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© Ivan Balderramo (Urmana) Neda Navaee (Stemme)

Fast eine Art HAMLET-FIGUR

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Im Jänner steht wieder Richard Straussʼ intensives und packendes Meisterwerk Elektra am Spielplan der Staatsoper. In Harry Kupfers vielgelobter Inszenierung, die sich als anklagender Kommentar zu allen Diktaturen der Welt liest, stehen mit den Kammersängerinnen Nina Stemme und Violeta Urmana zwei Künstlerinnen auf der Bühne, die jeweils für sich Operngeschichte schrieben und schreiben. Im Gespräch erkunden sie die Klang- und Theaterwelt der Elektra, liefern präzise Figurenportraits und erläutern die psychologische Unterfütterung der Charaktere.

Dem Libretto der Oper liegt zunächst einmal das Schauspiel von Hofmannsthal zugrunde, in dem die Schauspielerin Gertrud Eysoldt bei der Uraufführung die Titelpartie verkörperte. Sie sprach davon, dass sie unter der Rolle, unter der Gewalttätigkeit des Stückes leide und die Elektra daher eigentlich nur ein einziges Mal spielen könne. Greift die Oper ebenso intensiv auf Sie zu? Egal, ob wir jetzt von der Elektra oder der Klytämnestra sprechen.

NINA STEMME Absolut. Wobei ich die Partie natürlich schon mehrfach gestaltet habe, auch schon an der Wiener Staatsoper. Wenn man Elektra singt und die Figur darstellerisch auf die Bühne bringt, muss man zwischen der rein äußeren Handlung und der inneren Ebene unterscheiden. Das Äußere in Elektra ist so gewaltig, brutal und intensiv, dass ich schier zusammenbrechen müsste, wenn ich es abbildete. Mir persönlich geht es eher um die innere Geschichte. Die ist ebenso gewaltig und gewalttätig, spielt sich jedoch auf einer psychologischen Ebene ab. Diese muss ich als Sängerin natürlich in Gesten und in körperlichen Ausdruck überführen, damit sich die Figur auf der Bühne vermittelt. Das Publikum will ja sehen, was in Elektra vorgeht.

VIOLETA URMANA Vielleicht hatte die Schauspielerin Recht, weil es im Stück noch brutaler zuging. Die Musik glättet einiges. Für mich persönlich ist es wichtig, mich auf die Partitur zu stützen. Sie bietet mir als Interpretin alles Nötige. Um die Opernfigur lebendig zu gestalten, muss man in die Situationen und die Lebensgeschichte der Figur eintauchen können, aber darf nicht ertrinken. Oper ist Oper und Leben ist Leben. Daher sollte man zu allen Gewaltfantasien eine gewisse Distanz aufbauen, die man fürs Singen sowieso braucht. Ich kann die Oper sehr gut vom Leben trennen, da bleibt nichts an mir hängen, nur die Freude an der auf der Bühne erlebten Emotionen.

Wie ist die Sicht der Klytämnestra auf die Welt, auf ihre Tochter Elektra? Was spielt da alles mit? Hass? Angst? Sieht sie in Elektra Agamemnon?

UR Alles, was ich hier erzähle, ist meine eigene Sicht auf die Dinge, die in den verschiedenen Inszenierungen unterschiedlich gelenkt wird. Allgemein könnte ich sagen, dass die Klytämnestra eine Überlebenskünstlerin ist, mit allen Wassern gewaschen. Sie hat Gewalt erlebt und lebt diese auch aus. Ihre Tochter hat sie einmal geliebt – und höchstwahrscheinlich wurde sie von Elektra auch geliebt. Das spiegelt sich in manchen Phrasen der Szene wider. Vielleicht hat das Leben sie misstrauisch und hart gemacht, vielleicht wurde sie zu manchen Gräueltaten und Opferungen von ihrer Umgebung verleitet. Sie hat eher Angst, da sie das Vertrauen verloren hat. Und ein Mensch, der nicht schläft, erlebt manche Bewusstseinsveränderung. Vielleicht ist ihr Hass auf Agamemnon geblieben, oder ist der auch schon verblasst und sie wird nur noch durch Elektras Verhalten an ihn erinnert? Das, was sie ihrem Sohn Orest angetan hat, ist nicht ganz klar: Hat sie ihn aus Angst oder durch äußeren Einfluss wegbringen lassen?

Wagen wir einen Blick in Elektras Seelenwelt. Was sieht man dort?

ST Rache, Rache, Rache...

Und Klytämnestras Welt?

UR Alles, was ich vorhin erwähnt habe, wirkt auf die Seele der Klytämnestra. Sie ist innerlich zerrüttet. Das, was sie fühlt, beschreibt sie mit furchtbarsten Worten und in schrecklichsten Bildern. Sie lebt sozusagen im Daueralptraum.

Wir sehen Elektra–Klytämnestra sehr oft als unversöhnliches Gegensatzpaar – und dennoch sind sie Tochter und Mutter. Gibt es auch Verbindendes? Lassen sich innere Verwandtschaften finden?

ST Man hört dieses Verbindende während der großen Szene von Klytämnestra und Elektra ganz genau in der Musik, beide versuchen sich an die jeweils andere anzunähern. Doch gelingt das nicht, weil sie auf ganz unterschiedlichen Planeten leben. Aber immerhin, sie versuchen es! Verbindend ist die Familie, die krank ist, durch Mord und Rache geprägt. Übrigens ist ein Blick in die antike Vorlage spannend, weil die Frauenfiguren dort gänzlich anders ausgestaltet sind: Elektra ist bei Euripides eine Lichtgestalt, die sich Kinder wünscht. Erst Hofmannsthal hat die drei Frauen mit so unterschiedlichen Lebenszielen ausgestaltet und etwa Chrysothemis den Kinderwunsch zugeschrieben. Auf die Oper hat diese antike Analyse keinerlei Einfluss, aber wir erkennen so die psychologisierende Handschrift Hofmannsthals, die auch die Oper prägt.

UR Man sagt ja, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Klytämnestra sucht den Kontakt zu Elektra, wenn auch vielleicht nur, um Nutzen daraus zu ziehen. Vielleicht, tief in ihr drinnen, würde Elektra sie gern haben. Wie man das ausführt, ist auch eine Frage der Regie, die diese Gefühle für einen Moment zeigen könnte und so Elektra nicht eindimensional rachesüchtig erscheinen ließe.

Auf den ersten Blick sehen wir in Klytämnestra eine Verbrecherin, lässt sich aber auch eine menschliche Seite an ihr entdecken?

UR In der Oper betrachten wir Klytämnestra mit den Augen der Elektra, die sie als Mörderin sieht. Sie zeigt ihre verwundbare Seite, ist froh, mit der Tochter über ihr Problem zu reden und merkt dabei nicht, wie Elektra ihre Schwäche brutal ausnutzt, um sie zu einer vermeintlichen Lösung zu führen und dann zuzuschlagen.

ST Natürlich gibt es auch die menschliche Klytämnestra, sonst würde sich Elektra ja nicht um sie kümmern. Ich glaube überdies, dass Elektra sich selbst den Platz außerhalb des Palastes gewählt hat, dort lauert sie... und wartet. Eigentlich wartet sie die gesamte Zeit, auf ihre Mutter, auf die Rache, die sie nicht ausüben kann. Dadurch wird Elektra auch eine Art Hamlet-Figur.

Doch warum verharrt Elektra in dieser wartenden Position? Warum kann sie sich dem Hamlet’schen Zögern nicht entziehen?

ST Sie zögert ja nicht nur, sondern drängt die anderen zum Tun, ohne selbst aktiv zu werden. Alles, was sie sich vorstellt, findet nur in ihrem Kopf statt, wie in einem Traum. Warum? Das ist eine Frage, die ich für mich nicht abschließend beantworten kann. Vielleicht gibt es darauf gar keine schlüssige Antwort. Elektra glaubt, die Tat vollbringen zu können, entdeckt aber, dass sie dazu nicht in der Lage ist. Es entspricht ja auch der Tradition der griechischen Tragödie, dass Orest – als Mann – die Tat vollziehen muss und nicht Elektra als Frau. Aber womöglich begreift Elektra gar nicht, dass sie es selbst, entgegen der Tradition, auch machen könnte? Sobald jedoch der Mord, den ihr Bruder Orest begeht, geschehen ist, ist Elektras Ziel erreicht, mit dem Tod Klytämnestras verliert sie das, worauf sie so lange gewartet hat.

Verdient Klytämnestra in ihrer Getriebenheit unser Mitleid? Sie war ja auch ein Opfer des Agamemnon.

UR Sicher! Es gab bestimmt einen Grund, warum er mit ihrem Zutun umgebracht wurde. Von dem Mythos existieren ja mehrere Versionen, in einer davon hat Agamemnon sie zuerst vergewaltigt und sie danach zur Frau genommen. Auch war er bereit, die gemeinsame Tochter Iphigenie zu opfern. Doch so oder so – die Schuld lastet schwer auf ihrer Seele. Nun ist sie die Getriebene des Erlebten, gejagt von inneren Dämonen, die sie und sogar ihre Kinder verfolgen.

Der Regisseur unserer Produktion, Harry Kupfer, sprach davon, dass Elektra eine Psycho-Terroristin ist. Manipulativ, hart, rachsüchtig.

ST Ich glaube, dass sie sich selbst glaubt, als sie Chrysothemis zu manipulieren und überzeugen versucht. Im Grunde möchte sie eine Schwester sein, eine liebevolle, gewöhnliche Schwester. Ich sehe da einen versöhnlichen Zug in ihrem Charakter: Elektra will ein ganz normaler Mensch sein, durchschnittlich. Aber sie ist psychisch gestört, zerstört. Die Liebe aber, die sie zu Orest entwickelt, ist unglaublich! Fast unmöglich, sie zu rechtfertigen. Man hört das in der Musik, übrigens musikalisch mein Lieblingsmoment in der Oper.

Die Oper Elektra schwankt zwischen zwei Polen – dem antiken Mythos und einer psychologisch stark angereicherten Sicht, die zur Entstehungszeit neu und außergewöhnlich war. Wir wissen ja, dass Hofmannsthal von den damals bahnbrechenden Forschungen Sigmund Freuds und Josef Breuers fasziniert war. Welcher Aspekt spricht Sie stärker an, der Mythos oder die Psychoanalyse?

UR Es ist ein reichhaltiges Stück. Die Partitur, sowohl Text als auch Musik, formen auf eine perfekte Weise vielschichtige Portraits der beteiligten Personen. Die Musik vertieft die Charaktere ungemein und macht sie so zu lebendigen Figuren. Ich muss Klytämnestra als eine allumfassende lebendige Person darstellen, genau so sehe ich sie. Natürlich kann sie auch ein Symbol für Ursache und Wirkung sein, für Verbrechen und Vergeltung. Aber da Strauss die Figurenportraits so präzise gezeichnet hat, ist sie für mich eher eine reale Figur.

ST Für mich ist Elektra ein psychologisches Drama. Hofmannsthal hat einen Mythos, den damals viele gekannt haben, benutzt und für seine Zwecke geformt. Und das Publikum der Entstehungsepoche hat das genau verstanden, da sie sich des Mythos’ ja bewusst waren. Schließlich war die Psychologie zu dieser Zeit absolut à la mode. Und selbst wenn man Elektra wie ein antikes Drama präsentierte, steckt immer noch Psychologie drinnen – denn sie ist einfach ein elementarer Bestandteil der griechischen Tragödie. Für mich ist Elektra em ehesten ein Stück über eine dysfunktionale Familie um die Jahrhundertwende.

Richard Strauss hob explizit hervor, dass sich der Gesang in seinen Opern vom Wagner-Gesang zu unterscheiden habe. Worin liegen für Sie, also aus heutiger Sicht betrachtet, die Unterschiede zwischen Wagner- und Strauss-Gesang?

ST Bei Elektra handelt es sich um eine relativ frühe Strauss-Oper und daher steckt, musikalisch gesehen, noch sehr viel aus der Klangwelt von Wagners Tristan und Isolde darin. Wie in Salome auch, übrigens. Strauss entfernt sich freilich mehr und mehr von Wagner, wobei ich natürlich nicht genau weiß, wie zu Strauss’ Zeit Wagner gesungen wurde? Wie wurde phrasiert? Wohl ganz anders, als wir es heute machen. Ich versuche bei Strauss jedenfalls, ganz unabhängig von allfälligen Wagner-Überlegungen, einfach gewaltig und schonend in einem zu sein.

UR Für mich ändert sich rein technisch nichts. Die Musik von Strauss ist anders als jene von Wagner, die Phrasen sind etwas anders geformt und verlangen eine andere Art und Weise des Zugangs. Aber sogar die Partien von ein- und demselben Komponisten sind ja unterschiedlich! Bei Verdi ist das besonders spürbar, etwa, was die Partien für den dramatischen Sopran betrifft. Man kann meiner Meinung nach Lady Macbeth, Amelia, Leonora in La forza del destino oder Odabella nicht mit der gleichen Stimmfarbe singen. Bei Strauss und Wagner ist das vielleicht nicht so stark spürbar, aber eine Kundry ist anders als eine Isolde, die Isolde anders als die Brünnhilde. Von Strauss sang ich nur Ariadne und Klytämnestra, daher kann ich nur etwas schwerer über seine Partien reden. Aber auch dort ist Ariadne ganz anders als eine Kaiserin und so weiter. Jede Rolle hat eine eigene, vom Komponisten kreierte Klang- Charakteristik und verlangt nach einer entsprechenden Stimme.

Inwiefern charakterisiert Strauss in der Elektra die Figuren musikalisch? Lassen sich hier Persönlichkeitsaspekte oder gar -bilder heraushören? Wie klingen Klytämnestra und Elektra?

UR Klytämnestra hat viele Farben. Ihre Musik ist manchmal brutal, abweisend, verschmähend, verabscheuend, herrisch. Dann ist sie träumerisch, tiefsinnig, aus der Tiefe der Seele schöpfend, verzweifelt, vom Leiden zerfressen, wie besessen. Psychisch instabil und doch zu einer Stärke findend. Manchmal ist sie sogar sanft und lieblich, aber ob sie ehrlich ist?

ST Ja, die Musik hat so viele Farben! Für mich ist es wie eine Gefühlsreise durch die Partitur, bei der ich ein kleines Boot bin, das auf einem Fluss getrieben wird. Diese Momente, wenn Elektra an ihren Vater denkt oder auf die Wiederkehr des Bruders hofft! Vieles ist stark rhythmisch geprägt, klanglich so reichhaltig, dass man es kaum umfassen kann. In meinem nächsten Leben werde ich vielleicht Dirigentin, um die Vielfalt der Partitur noch besser ausleben zu können – wobei der Text und die Musik von Elektra ja ohnedies mehr als ausreichend sind!

ELEKTRA
5. / 8. / 11. Jänner 2023
Leitung Alexander Soddy
Inszenierung Harry Kupfer
Szenische Einstudierung Angela Brandt
Bühne Hans Schavernoch
Kostüme Reinhard Heinrich
Mit u.a. Violeta Urmana / Nina Stemme / Simone Schneider / Jörg Schneider / Christof Fischesser