer, ungewöhnlich viele Gesangsrollen, dazu ein Theater, das Schaulust bietet und das Ganze auf mehrere Stunden Musik aufgeteilt: Wer die Trojaner spielen will, muss sich auf Großes vorbereiten. Alleine schon, was die Probensituation anbelangt, wird von einem Haus viel abverlangt. Niv Hoffman, Regieassistent der Produktion, verweist in diesem Zusammenhang auf die gefinkelte Logistik der Probenpläne. „Man muss ja Akrobaten, die in unserer Produktion eine große Rolle spielen, den Chor, die Kinder und die Solisten miteinander koordinieren. Da ja viele auch in anderen Produktionen auftreten und auch noch andere Proben haben, ist alleine das schon ein komplexes Unterfangen.“ Dass in einem solchen Falle die (Einzel-)Proben lang vor der Premiere beginnen, ist klar. Der Chor (tatsächlich eine Hauptrolle in der Oper) etwa probt seit langem, Ensemblemitglieder arbeiten, wie Studienleiter Thomas Lausmann ausführt, seit dem frühen Sommer mit Repetitoren.
Doch gehört zum Probieren auch ein entsprechendes Hintergrundwissen – und da ist Sir David McVicar, der an der Wiener Staatsoper bisher Tristan und Isolde, Ariodante, Falstaff und Adriana Lecouvreur inszenierte, genau der Richtige. Denn seine Proben sind niemals nur reine Stellproben, sondern immer auch eine kluge Einführung in die inneren Gefilde des jeweiligen Werks. So auch diesmal: Seine Sängerinnen und Sänger erhalten als Draufgabe auch eine detaillierte Einführung in die Welt der Aeneis. Arbeitsintensiv auch die musikalische Seite: Alain Altinoglu, inzwischen als Dirigent dem Haus, dem Publikum und den Künstlern wohl vertraut, wird diesmal seine dritte Staatsopern-Premiere leiten. Hört man sich in den Reihen des Orchesters um, so trifft man auf beeindrucktes Lob, das Altinoglus Arbeitseffizienz, seine Berlioz-Kompetenz wie auch seinen großen musikalischen Bogen hervorhebt.

Die Weichen sind also gestellt, die Vorbereitungen zur Premiere laufen. Was bleibt? Vorfreude! Vorfreude auf ein Stückchen Festspielatmosphäre mit einem besonderen Werk, das im Haus am Ring nicht alltägliches Repertoire darstellt.

Oliver Láng


KURZINHALT

Das trojanische Volk freut sich nach langen Jahren der Belagerung über den unerwarteten Abzug der Griechen. Das zurückgelassene riesige Holzpferd wird, entgegen aller Warnungen der Seherin Kassandra, in die Stadt gebracht. Diesem entsteigen in der Nacht griechische Soldaten – die Stadt Troja fällt. Aeneas, von Hectors Schatten angeleitet, gelingt mit einigen Getreuen und dem Schatz Trojas die Flucht. Er soll, so die Vorgabe, in Italien ein neues Reich gründen.
Karthago, von der verwitweten Königin Dido beherrscht, lebt in Wohlstand. Aeneas und seine Krieger treffen – zunächst inkognito – ein. Aeneas hilft den Karthagern im Kampf gegen Rebellen und erobert das Herz der Dido. Doch die Liebe der beiden wird durch die Pflicht der Weiterreise nach Italien gestört. Aeneas, bedrängt von allerlei geisterhaften Aufforderungen, verlässt Didon, die sich mit dem Ausruf „Unsterbliches Rom!“ das Leben nimmt. Die Karthager schwören dem Volk des Aeneas ewigen Hass.