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© Sim Canetty Clarke

FALSTAFFS LEBEN als Tanz

In drei Rollen war Gerald Finley bisher an der Wiener Staatsoper zu erleben: als Förster im Schlauen Füchslein, Graf Almaviva in Nozze di Figaro und Amfortas in Parsifal. Nun schlägt er ein ganz neues Staatsopern-Kapitel auf und singt in Marco Arturo Marellis geradezu idealer Inszenierung von Verdis Falstaff den Titelhelden. Im Gespräch erzählt der aus Kanada stammende Sänger über Weisheit, tänzerische Leichtigkeit und Verdis musikalische Diamanten.


Nach Donizettis Don Pasquale gab es ein halbes Jahrhundert lang keine große italienische musika- lische Komödie – bis Verdis Falstaff uraufgeführt wurde. Warum diese große Pause?

GERALD FINLEY Da waren sicherlich mehrere Gründe im Spiel, vielleicht hatte es zum Beispiel damit zu tun, dass Oper in Italien ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einfach ein sehr ernsthaftes, ja ernstes Geschäft war. Das Land durchlebte einen politischen Umbruch, und ich weiß nicht, ob das nicht einen Einfluss auf die künstlerische Produktion hatte. Um es vereinfacht zu sagen: Die Situation förderte die Produktion heiterer Werke nicht. Das ist ein Phänomen, das wir ja auch in unserer Gegenwart beobachten können, die ganz großen, erfolgreichen Komödien, die liegen zum Großteil schon eine Zeit zurück. Etwa Brittens A Midsummer Nightʼs Dream oder Albert Herring. Und es dauerte einfach, bis nach Rossini und Donizetti wieder ein – oder genau genommen zwei – Genies die Bühne betraten, die diesem Genre gewachsen waren. Zwei: Weil ich auch an Arrigo Boito, den Librettisten, denke. Womöglich musste Verdi so lange warten, weil es unter den gegebenen Umständen vorher einfach niemanden gab, dem er diesbezüglich vertrauen konnte und der ihm die entsprechenden Möglichkeiten bot.


In der Operngeschichte gibt es Figuren, die gera- dezu etwas Archetypisches an sich haben. Don Giovanni etwa, eine Partie, die zu Ihrem Repertoire zählt. Gilt das auch für Falstaff?

GERALD FINLEY Wenn wir als Archetypen jemanden ansehen, den wir alle in unserem Umfeld und Leben wie- dererkennen, dann ist Falstaff sicherlich einer. Ich glaube, in jeder großen Familie gibt es einen Falstaff. Was sind seine Eigenschaften? Großes Wissen, er versteht sich aufs Speisen, er trinkt ausgiebig. Aber er hat auch ein Gespür für seinen inneren Adel. Was ich an der Figur liebe, sind seine Reflexionen über das Leben – und wie er sie ausdrücken kann: also das Vokabular, das er einsetzt, die metaphorischen Reichtümer. Das macht ihn für mich zu etwas ganz Besonderem, zu etwas Außergewöhnlichem. Wir alle kennen ja Persönlichkeiten, die wir als überlebensgroß erachten: Falstaff ist eine davon. Die Erfahrung dieses Mannes, seine Erkenntnis der Welt, sein Weitblick und sein Verständnis: das ist beein- druckend. Es steht natürlich außer Frage, dass er nur auf der Welt ist, um das Leben zu genie- ßen. Wir alle wissen, dass es viele solcher Menschen gibt – manche kommen zu einem tragi- schen Ende, manche zu einem glücklichen. Ich denke, im Falle von Falstaff wird es das zweitere sein.


Es gibt Opern, deren Protagonistin oder Protagonist eine gewisse Weisheit vermittelt – denken wir etwa an den Rosenkavalier und die Marschallin. Besitzt Falstaff mit seiner Erfahrung und Weltsicht eine solche? Was kann ich von Falstaff für mich persönlich lernen?

GERALD FINLEY Ich würde sagen, dass man sich nicht zu ernst nehmen darf. Sogar Falstaff lernt ja etwas im Laufe der Oper dazu und es ist schön zu sehen, wie er sich letztlich mit seiner Stellung in der Gesellschaft abfindet und zu einer Selbsterkenntnis findet. Anfangs nimmt er die Unternehmungen sehr ernst und versucht die Situation unter Kontrolle zu halten, am Ende hat er sie absolut nicht unter Kontrolle. Aber er findet Vergnügen an der Tatsache, dass er die Ursache für das Vergnügen anderer ist. Das ist ja auch weise! Er wächst also als Mensch und als Charakter. Verdi weist in der Schlussfuge auf das Nicht-zu-ernst-Nehmen hin: »Tutto nel mondo è burla«. Wir müssen verstehen, dass es zum Genießen des Lebens gehört, mit- unter selbst auch zum Objekt eines Scherzes werden.


Aber lernt er wirklich etwas auf lange Sicht? Oder fängt er eine Woche später an der gleichen Stelle wieder an?

GERALD FINLEY Ich bin mir sicher, dass er rückfällig wird. Wobei, vielleicht muss er woanders hin, Windsor ist sicher kein Ort mehr für ihn. Aber die Tatsache, dass er im 3. Akt in den Wald geht, um sein Glück erneut mit Alice zu versuchen und auch noch glaubt, dass alles Vorhergehende vergessen ist, weist schon darauf hin, dass er ein kurzes Gedächtnis hat.


Aber wer oder was ist Falstaff? Ist er das schlechte Gewissen der bürgerlichen Welt, ein geheimer Traum oder ist er ein gealterer Don Giovanni?

GERALD FINLEY Ich fange mit dem Giovanni an: Nein, so sehe ich ihn nicht. Giovanni trägt die Energie der Konfrontation in sich, des Risikos, er ist auf der Suche nach Vergnügen und will sich dem Schicksal stellen. Er ist ein Adrenalin-Junkie, er infiltriert das Leben von Menschen – und das auf eine unglaublich manipulative Weise. Falstaff nimmt einfach, was verfügbar ist. Essen, Trinken, die Gelegenheit, Spaß zu haben. Aber er würde sich nicht sehr beeilen oder mühen, er probiert einfach sein Glück, plant aber nicht sehr weit im Voraus, sondern lebt im Moment. Giovanni ist da viel berechnender, er hat immer einen Plan. Falstaff ist ein liebevoller Schurke, würde ich sagen. Giovanni aber ein gefährlicher Schurke.


Und nun das schlechte Gewissen?

GERALD FINLEY Die meisten denken, dass Giovanni Mut und Kühnheit in sich trägt. Falstaff sieht sich auch als kühner Ritter, er hat einen Pagen, er hat eine gewisse adelige »Lebensstruktur«, aber er ver- wendet all das, um Vergnügen zu erlangen, auf eine Art und Weise, die ich als ungefährlich be- zeichnen würde. Menschen, die ihn nicht in ihrem Leben haben wollen, brauchen ihn nicht. Aber wenn sie Unterhaltung suchen, werden sie ihn hereinbitten. Denn wir alle mögen es, den Clown in unserem Leben zu wissen... Also, na- türlich, wir alle fänden Gefallen daran, mehr zu essen, mehr Vergnügungen zu haben, aber wir kennen unsere Grenzen. Falstaff übersieht diese vielleicht. Aber letztendlich akzeptiert er sie ja auch.


Musikalisch ist es nicht das einfachste Werk Verdis – aber wird von allen Künstlerinnen und Künstlern geliebt. Wie kann eine Zuhörerin, ein Zuhörer, die oder der den Falstaff noch nicht kennt, sich das Werk aneignen?

GERALD FINLEY Ich würde mich freuen, wenn das Publikum all die Tanzmusik-Momente hört, deren es so viele in diesem Werk gibt. Falstaff ist ein gewichtiger Mensch, aber doch so leichtfüßig unterwegs! Ich erinnere mich, dass Nikolaus Harnoncourt einmal sagte, die wirklich besten Komponisten sind jene, die sich darauf verstehen, Tanzmusik zu schreiben. Und Verdi ist in dieser Hinsicht unglaublich! Es gibt in dieser Oper für das Publikum so viele Gelegenheiten die Leichtigkeit der Bewegung zu spüren, diese zahlreichen Momente des Tanzes. Es ist das Großartige der Musik, dass jede Szene diese Empfindung der Be3wegung hat, etwas Vorbeifliegendes. Wenn die Musikerin, der Musiker in uns dem entsprechen kann, dann werden wir den ganzen Abend lang einen wunderbaren Tanz durchleben.


Wenn Sie auf die Gesangspartie der Titelrolle fokussieren – gibt es Aspekte, die Ihnen als Besonderheit besonders hervorhebenswert erscheinen?

GERALD FINLEY Aus musikalischem Blickwinkel ist das Werk akkurat, dicht, genau und straff verfasst. Es gibt eine sehr starke und enge Beziehung zwischen Wort und Musik, zwischen Rhythmus und Energie. Was mir an der Rolle des Falstaff besonders gut gefällt, ist, dass Verdi viele Hinweise gibt, wie die Musik auszuführen ist und wenn man sich in Bezug auf all die musikalischen Parameter wirklich sehr diszipliniert verhält und Verdis Anweisungen folgt, ist es unglaublich lohend – auch als Darsteller. Weil alles, was man braucht, schon in den Noten steht. Es ist also angeraten, das Werk wirklich genau zu studieren und zu lernen – denn dann funkelt die Musik wie ein Diamant.

FALSTAFF
14. / 17. / 21. & 24. Juni 2022
Musikalische Leitung Giampaolo Bisanti
Inszenierung, Bühne & Licht Marco Arturo Marelli
Mit u.a. Eleonora Buratto / Vera-Lotte Boecker /
Monika Bohinec / Isabel Signoret – Gerald Finley /
Boris Pinkhasovich / Frédéric Antoun