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© Peter Mayr
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LEIDENSCHAFT entsteht

Mit dem Projekt »InsideOPERA« beschreitet die Wiener Staatsoper neue Wege. Teenager und junge Erwachsene beschäftigen sich monatelang, unter Mitwirkung der Vermittlung und Dramaturgie, intensiv mit der Welt der (Staats-)Oper und lernen das Haus und das Genre von innen kennen. Mitglieder des ersten Jahrgangs trafen sich zum Abschluss zu einem ausführlichen Gespräch mit Direktor Bogdan Roščić, um ihm Fragen zu seinem Beruf und Musiktheater-Zugang zu stellen.


Wenn man eine Sängerin oder einen Sänger engagiert, orientiert man sich naheliegenderweise an der höchstmöglichen Qualität. Mir kommt vor, dass bei der Wahl von Regisseurinnen oder Regisseuren das subjektive Element stärker ist: nach welchen Kriterien suchen Sie diese aus?

BOGDAN ROŠČIĆ: Zunächst muss man feststellen, dass auch bei Sängerinnen und Sängern, und stärker noch bei Dirigaten, eine sogenannte objektive Beurteilung schwer sein kann. Man hört ein Gesamtergebnis, das allerdings von vielen Faktoren und Umständen abhängt. Was nun »höchste Qualität« ist, darüber kann es erbitterte Debatten und zum Teil große Meinungsverschiedenheiten geben, auch bei Menschen, deren Urteil man ernst nehmen sollte. Daher fände ich es falsch, hier eine Verkürzung zu machen: Musikalische Wahl – rein objektiv gesteuert, Regie – das Reich der Subjektivität und der Meinung. Aber nun zu Ihrer Frage: Bevor ich hier angefangen habe, habe ich mein Brot in der Musikindustrie verdient. Ich war ungefähr 20 Jahre lang verantwortlich für die Klassik-Aufnahmen bei einigen sehr interessanten Labels, da arbeitet man viel mit Sängerinnen und Sängern zusammen. Dieses Geschäft ist vollkommen global, so hatte ich das Privileg, 20 Jahre lang weltweit unzählige Aufführungen sehen zu können, DVD-Projekte zu machen etc. Dabei entsteht ein Überblick. So bin ich nach meiner Ernennung als Direktor dieses Hauses in Gespräche mit jenen Regisseurinnen und Regisseuren eingestiegen, die mich in den letzten Jahren begeistert haben. Eine andere Methode gibt es schlechterdings nicht, ich habe mich mein Leben lang ausschließlich von meiner persönlichen Begeisterung leiten lassen. Wenn etwas mich euphorisiert und bewegt, wird es seine Wirkung auch bei anderen Menschen haben.


Was zu der Anschlussfrage führt: Es geht also mehr um eine persönliche Präferenz als um die Überlegung, was in Wien gut ankommt und sich im Repertoire bewährt?

BOGDAN ROŠČIĆ: Ich bin ja als Direktor auch Geschäftsführer einer GmbH und damit auch für den wirtschaftlichen Erfolg mitzuständig. Das Finanzielle spielt also eine große Rolle, da soll man bloß nicht scheinheilig sein. Aber auch abseits dieser Fakten: Keine Direktorin und kein Direktor will das Haus »leerspielen«. Aber ich bin andererseits auch künstlerischer Geschäftsführer und habe als solcher ein durch Steuergelder ermöglichtes, gesetzlich definiertes Kulturinstitut zu führen. Wenn man anfängt, Hochrechnungen darüber anzustellen, was wem vielleicht gefallen könnte, verrät man erstens diesen Auftrag. Zweitens kommt dabei nichts heraus. Man muss handeln entlang der eigenen Überzeugung, der eigenen Passionen. Leitplanken existieren auch dabei. Regisseurinnen oder Regisseure, die sich ausschließlich der sogenannten »Dekonstruktion« von Werken widmen wollen, interessieren mich persönlich zum Beispiel nicht. Sie wären aber auch eine grundsätzliche Themenverfehlung an einem Repertoirehaus, das durchaus auch einen bildnerischen Auftrag hat, also die Kunstform an möglichst viele Menschen vermitteln soll. Das hat aber nichts zu tun mit Überlegungen wie: »Den/die kann man nicht nehmen, das ist den Wienern zu heiß«.


Wenn Sie in einer Premiere sitzen und das Publikum buht – freuen Sie sich in dem Sinne, dass Sie einen Nerv getroffen haben oder sind Sie entrüstet?

BOGDAN ROŠČIĆ: Erstens: Ich freue mich nicht. Das wäre fast zynisch. Natürlich gibt es Kollegen in unsrem Geschäft, die sagen: »Wunderbar! Wenn Leute buhen, wird das Feuilleton auf meiner Seite sein, denn dann muss ich ja eine avancierte Position eingenommen haben, die das Publikum halt noch nicht versteht«. Das ist mir zu billig. Zweitens: Buh ist nicht gleich Buh. Wenn ich jene Person identifizieren hätte können, die bei der Premiere von Mozarts Entführung aus dem Serail in das Rezitieren eines wundervollen Mörike-Gedichts hinuntergepöbelt hat: »Das gehört nicht hierher«, ich hätte sie hinausschmeißen lassen. Das geht nicht. Dieses Theater ist ein Freiraum für die Entfaltung künstlerischer Ideen. Man muss nicht kommen, man muss nicht gut finden, was hier passiert, man kann nachher auch Entrüstung ausdrücken – aber man hat die Kunstausübung nicht zu stören. Die ehrliche Antwort auf Ihre Frage ist also: Ich fühle mich weder gut noch schlecht. Ich akzeptiere Buhs im Sinne von: Wir haben getan, was wir konnten, und das Publikum reagiert, wie es reagiert. Kalt lässt es mich aber nicht. Denn niemand von uns will vereinzelt sein und allein im eigenen Sandkasten spielen. Was uns begeistert und was uns beschäftigt, das wollen wir herzeigen und teilen. Und wenn das nicht angenommen wird, macht einen das nicht glücklich. Vielleicht noch eine Anmerkung am Rande: Ich selbst habe aus Prinzip noch nie Buh gerufen. Wenn mir etwas nicht gefällt, mache ich mir meinen Reim darauf und fertig.


Wenn man eine Inszenierung in Auftrag gibt ist ja das Spannende, dass man noch nicht weiß, was dabei herauskommen wird. Was passiert, wenn Sie im Probenprozess das Gefühl haben, dass es in eine falsche Richtung geht?

BOGDAN ROŠČIĆ: Sie sprechen da einen ganz heiklen Punkt an. Natürlich, man muss sich im Vorfeld, in vielen Gesprächen, mit einem Regisseur oder einer Regisseurin austauschen und so zur Überzeugung kommen, dass er oder sie richtig für diese Produktion ist. In dem Augenblick aber, in dem man den Auftrag vergibt, hat man auch viel Kontrolle über das Resultat abgegeben. Das muss einem klar sein. Denn es handelt sich um Künstler, mit allen Freiheiten, die es zu wahren gilt. Als Direktor kann und will ich nie Dinge sagen wie: »Bitte keine Neonröhren auf der Bühne und kein graues Bühnenbild, sondern lieber warme Töne, das schaut besser aus«. Was nicht bedeutet, dass es nicht zu Diskussionen kommen kann. Im Idealfall sind das Auseinandersetzungen, an denen auch das Leading Team wächst, weil es Widerstand spürt und sich behaupten muss. Von diesen produktiven Gesprächen abgesehen kann es in seltenen Fällen immer passieren, dass man einen sinnlosen Eklat verhindern muss – aber das ist die absolute Ausnahme. Zusammengefasst also: Das Wichtigste ist, was vor dem Moment der Entscheidung für eine Regisseurin oder einen Regisseur passiert. Denn wenn die Maschine sich in Gang setzt, ist vieles nur noch Konsequenz der Entscheidung und kaum zu beeinflussen.


Als Sie das Haus aus der Innensicht kennenlernten: Hatten Sie manchmal das Gefühl, dass es wie ein altes, riesiges Schlachtschiff ist, das sich schwer manövrieren lässt und viele Regelungen und Verwaltungsabläufe die Arbeit behindern?

BOGDAN ROŠČIĆ: Überhaupt nicht. Ich kenne das Haus als Besucher seit langem sehr, sehr gut und war auch beruflich oftmals in Kontakt mit vielen Abteilungen, sprach mit Künstlerinnen und Künstlern über die Staatsoper. Mit anderen Worten: Ich hatte schon eine Meinung, bevor ich hier antrat. Was mich aber wirklich überrascht hat, war, in welchem Maße der gesamte Betrieb reaktionsschnell und effektiv ist. Im Sinne von: »Nicht viel reden, sondern machen, machen, machen!« Dieses Haus funktioniert wunderbar, falls es früher bürokratisiert war, ist das lange vorbei. Beeindruckend.


Ich meinte auch ein wenig das Repertoire-Prinzip mit all seinen Herausforderungen.

BOGDAN ROŠČIĆ: Wenn man damit Probleme hat, darf man den Job nicht annehmen. Und ich glaube ja an den gesellschaftlichen Wert des Repertoiresystems und bin daher bereit, mich mit ihm zu beschäftigen, mit allen Herausforderungen, die das System mit sich bringt. Es gibt übrigens ein Gesetz, das Bundestheaterorganisationsgesetz, das unter anderem den künstlerischen Auftrag des Burgtheaters, der Volksoper und der Staatsoper genau definiert. Man muss diesen Auftrag ernst nehmen, und das tun wir.


Kurze Zwischenfrage zum Auflockern: Wie viele Abende im Monat verbringen Sie in Vorstellungen?

BOGDAN ROŠČIĆ: Das ist unterschiedlich, aber ganz allgemein: sehr, sehr viele. Manchmal, weil ich muss. Oft, weil ich will. Bei Neuproduktionen sitzt man selbstverständlich in der Premiere und nicht nur in der Premiere, sondern vorher schon in vielen Proben und in Folgeaufführungen. Die erste Vorstellung einer Repertoire-Serie ist Pflicht, eigentlich auch die letzte. Wiederaufnahmen sind Pflicht. Wenn es Umbesetzungen gibt, höre ich mir das natürlich an. Abgesehen davon gehe ich so oft in Vorstellungen, wie ich kann. Im Falle des französischen Don Carlos, den wir in der letzten Spielzeit als Wiederaufnahme herausgebracht haben, war ich in jeder Vorstellung. Und hätten wir ihn zehnmal gespielt, wäre ich zehnmal gegangen.


Können Sie Vorstellungen noch genießen?

BOGDAN ROŠČIĆ: Wissen Sie, was mir während des Lockdowns wirklich zusetzt? Dass man am Abend nicht in eine Aufführungen gehen kann. Da habe ich erst gemerkt, wie sehr mich persönlich dieser Vorstellungsbesuch über vieles andere drüberhebt und er manches verklärt. Natürlich nicht immer, aber sehr oft. Opernabende können auf alles ein magisches Licht werfen, ich kann es nicht weniger pathetisch sagen. Wenn aber etwas schiefgeht, etwas trotz aller Sorgfalt nicht klappt: dann kann ich ohne die geringste Übertreibung sagen, dass ich nachts nicht schlafen kann.


Sehen Sie Ihren Job eher als Arbeit oder als Leidenschaft? Und wie funktioniert bei Ihnen eine Work-Life-Balance?

BOGDAN ROŠČIĆ: Also zweiteres ist leicht beantwortet. Sie ist einfach unmöglich. In einem Haus, das sieben Tage die Woche, zehn Monate im Jahr spielt, das täglich neue Fragen produziert und das etwas sehr Fragiles herstellt, sodass mitunter etwas zu Bruch geht, was man schon gesichert glaubte – da kann eine Work-Life-Balance nicht existieren. Aber dessen ist man sich bewusst, bevor man Direktor wird. Zu Ihrer ersten Frage – die Leidenschaft und die Arbeit. Es gab ja eine Zeit, in der es unglaublich modern war, Menschen Ihren Alters den Rat zu geben, im Leben einfach Ihrer Leidenschaft zu folgen. Ich halte das für eine ganz unreflektierte Ansicht. Denn ich glaube, dass man die Disziplin aufwenden muss, sich zu beschränken und eine Sache zu finden, an der man wirklich intensiv arbeitet, sozusagen in eine ernstzunehmende Tiefe bohrt. Wenn man das gut macht, entsteht Leidenschaft. Die allerwenigsten von uns haben das Privileg, schon mit drei Jahren gewusst zu haben, wozu sie im Leben berufen sind. Zwar hatte ich nicht das Vergnügen, Mozart zu kennen, aber ich glaube nicht, dass er lange nachdenken musste, wozu er auf der Welt war. Aber das war eben Mozart. Und in unserer Spezies gab und gibt es nicht viele Mozarts. Leidenschaft entsteht und existiert, weil der Gegenstand mir wert erscheint, die ernsthafteste und hoffentlich ambitionierteste Arbeit in ihn zu investieren. So ist es zumindest bei mir.


Viele Menschen empfinden eine Barriere, die sie von einem Opern-Besuch abhält. Wie bringt man solche Leute ins Haus? Man kann ja kaum mit allen einen gemeinsamen Opernabend verbringen.

BOGDAN ROŠČIĆ: Da gibt es keinen Dreh. Aber es gibt unzählige Formen von Angeboten, die man machen kann und die etwas bewirken. Das kann eine Einführungsveranstaltung zu einer Premiere sein, die man auch online verfügbar macht. Das kann ein Gespräch mit einer Sängerin wie Kate Lindsey sein, die auf ihre unnachahmliche Weise über ihre Rollen und Kunst spricht. Das kann ein gefilmtes Duett wie »Pur ti miro« aus Lʼincoronazione di Poppea sein, ein Pop-Hit in Wahrheit, den man auf allen Kanälen spielt. Das kann eine Fernsehübertragung sein. Eine Neon-Reklame an der Front der Staatsoper. Und so weiter. Es gibt 1.000 Details und Facetten und nichts davon ist nur richtig oder nur falsch. Es geht vielmehr um den Ausdruck einer generellen Haltung und die Haltung muss eine des Dialogs, der Öffnung, der Neugierde sein.


Glauben Sie, dass junges Publikum eher durch »moderne« Inszenierungen motiviert wird?

BOGDAN ROŠČIĆ: Ich habe da keine klare Meinung, wäre aber sehr erstaunt, wenn es ein Entweder-Oder wäre. Ich könnte mir vorstellen, dass es viele Altersgenossen von Ihnen gibt, die eine Mantel-und-Degen-Inszenierung, verbunden mit fantastischer Musik, schätzen. Übrigens, ich sehe es mitunter auch so. Ich mag unsere Tosca, diese historisierenden Kostüme, die Engelsburg. Es kommt aber immer darauf an, wie etwas gemacht wird. Eine Inszenierung kann modern sein und zugleich unglaublich trostlos. Oder sie kann alt sein und immer noch einen wahren Kern haben, den jeder und jede spürt. Was ist unser neuer Eugen Onegin? Ist er modern oder ist er klassisch? Man merkt, dass da eine Welt aus den Fugen geraten ist, aber nicht mit billig provozierenden Mitteln. Und unsere Poppea? Die ist ja nicht gerade konservativ, ich sehe da keine Paläste, keine Toga, keine römischen Kurzschwerter. Aber es ist auch kein theoretisierendes Konzepttheater. Diese gewohnten, symmetrischen Einteilungen in klassische Inszenierung, progressive Inszenierung, konservative Inszenierung funktionieren ja längst nicht mehr. Da muss jede und jeder skeptisch sein, wenn uns das einer vormachen will. Letztlich passieren gute Dinge nur, wenn man all das komplett hinter sich bringt und Kunst zulässt.


Interessierte können sich unter → jugend@wiener-staatsoper.at anmelden
Die Fragen stellten Teilnehmende von InsideOpera