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Musik ist mehr als eine Faktensammlung

Schon im Hochschulorchester wollte Rainer Küchl nicht irgendwo an einem hinteren Pult, sondern immer „vorne“ spielen und den Kopf hinhalten. Ob er damals schon instinktiv seine musikalische Zukunft erahnte? Sein Lehrer an der Musikhochschule erkannte auf jeden Fall die Zeichen der Zeit und war weitblickend genug, ihn auf das entsprechende Probespiel vorzubereiten, zu dem Rainer Küchl dann „ganz unbeschwert, wie zu einem Vortragsabend“ hinging. Der Rest ist Geschichte, Staatsoperngeschichte wie Philharmonikergeschichte gleichermaßen. Seit 1971 gehört er als Konzertmeister wohl zu den bekanntesten Mitgliedern des Orchesters – und das nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Tausende Konzerte, tausende Opernabende hat er mitgestaltet und auf seine unverkennbare Weise mitgeprägt. Musikliebhaber mussten nur einen von ihm gespielten Ton hören um sogleich die Gewissheit zu haben: heute spielt der Küchl.

Der Anfang seiner Tätigkeit dürfte für ihn insofern ziemlich herausfordernd gewesen sein, als er kaum eine Oper kannte – sein Gebiet war ja bis dahin die Geigenliteratur gewesen. Es hieß also: Repertoire lernen! Und dieses Repertoire war damals mit rund 70 unterschiedlichen Opern noch deutlich breiter als heute. „Als ich anfing“, so Küchl, „waren alle übrigen im Orchester sehr nett zu mir. Mein Pultnachbar fragte mich vor jeder Vorstellung: ‚Hast du dieses Werk schon gespielt? Nein? Macht nichts, wir passen schon auf dich auf.‘“ Doch diese Anfangsphase war bald vorbei, der Stresspegel deutlich hinuntergefahren und die Freude am Musizieren vorherrschend. Und auch wenn Sternstunden selten auftreten – in seinen 45 Dienstjahren hat der gebürtige Niederösterreicher dann doch so viele erlebt, dass er sie „auf die Schnelle“ gar nicht alle aufzählen kann. Schließlich nennt er aber dennoch Namen wie Karajan, Kleiber oder Bernstein. Interessanter Weise hat sich Küchls persönliche Musikvorliebe nach und nach gewandelt. „Mozart empfand ich am Beginn eher als langweilig. Ich war voller Aktionsdrang und schwärmte in erster Linie für Wagner und Strauss. Heute schätze ich die großen Werke der beiden Letztgenannten zwar nach wie vor hoch ein, aber Mozart oder Schubert mit ihrer schlichten und unbestechlichen musikalischen Wahrheit überstrahlen in meinen Augen trotzdem die meisten anderen.“

Interpretationsmodeerscheinungen hat Rainer Küchl ebenfalls viele gesehen, sie durchaus mitgetragen, falls sie das Wesen der Musik wahrten, sich aber stets dagegen verwehrt, dass sie absolut gesetzt, zur Doktrin erhoben wurden. Weniger glücklich ist er mit der immer weiter wachsenden Schnelllebigkeit unserer Zeit und der Abhängigkeit vieler von digitalen Medien. „Es steht gegen die Poesie eines Kunstwerkes, wenn man knapp vor Aufführungsbeginn noch schnell die letzten e-Mails checkt und gleich nach Fallen des Vorhangs erneut in das Smartphone starrt. Man muss sich auf die Musik einlassen, in sie eindringen, sich von ihr verändern lassen. Leider steigt die Zahl jener Musikstudenten, die die Qualität eines Vortrages an der Zahl der richtigen Noten und dem oberflächlichen Befolgen der dynamischen Vorgaben misst. Musik ist nun einmal keine Faktenansammlung die man per Knopfdruck abrufen kann.“

Dass Professor Rainer Küchl, übrigens Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, mit dem Ende der Saison als Konzertmeister in den Ruhestand tritt, bedeutet keineswegs das Ende seiner Musikerlaufbahn. Als Kammermusiker und Lehrer wird er nun ab September in einem noch viel größerem Ausmaß in Erscheinung treten als bisher. Und, Rainer Küchl hat sich darüber hinaus zahllose neue Partiturenbesorgt, um in ihnen lesend intensiver in die Musik einzutauchen als dies in der Praxis möglich ist. „Ich kann bei jedem Takt stehen bleiben und die Musik auf mich wirken lassen, ich kann außerdem wirklich jede Stimmen hören und ihren Weg, ihre Wechselwirkung mit und zu den anderen Stimmen verfolgen. So eine Durchsichtigkeit existiert in der Realität selbst in den besten Sternstunden nicht.“

Andreas Láng