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© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor
Alexei Ratmansky bei Proben zu ≫Pictures at an Exhibition≪
© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor
Claudine Schoch, Marcos Menha, Francesco Costa, Ketevan Papava in »Pictures at an Exhibition« (Probenfoto)

Interview mit Alexei Ratmansky zu »Pictures at an Exhibition«

»In zwei Welten zuhause« - Der Choreograph Alexei Ratmansky im Gespräch

Alexei Ratmansky bewegt sich in zwei Welten. Einerseits widmet er sich mit Hilfe umfangreicher Quellenforschungen der Rekonstruktion des klassisch-russischen Balletterbes des 19. Jahrhunderts, andererseits gewinnt er für seine eigenen Werke neue Energien aus der Sprache des klassischen Balletts.

Was war der Ausgangspunkt für Ihre 2014 mit dem New York City Ballet uraufgeführten Pictures at an Exhibition, mit denen das Wiener Staatsballett in der Premiere Tänze Bilder Sinfonien nun erstmals eines Ihrer Werke zeigt?

AR: Die Musik ist für mich stets Anfang und Ende eines Balletts. Mein Ausgangspunkt waren Mussorgskis Bilder einer Ausstellung, die großen Einfluss auf die Entwicklung der russischen Musik genommen haben. Ich wollte unbedingt eine Choreographie zu diesen entwickeln. Während Mussorgski seine Inspiration in einer Gedenkausstellung mit Bildern seines verstorbenen Freundes, des Malers und Architekten Viktor Hartmann fand, habe ich einen anderen Zugang gewählt: Ich lies mich von Wassily Kandinsky, einem weiteren wichtigen russischen Künstler, inspirieren. Sein Bild Quadrate und konzentrische Ringe hing im Krankenzimmer meiner Frau, als mein Sohn geboren wurde. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich dieses Bild anstarrte und welch großen Eindruck es bei mir hinterließ. Beide Werke – Mussorgskis Musik und Kandinskys Farbstudie – haben für mich persönlich eine große Bedeutung und so kam der Wunsch, mich ihnen auf einer künstlerischen Ebene zu widmen.

Warum haben Sie sich für Mussorgskis Klavierversion und nicht für die Orchesterbearbeitung von Maurice Ravel entschieden?

AR: Ravels Orchestrierung ist wundervoll, keine Frage. Ich habe mich aber für das Original entschieden, weil es direkter zum Herzen spricht. Für mich fühlt sich diese Version ehrlicher an, auch weil sie intimer ist.

Die Komposition ist ein musikalischer Gang durch eine Ausstellung, bei dem jedes Bild aus den Augen des Betrachters beschrieben wird. Ist das auch das Ziel Ihrer Choreographie: mit Bewegung die von der Musik evozierten Bilder zu beschreiben?

AR: Jeder Satz kreiert eine einzigartige Welt – mysteriös und kraftgeladen, voller Emotionen und Symbole. Mein Ballett geht bewusst immer wieder einen entgegengesetzten Weg zum Offensichtlichen: Der zweite Satz handelt z. B. von einem »Gnom«, einer fantastischen, wütenden Kreatur. Diese Rolle habe ich mit einer Primaballerina besetzt – also mit einer schönen, anmutigen Frau. Das berühmte Stück Die Hütte der Baba Jaga ist ein weiteres Beispiel meines Spiels mit Kontrasten und das Hinterfragen von Stereotypen. Baba Jaga ist eine rätselhafte, im Wald lebende Magierin. Diesen Part lasse ich von einem Mann tanzen. Mein Ziel war es, verschiedene Farben in den Tänzerpersönlichkeiten zu entdecken, die auf der Bühne sonst nicht zum Einsatz kommen – und sie damit auch aus ihrer Komfortzone herauszulocken.

Wie gestalten sich Ihre Kreationsprozesse?

AR: Vom Point Zero, wenn ich das erste Mal das Studio betrete, bis zur Premiere geht es hoch und runter. Es gibt immer den Moment eines absoluten Tiefs. Meistens weiß ich genau, wann er kommt, und fürchte ihn immer. Es ist ein typisches Muster in meinen Kreationsprozessen: Ich beginne in einer Hochphase und einige Tage später geht es runter. Aber unabhängig davon muss ich stets inspirierend für die Tänzer*innen sein und ihnen die Energie geben, Schwierigkeiten zu überwinden. Als Choreograph lernt man mit diesen Momenten von Selbstzweifeln umzugehen. Ich habe Angst vor Balletten, die ich ohne Widerstände choreographiere. Da kann nur etwas falsch sein. Im Studio möchte ich immer zu 100% vorbereitet sein, das bedeutet aber nicht, dass ich nicht auf das reagiere, was im Ballettsaal passiert. Ich liebe es, auf die Persönlichkeiten und Ideen der Tänzer*innen einzugehen und ihre Reaktionen zu integrieren. Ich möchte mit meiner Arbeit ein Ensemble fordern, denn ich bin der Meinung, dass etwas, das zu einfach ist, nicht befriedigend sein kann. Jede Bewegung lässt sich in tausenden von Variationen ausführen. Das mit den Tänzer*innen zu untersuchen, interessiert mich. Jeder Körper ist anders, jede*r Tänzer*in eröffnet eine neue Welt. Das ist es, was ich am Choreographieren liebe.

Ist das klassische Ballett stets Ihre Basis?

AR: Auch wenn ich die Ausdrucks- und Bewegungsmöglichkeiten des Körpers im Raum so umfassend wie möglich erforschen möchte, so bleibe ich mit meiner Arbeit stets im klassischen bzw. neoklassischen Vokabular. Ich liebe das klassische Ballett, und meiner Meinung nach hat es ein enormes Potenzial, ist weder veraltet noch wird es das je sein. Es zeigt die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers, hat eine wunderschöne Logik und Harmonie. Im Ballett finden sich schon immer Einflüsse anderer Disziplinen, aus dem Sport, der Akrobatik, dem Street Dance, Ballroom Dance oder Volkstanz. Das beweist, dass es offen für Neues ist. Das »Sytem« klassisches Ballett bleibt so am Leben. Es ist nicht nur streng formal, sondern kann sich auch sehr zeitgenössisch anfühlen, wenn man Augen und Ohren öffnet.

Neben Ihren eigenen Choreographien studieren Sie auch die russischen Ballettklassiker weltweit ein und stützen sich dabei auf historische Notationen. Inwieweit hat sich das Schrittmaterial bzw. die Bewegungssprache im klassischen Ballett verändert?

AR: Wenn man die Sprache und den Status einer Sprache durch verschiedene Zeiten beobachtet, kann man feststellen, dass sie manchmal ihre Farben verliert, sich nicht mehr relevant oder tot anfühlt, manchmal aber auch neue Worte auftauchen, die ihre eigene Schönheit haben – nicht vergleichbar mit den alten. Bei allen Einflüssen muss man seine Aufmerksamkeit auch dem Lauf der Zeit schenken. Deshalb interessieren mich die alten Notationen sehr. Man sieht unvergleichlich schöne und interessante Bewegungen, die heute aber nicht mehr verwendet werden. Es ist eine Bereicherung, sich auch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, denn ich glaube nicht an einen Fortschritt im Handwerklichen. Man kann nicht sagen, dass Künstler*innen heute besser sind als vor hundert Jahren. Sie sind nur anders. Es gibt so viele Aspekte, die Veränderungen mit sich bringen. Der Boden ist ein gutes Beispiel. Auf einem Holzboden zu tanzen, fühlt sich anders an, als auf einem Linoleum-Boden. Spitzenschuhe sind heute ganz anders konstruiert als die Schuhe, die Tänzerinnen früher trugen. Damals hatten sie weichere Schuhe, aber dafür stärkere Muskeln. In den alten Notationen sind viele Schritte enthalten, die so schwierig für heutige Tänzer*innen sind, dass sie sie gar nicht mehr umsetzen können. Vieles an der Technik ist verloren gegangen. Gleichzeitig haben wir im Laufe der Zeit vieles gewonnen. Für mich ist es sehr spannend, herauszufinden, welche Schritte verwendet wurden, wann sie sich entwickelten und wann sie aus der Aufführungspraxis verschwanden. Es geht um das tiefe Eintauchen in den Pool der Möglichkeiten des klassischen Repertoires.

Freuen Sie sich auf Ihre erste Zusammenarbeit mit dem Wiener Staatsballett?

AR: Ich freue mich sehr auf den gesamten Prozess. Ich habe einen enormen Respekt vor der Compagnie und bin beeindruckt von Martin Schläpfers Visionen und Ideen, die er mit dem Wiener Staatsballett verwirklichen möchte. Wien ist eine legendäre Stadt und das Ensemble großartig. Es wird sehr spannend für mich sein, Pictures at an Exhibition mit den Tänzer*innen einzustudieren und zu sehen, welche Farben sie dem Ballett geben.

Das Interview führten Nastasja Fischer & Florian Gebauer