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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Im Irrgarten der Gefühle

William Shakespeares Sommernachtstraum: Im Komödienfach verweist das Stück auf eine ebensolche Ausnahmestellung wie Hamlet in puncto Tragödie oder Der Sturm als multiperspektivisches Spätwerk. Wobei, was heißt schon Komödie! Einem einfachen und rein-komischen Lachtheater verweigert sich der Sommernachtstraum von jeher ebenso konsequent, wie er sich der raschen Etikettierung entzieht. Doch vielleicht gerade auch darum wurde das Stück bereits in seiner Entstehungszeit vom Publikum angenommen, das sich von der komplexen und vieldeutigen Struktur nicht abschrecken, sondern sich vom Stoff ansprechen und verzaubern ließ.

Das Besondere am Sommernachtstraum beginnt freilich schon in der Stoffwahl. Entgegen seiner üblichen und damals allgemein verbreiteten Vorgangsweise griff Shakespeare bei diesem Werk nicht direkt auf ein Vorgängerstück aus anderer Feder zurück, sondern schuf es, wenn auch in Einzelelementen durch unterschiedliche Quellen beeinflusst, gänzlich neu. Manches, wie das Paar Pyramus und Thisbe waren freilich aus der antiken Dichtung bekannt, doch das Substrat, das den Sommernachtstraum ausmacht, ist keine Bearbeitung, sondern ganz Shakespeare. Neuere Forschungen weisen zu Recht darauf hin, dass Erinnerungsmomente aus seiner Jugend ebenso Teil des Sommernachtstraums geworden sind wie generell ein facettenreiches Verweissystem, das jeweils unterschiedliche Schichten des heterogenen englischen Publikums zu dekodieren verstanden.

Wohl Ende des 16. Jahrhunderts verfasst, wagte Shakespeare mit dem Sommernachtstraum etwas gänzliches Neues: In fünf Ebenen dekliniert er mögliche Wege und Irrwege des menschlichen Miteinanders in einer Verschachtelung und ungewohnten Komplexität durch, wählt vom Adel bis zu den Handwerkern unterschiedliche Zugänge und zeigt sich im Aufdecken des erotischen Treibens ebenso unkonventionell wie er seine eigenen Weltanschauungen – die heilsame Abkehr von Leidenschaften – zur Diskussion stellt. Harmonie versus Disharmonie, schwere Träume, eine Welt im Umbruch, Naturgewalten: von all dem erzählt der Sommernachtstraum.

Bereits der Titel ist Programm: Mit A Midsummer Night’s Dream stellt Shakespeare sich in die Tradition der Mystifizierung des Mittsommers, also der Sommersonnenwende, in deren Gefolgschaft die vernunftabgewandten Mächte durchschlagen. Doch geht es nicht (nur) um das Treiben erstaunlicher geisterhafter Wesen, sondern um das Aufbrechen des Verborgenen im Menschen und die Entkopplung der Ratio. Es mag nicht erstaunen, dass gerade dieses Dunkle, das pandämonische Potenzial, in der Klassik mit scheelem Blick betrachtet, später in reinliche Farben gehüllt wurde. Felix Mendelsson Bartholdys auf lange Zeit prägender Geniestreich der Sommernachtstraum-Musik entführt in eine durch Elfenspuk verzauberte Welt, sie zeigt eine andere Seite der Erzählung: die rein heitere. Diese dominierte für Generationen gerade in Deutschland die Bühnen und machte den Sommernachtstraum zu einem der meistgespielten Shakespeare-Werke. Andere Musikfassungen (auch einzelner Themen des Stücks) – von Henry Purcell, Ambroise Thomas, Carl Maria von Weber, Carl Orff oder Ernst Krenek – konnten unterschiedlich reüssieren, hatten jedoch nie eine solche Wirkungskraft wie Mendelssohn Bartholdy.

Mit Benjamin Britten trat in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine neue Opernfassung in die Welt, die eine gültige Lesart des großen Stoffes anbietet; in nur sieben Monaten verfasst, erfüllte sich Britten anlässlich der Wiedereröffnung der Jubilee Hall in Aldeburgh den Wunsch der Vertonung eines Shakespare-Stoffes. Da die Zeit drängte, suchte er erst gar nicht nach einem Librettisten, sondern nahm einen Text, der allgemein geläufig, kunstvoll und vor allem: bereits vorhanden war. Britten und sein künstlerischer wie privater Partner Peter Pears kürzten den Sommernachtstraum auf drei Akte ein, hielten sich jedoch eng an den Shakespeare-Text: praktisch wortgleich, nur eben kürzer. Eine Literaturoper also, und das in reinster Form. Und für Statistiker: Nur sechs Worte schrieben die beiden zum Originaltext hinzu.

In die mittelgroße Orchesterbesetzung fügte Britten unter anderem auch Glockenspiel, Celesta und Vibraphon hinzu, um eine entsprechende Farbigkeit für die zum Einsatz kommenden Welten zu erreichen; wie er überhaupt eine rollenspezifische Klangumgebung für unterschiedliche Figuren beziehungsweise Gruppierungen entwarf. Die Elfenwelt ist mit Countertenor, Kinderstimmen und Koloratursopran ins hohe Register gesetzt und hell koloriert, sie wirkt erdenfern; die menschlichen Liebenden bewegen sich in den konventionellen Tonlagen, die Handwerker, ein Sextett aus Männerstimmen, wirken erdiger, ihnen spendiert Britten eine Parodie des traditionellen Musiktheaters. Die unwirklichen Grundsituationen des Sommernachtstraums, die verselbständigten Wirksamkeiten des Transrealen, die Verschattung der durchleuchtenden Vernunft, den Traum, das Waldweben, all das lässt Britten bereits in den geheimnisvoll raunenden Streicherklängen des Beginns hören, die sich zart emporarbeiten und mit Sogkraft in die Feenwelt ziehen, bis es endlich im Diskant zu blinken beginnt. Diese glissandoreiche Musik des Zaubers taucht in einer Brückenfunktion immer wieder auf und erinnert an die zarte Traumverortung der Handlung, die erst im dritten Akt einen stärkeren Zug ins Diesseits erhält. Britten erschafft einen musikalisch vielschichtigen, immer auch betörenden und berückenden Zauber, der sich nicht im einfachen klanglichen Bebildern verfängt, sondern auch Unausgesprochenes mitschwingen lässt. In gleichem Maße bleibt Britten augenzwinkernd, verwebt Verweise auf Kollegen, fächert eine atmosphärische Klangwelt auf.

An der Wiener Staatsoper wurde A Midsummer Night’s Dream bereits bald nach der Uraufführung erstmals gegeben. 1962, in Herbert von Karajans Direktion, erschien das Werk auf dem Spielplan: die erste Britten-Oper im Haus am Ring – und ein Hinweis, dass Karajan als Direktor der Institution an zeitgenössischem Musiktheater ein ehrliches Interesse hatte, das er in die Tat umzusetzen verstand. Heinrich Hollreiser dirigierte die Premiere am 18. Oktober 1962, Werner Düggelin inszenierte in einem Günther Schneider-Siemssen-Bühnenbild, unter anderem waren Gerhard Stolze, Teresa Stich-Randall, Heinrich Schweiger (Puck!), Gundula Janowitz, Erich Kunz und Robert Kerns zu erleben. Innerhalb von zwei Jahren spielte man den Sommernachtstraum 15mal, danach verschwand das Stück. 55 Jahre später kehrt das Meisterwerk nun wieder ans Haus am Ring zurück, Simone Young, deren letzte ihrer mannigfaltigen Staatsopern-Premieren (Prokofjews Der Spieler) zwei Jahre zurückliegt, übernimmt die musikalische Leitung. Irina Brook – sie inszenierte im Haus am Ring Donizettis Don Pasquale als burleskes, buntes und pinkfarbenes Theater – führt Regie, ein Mix aus Gästen und Ensemblesängern bestreitet die zahlreichen Partien.

So reichhaltig und faszinierend das Schaffen Shakes peares auch war: die Liste der Musiktheater-Vertonungen seiner Dramen, die ihrerseits Theatergeschichte geschrieben hat, ist überschaubar. Benjamin Brittens Sommernachtstraum gehört zu diesem exklusiven kleinen Kreis, schafft er doch nicht nur die Überführung eines brillanten und faszinierenden Textes in ein anderes Genre, sondern auch die weiterführende Anreicherung des bekannten Stoffes mit den Mitteln der Oper. Und, unabhängig von all dem, gelang Britten ein, wie man so schön sagt, Wurf: Hinreißende Musik, feines Theater, eine schimmernde Traumwelt sowie eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Menschen in all seinen Schichtungen.

Oliver Láng


A Midsummer Night’s Dream
Premiere: 2. Oktober 2019
Reprisen: 5., 9., 13., 17., 21. Oktober 2019

Einführungsmatinee:
22. September 2019

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