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© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

GENIE, KUNST & WAHN

Der Applaus war lang, begeistert und unwidersprochen. Die Cardillac-Premiere von 2010 konnte als glatter Erfolg verbucht werden, bei der alles stimmte: Von der Besetzung der Solistinnen und Solisten über die musikalische bis hin zur szenischen Interpretation. »Riesenerfolg für Cardillac« titelte Karl Löbl, und so manch ein Kritiker lobte die Produktion in den allerhöchsten Tönen. Cardillac: das ist Paul Hindemiths 1926 erstaufgeführte Oper, die bereits ein Jahr nach der Dresdner Uraufführung auch an der Wiener Staatsoper zu erleben war und seither unregelmäßig, aber letztlich stetig, gespielt wird. Erzählt wird die Geschichte des genialen Goldschmieds Cardillac, der sich von den von ihm geschaffenen Schmuckstücken nicht trennen kann und Morde begeht, um sie wieder zurückzuerlangen. Selbst in seinem Tod, den er durch das aufgebrachte Volk erleidet, gilt sein letzter Gedanke dem Schmuck.

Die Handlung geht auf E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi zurück, wobei in der Oper die Geschichte in manchem stark verändert erscheint. Besonders auffällig ist, dass die titelgebende Figur – eben das Fräulein – gestrichen wurde und dem Stoff jede romantische Farbe fehlt. Stattdessen werden in der Oper die Kräfte einer aus dem Expressionismus kommenden Sprache mobilisiert: Librettist Ferdinand Lion, ein enger Freund von Thomas Mann, André Gide und Alfred Döblin, sorgte für einen markanten Text, dessen Dichte und verknappte Form, die oftmals aus mit Rufzeichen versehenen Schlagworten zu bestehen scheint, gleich zu Beginn alarmierend tönt: »Mörder! Unter uns, zwischen uns! Greift ihn! Werft ihn in die Höhe wie einen Ball!« Es ist eine aufgebrachte Volksmenge, die erregt skandiert: »Wie viele der Morde! Zehn, dreißig, hundert?«

Hindemith jedoch überschritt in seiner Musik den Expressionismus und schuf eines der zentralen Werke der Neuen Sachlichkeit: Auf seiner Suche nach einer neuen, zeitgemäßen Musiktheatersprache entdeckte er für sich eine Vielfalt an raffiniert verwobenen Ausdrucksformen, die er in eine klangliche Mechanik kleidete. Barocke Formen geben immer wieder den Rahmen, in diese setzt Hindemith eine plastische, ungemein griffige Musik, aber auch Ziseliertes. All das bildet ein Amalgam, das nicht nur die Kunst der 1920er Jahre reflektiert, sondern bis heute ungemein frisch und schlackenlos klingt. – Kurzum: Cardillac beweist eine Sogkraft, die jedes Mal aufs Neue fasziniert.

Regisseur Sven-Eric Bechtolf, dessen Arbeiten im Staatsopern-Repertoire zahlreich sind, orientierte sich in seiner Inszenierung an der Ästhetik der 1920er Jahre. Große, überzeichnete Gesten, Schwarz-Weiß- Effekte, Riesenschatten und puppenhaftes Spiel bestimmen die Produktion, nicht zufällig ist man an Filme wie Nosferatu erinnert. Gerade diese Stilisierung verbindet sich mit Hindemiths unpathetischer Klangsprache und erzeugt eine Geschlossenheit, die den 90minütigen Abend zu einer Auseinandersetzung mit Geniekult und Wahn wie auch zu einer klug gesetzten, raffinierten Theaterästhetik werden lässt. Vor allem aber ist die an Typen orientierte Figurenzeichnung von großer Eindrücklichkeit: die puppenhaft trippelnde Tochter des Goldschmieds, der flatternde Kavalier, das restliche, überdeutlich kolorierte Personal der Oper, dem eine jeweils ihm eigene Motorik zugewiesen wird, sie alle lassen auch an die Gefühlsmechanik denken, auf die der Regisseur Bechtolf in Bezug auf das Werk hinweist.

Mit KS Tomasz Konieczny kehrt einer der großen Sängerdarsteller unserer Zeit an das Haus zurück. Unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister singen weiters die hochgelobten Ensemblemitglieder Vera- Lotte Boecker (sie wurde kürzlich zur Sängerin des Jahres gewählt), KS Wolfgang Bankl, Daniel Jenz, Gerhard A. Siegel, Stephanie Houtzeel und Evgeny Solodovnikov.

CARDILLAC (Wiederaufnahme)
2. / 5. / 10. / 13. November 2022
Musikalische Leitung Cornelius Meister Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
Mit u.a. KS Tomasz Konieczny / Vera-Lotte Boecker / Gerhard A. Siegel / KS Wolfgang Bankl / Daniel Jenz / Stephanie Houtzeel / Evgeny Solodovnikov


Karten & weitere Informationen

→ Kostenlose Werkeinführung jeweils eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Gustav Mahler-Saal