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© Vincent Pontet

Kunst muss das Herz erreichen

Dem Wiener Opernpublikum wird gerne nachgesagt, in erster Linie den schönen Stimmen zu huldigen. Die Wahrheit ist: Nur wenn ein wahrhaft dramatischer Ausdruck erreicht wird, der mimische Aspekt zu seinem Recht gelangt, wenn einem Sänger oder einer Sängerin die komplette Durchdringung der Partie gelingt und die schöne Stimme in eben diesen Dienst gestellt wird, erst dann wird man hierzulande ein Publikumsliebling. Ein diesbezügliches Beispiel ist KS Sophie Koch. Seit 1999 kehrt die französische Sängerin regelmäßig an die Wiener Staatsoper zurück, um sich von Vorstellung zu Vorstellung tiefer in die Herzen der Zuschauer einzunisten. Im September gibt sie so etwas wie ein kleines Staatsopern-Gastspiel und zeigt mit dem Komponisten in der Ariadne auf Naxos und der Charlotte im Werther gleich zwei sehr unterschiedliche Rollenporträts. Im Vorfeld dieser beiden Aufführungsserien sprach sie mit Andreas Láng.

Warum mögen Menschen, dass man Ihnen Geschichten erzählt? Zum Beispiel in Form einer Oper?
Sophie Koch: Das Verlangen nach Geschichten ist eine uralte, sehr menschliche Eigenheit, vielleicht sogar eines der typischen Merkmale unserer „Spezies.“ Auf jeden Fall gilt sie für Kinder gleichermaßen wie für Erwachsene. Letztlich ist eine erzählte Geschichte eine Reise, eine Reise der Fantasie und eine Reise zur Fantasie. Darüber hinaus eine sehr persönliche Reise und von Person zu Person einzigartig. Bei der Oper kommt durch die Musik ein diesbezüglich verstärkender Aspekt dazu. Will sagen: das Geniale der Musik ist, dass sie die Fantasie auf einmalige Weise zu beflügeln vermag – darum kommt ihr, gerade in der heutigen Zeit, in der Kinder und Jugendliche so viel Zeit vor diversen, die Kreativität einengenden und zerstörenden Bildschirmen verbringen, eine unvergleichliche und besondere Aufgabe zu.

Oper ist demnach nicht „nur“ eine Unterhaltung auf hohem Niveau?
Sophie Koch: Fragen Sie die Regisseure, die suchen immer nach einem tieferen Sinn in den Meisterwerken. Ich bin froh, keine Regisseurin zu sein – mittlerweile ist vieles gezeigt, vieles gesagt worden und es ist somit sehr schwer, zum Beispiel einen Mozart zu inszenieren und einerseits seinen Willen und jenen des Librettisten zu akzeptieren und trotzdem in Korrespondenz mit der jeweils aktuellen Zeit zu bleiben. Um also Ihre Frage zu beantworten – Oper ist für mich zweierlei: Emotion und Sinn. Ich selbst singe ja auch nicht nur, weil es mir Spaß macht. Ursprünglich habe ich überlegt Journalistin zu werden oder Ärztin – etwas Vernünftiges also. Aber dann ist es doch das Singen geworden: es ging mir um ein Ideal, das nichts mit Ruhm und Geld zu tun hat.

Der Komponist in Ariadne auf Naxos sagt: Musik ist eine heilige Kunst…
Sophie Koch: Oh ja…!

Was aber heißt das? Welche Kunst ist nicht heilig?
Sophie Koch:
Ich glaube, dass jede Kunst, die die Herzen der Menschen erreicht, universell ist, heilig ist. Man muss sie nicht einmal in all ihren Facetten „verstehen“. Darum geht es nicht, sondern um das Ergriffen-Sein, das Bewundern und Kleinwerden vor einem bedeutenden Kunstwerk, das emotionale Bewegt-Werden. Das ist ja das Wunder der Kunst – egal, ob es sich um Musik, Malerei, Skulptur, Literatur handelt – dass sie so unterschiedliche Menschen erreicht.

Im Gegensatz zu einem Bild, einer Skulptur, einem Buch, können die meisten im Zuschauerraum einen Notentext nicht lesen. Sie benötigen einen Vermittler: Verstehen Sie sich nun ganz grundsätzlich als Übersetzerin eines Notentextes in klingende Musik oder als deren Interpretin?
Sophie Koch: Ich empfinde mich als Erbin, die das ihr anvertraute „Heilige“ weiterträgt und weitergibt. Das heißt ins Praktische übersetzt: Ich versuche das vom Komponisten notierte nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen und benutze dabei den Weg, den mir die Tradition vorgezeigt hat.

Betreten Sie die Welt einer neuen Partie zunächst von der emotionalen Seite aus oder wählen Sie gleich einen intellektuellen Zugang?
Sophie Koch: Ich gehe grundsätzlich sehr stark vom Text aus. Ich lerne zum Beispiel gerade die Titelrolle in Paul Dukas’ Ariane et Barbe-Bleue – eine sehr schwere Rolle übrigens, fast eine Sopran- Partie. Und der Text von Maurice Maeterlinck ist, wie bei Debussys Pelléas et Mélisande, überaus interessant, originell und verlangt richtiggehend danach, dass die Interpretin sich bis in die tiefsten Schichten hinunterbegibt, um den wahren und kompletten Sinn zu erfassen. Alle Farben möchten entdeckt, jeder Akzent verstanden werden. Erst danach arbeite ich an der Musik. Und auf diese Weise gehe ich alle neuen Rollen an.

Woran erkennt man eine geniale Musik? Was muss eine gute Partitur enthalten?
Sophie Koch: Das ist eine schwere Frage. Ich würde gerne sagen, dass ein geniales Werk sich nie abnützt, immer etwas zu sagen hat. Nur gibt es aber leider Werke, die ich als genial anerkenne, die aber einfach nicht meinen Geschmack treffen und mir daher nie viel sagen. Meine Liebe zum Belcanto hält sich zum Beispiel sehr in Grenzen. Dennoch: Eine Norma ist, auch wenn sie harmonisch viel simpler ist als eine Strauss- Oper, gerade durch ihre Einfachheit, durch ihre reinen fantastischen Melodielinien genial. Bei Strauss oder Mozart ist man ständig überrascht über ein Farbänderung, einen unerwarteten Harmoniewechsel, immer wird man mit etwas Neuem konfrontiert, nie kann sich Langeweile breitmachen. Es gibt also verschiedene Parameter, die über die Größe eines Werkes entscheiden. Aber das wohl wichtigste Kriterium bleibt, wie schon vorhin gesagt: Die Herzen der Menschen müssen angesprochen werden.

Sie singen im September an der Wiener Staatsoper nicht nur den Komponisten, sondern auch Charlotte – was beeindruckt sie nun an der Werther-Musik?
Sophie Koch: Werther ist eine Oper der Intimität. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, die im Laufe der Handlung eine deutliche Entwicklung durchmachen, und diese Beziehung ist das Thema an sich, das nicht von historischen, politischen oder sonstigen Fragen überdeckt wird, wie das gelegentlich in anderen Opern der Fall ist. Selbst die Nebenfiguren sind eigentlich nur vorhanden, um die Konventionen der Oper zu wahren. Musikalisch ist, unter anderem, ein deutlicher Einfluss der deutschen Musik vorhanden – ich kann mich an ein Pariser Werther-Dirigat von Michel Plasson erinnern, der ebendiesen deutschen Klang besonders herausgearbeitet hat: alles war sehr tiefgründig und dunkel – hat mir gut gefallen. Ich finde es, nebenbei bemerkt, sehr bedauerlich, dass die französische Oper international so wenig Unterstützung genießt – weltweit können sich dauerhaft kaum mehr als zwei, drei Titel im Repertoire behaupten, obwohl es eine Vielzahl an Juwelen gäbe…

Haben Sie bei sich im Laufe Ihrer bisherigen Laufbahn eine Veränderung hinsichtlich des Komponistengeschmackes bemerkt?
Sophie Koch: Ich glaube, die Liebe ist immer die Gleiche geblieben. Nur die Chance, die von mir geschätzten jeweiligen Komponisten tatsächlich singen zu dürfen, hat sich im positiven Sinn verändert. (lacht) Andererseits: Ich wollte immer Bach singen und bin nie dazugekommen, weil heute jeder in Schubladen gesteckt wird: man ist entweder Oratoriensänger oder Opernsänger. Früher waren diese Grenzen nicht vorhanden oder zumindest durchlässiger.

Wenn Sie sich einen Komponisten aussuchen müssten, mit dem Sie am Nachmittag Kaffee trinken gehen dürften …
Sophie Koch: Richard Strauss!!! (lacht) Nehmen Sie nur das Terzett aus dem Rosenkavalier im dritten Akt oder den Schluss des ersten Aktes: Der Text ist so stark, die Musik so gewaltig, dass ich jedes Mal von dieser Intensität überrascht werde. In diesen Passagen liegt so eine Ewigkeit …

Können Sie heute überhaupt noch als echte Zuschauerin einer Oper bewohnen oder meldet sich in Ihrem Inneren sofort die Sängerin, die alles nur nach ganz professionellen Gesichtspunkten beurteilt?
Sophie Koch: Ich bin diesbezüglich ein Kind geblieben (lacht). Ich liebe das große Spektakel und genieße es. Wenn ich eine Aufführung besuche, gehe ich nicht hin, um zu kritisieren, sondern aus Liebe zur Musik und zum Theater. Natürlich, bei Werken, die man gut kenn, hört man bei den großen Sängern besonders genau hin, um etwas lernen zu können. Oder aus reiner Bewunderung. Ich werde wohl niemals eine Turandot oder Brünnhilde singen, aber ich finde es jedes Mal unglaublich beeindruckend, was die jeweiligen Interpretinnen in diesen mörderschweren Partien vollbringen.

Und welche Musik hören Sie, um sich innerlich ins Lot zu bringen, sich innerlich zu reinigen?
Sophie Koch: Ich höre kaum Musik, ich sitze meist im Freien und höre der Natur zu.

Inwieweit darf oder muss ein Künstler, eine Künstlerin weltabgewandt sein, ausschließlich der Kunst leben?
Sophie Koch: Für mich wäre ein Dasein, in dem ausschließlich die Bühnenkarriere im Fokus steht, nicht leb-bar. Man muss doch geistig offenbleiben, Emotionen zulassen, Erfahrungen durchleben. Mein Mann und ich engagieren uns für eine Kinder-Stiftung in Kambodscha, weil wir die dort erlebte Armut nicht ertragen und lindern wollen. Kunst kann ohne Kontakt zur Realität nicht wahrhaftig sein.


Ariadne auf Naxos | Richard Strauss
7., 10., 13. September 2018

KARTEN & MEHR

Werther | Jules Massenet
22., 25., 28. September 2018

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