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Im Dienste des Komponisten

Der Oberpriester des Dagon, der große Gegenspieler des Protagonistenpaares Samson und Dalila, ist ein gern unterschätzter Motor der Handlung. Nicht auszuschließen, dass das Verhältnis der beiden ohne ihn deutlich glimpflicher ausgegangen und es womöglich sogar zu einer historischen Völkerverständigung gekommen wäre… Vor rund drei Jahren hat KS Carlos Álvarez diese Rolle zum ersten Mal in Oviedo gegeben und wird ihr nun in der aktuellen Neuproduktion an der Staatsoper seine Stimme und Persönlichkeit leihen.

Ist der Oberpriester der eigentliche Bösewicht in dieser Oper?

Carlos Álvarez: Würden Sie sagen, dass die heutigen Politiker böse sind? Was ist der Oberpriester des Dagon? Die zentrale politische und religiöse Macht der Philister in einer Zeit, in der Menschenleben nicht viel galten und die Geschichte nur von den Siegern geschrieben wurde. Ich werde mich hüten, jemanden aus einer längst vergangenen Epoche und aus einem für uns fremden Kulturkreis zu richten. Wie soll ich die für den Oberpriester gültigen Werte mit den Maßstäben unserer Gesellschaft messen? Aus seiner Sicht kann das Ziel nur in der Vernichtung Samsons liegen – und darin wird er nichts Verwerfliches erkennen. Das Publikum soll durchaus über die Sinnhaftigkeit dieses Standpunktes nachdenken, über alternative Wege diskutieren, aber so einfach als Bösewicht würde ich den Oberpriester nicht abqualifizieren.

Wird sein Handeln nur von strategischen Überlegungen bestimmt, agiert er vollkommen emotionslos? Oder könnte auch er den Reizen der Dalila erliegen?

Carlos Álvarez: Sicher ist, dass der Oberpriester, da er Samson nicht selbst überwinden kann, Dalila für diesen Zweck benötigt. Aber, mein Gott… wir wissen doch, dass im Mittelalter auch Päpste Kinder hatten, das offizielle Zölibat ohne Skrupel verletzten und wenn Dalila es darauf anlegte, könnte sie den Oberpriester wohl ebenfalls verführen, was ihm durchaus gefallen dürfte. Denn selbst im Krieg – und in dieser Geschichte sind wir im Krieg – geht das Leben weiter und das Leben beinhaltet nun einmal Aspekte wie Hass, aber auch Liebe, körperliches Begehren, überhaupt jede denkbare emotionale Regung.

Inwieweit weist der Oberpriester im Laufe der Handlung eine charakterliche Entwicklung auf?

Carlos Álvarez: Gar keine! Er hat eine starke, aber etwas eindimensionale Persönlichkeit und wird im Prinzip nur von einer fixen Idee beseelt: Der Zerstörung Israels – und als Etappe auf diesem Weg – der Vernichtung Samsons. Flexibilität besitzt der Oberpriester nur in der Wahl der Mittel. Und so gesehen, um auf Ihre vorige Frage zurück zu komme, würde es an seiner grundsätzlichen Haltung wenig ändern, wenn er sich von Dalila verführen ließe.

Handelt es sich hier um eine typische französische Partie beziehungsweise: womit wäre der Oberpriester zu vergleichen?

Carlos Álvarez: Französische Baritone sind immer elegant, selbst wenn sie über sehr wesentliche Dinge reden – dies gilt auch für den Oberpriester. Die Rolle selbst liegt von der Tessitura her recht angenehm – ideal für dramatische Stimmen und die Musik ist überaus deskriptiv und bietet viel Raum für eine vokale Differenzierungskunst. Mit wem wäre die Partie zu vergleichen? So wie der Escamillo, wenn auch in einer anderen musikalischen Sprache, beginnt auch der Oberpriester mit einer großen, publikumswirksamen Eingangsnummer, in der der Sänger möglichst alles geben sollte und auch viel zeigen kann. Reich an Farben ist auch die Szene mit Dalila im zweiten Akt, wohingegen der dritte Akt von den Herausforderungen her fast wie ein Spaziergang für den Sänger ist – ein Amüsement.

Wie viel Freiheiten hat der jeweilige Sänger in der Interpretation, wie exakt hat Saint-Saëns seine Vorstellungen notiert?

Carlos Álvarez: Ich mag das Wort „Interpretation“ nicht so gern. Das klingt nach: „Ich versuche aus der Partitur etwas herauszudeuten, von dem ich annehme, dass der Komponist das gemeint haben könnte.“ In Wahrheit ist, spätestens ab Verdi, alles Notwendige sehr klar aus den Partituren herauszulesen. Was ein Sänger oder Musiker macht ist daher ab dieser Musikepoche keine Interpretation, sondern eine Übersetzung eines Notentextes in klingende Musik – das gilt somit auch für Saint-Saëns.

Aber wo ist dann der Unterschied zwischen zwei Sängern, die beide die gleiche Rolle eben nicht interpretieren, sondern im Sinne des Komponisten in Musik übersetzen?

Carlos Álvarez: Der Unterschied liegt in den stimmlichen Voraussetzungen – ein Sänger ist für den Hörer im Normalfall ja in erster Linie an der Stimme zu erkennen. Der Unterschied liegt aber auch in der Art, in der jemand atmet, die Worte artikuliert und wie er schauspielert. Und natürlich beeinflusst indirekt nicht zuletzt die Persönlichkeit eines Sängers das Ergebnis.

Denken Sie gelegentlich darüber nach, was Sie in einer bestimmten Situation anders machen würden als der gerade darzustellende Charakter?

Carlos Álvarez: Nein. Nicht einmal beim Jago, denn ich muss frei bleiben, um die vom Komponisten und Librettisten kreierte Figur lebendig werden zu lassen. Wenn ich mir sagte, was der Betreffende besser anders machen sollte, komme ich automatisch wieder in das Fahrwasser des moralischen Richters und dann stünde ich mir selber im Weg. Die Bühnenfigur ist die Bühnenfigur und ich versuche ihre Art des Denkens soweit zu transformieren, dass ich ihr meine Stimme leihen kann. Das, was dabei herauskommt, und sei es der schwärzeste Bösewicht, kann dann beim Zuschauer als abschreckendes Beispiel, als Kritik an einer Gesellschaft etc. wirken – auf jeden Fall muss die Botschaft der Schöpfer auf diese Weise transportiert werden. Mit anderen Worten: Ich möchte alle von mir verkörperten Charaktere dem Publikum direkt vorstellen und nicht erst durch den Umweg meines persönlichen moralischen Filters.

Andreas Láng


Camille Saint-Saëns
Samson et Dalila

Premiere: 12. Mai 2018
Reprisen: 15., 18., 21., 25., 28. Mai 2018

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