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© Marco Borggreve
Thomas Adès
© Marco Borggreve

Emotionsreise

Wie wenige andere ist er international umworben und gefragt: der britische Komponist Thomas Adès, Jahrgang 1971. Mit 18 Jahren brachte er seine erste Komposition heraus – und gleich drei Verlage rissen sich um die Veröffentlichung. Seither zählt er zu den Fixsternen am Komponistenhimmel, egal, ob es sich um Musiktheaterwerke, Orchesterstücke, Kammermusik oder Lieder handelt. Seine 2004 in London uraufgeführte zweite Oper The Tempest wurde vor knapp einem Jahrzehnt erstmals an der Wiener Staatsoper gespielt. Nun ist die fein inszenierte Produktion wieder am Spielplan: und erneut dirigiert der Komponist, der auch ein weltweit anerkannter Pianist ist, selbst. Im Interview gibt er Einblicke in seine Schaffens­werkstätte und erläutert, was er mit seinem Werk beim Publikum auslösen will.


Es gibt die Geschichte, dass Sie den Einfall zur Oper in der Nacht nach einem plötzlichen Erwachen gehabt hätten.

Ja, das ist richtig. Ich hatte vom Londoner Royal Opera House, Covent Garden ein Angebot, eine Oper zu schreiben. Über eine längere Zeit dachte ich über unterschiedliche Stoffe nach, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht zustande kamen beziehungsweise mir dann doch nicht zusagten.

Etwa?

Es gab zum Beispiel den Gedanken, ein wunderbares Libretto von Jean Cocteau zu vertonen, das allerdings nicht ganz vollendet ist. Aber eines Tages erkannte ich: Jetzt muss ich bald einen Stoff finden, der vertont werden soll. Und der Sturm war so offensichtlich, dass ich mich für ihn entscheiden konnte, ohne mich im Vorfeld sehr ausführlich mit ihm zu beschäftigen. Das war einer der Fälle, bei denen man in der Nacht aufwacht: und die Idee ist da. Und nachdem der Einfall erst einmal geboren war, war es zu spät, um wieder umzukehren.

Ihr Libretto ist nicht Shakespeare pur, sondern eine Überarbeitung des Sturm-Schauspiels durch Meredith Oakes. Warum nicht das Original?

Das hat mehrere Gründe. Zunächst: Für mich ergäbe es keinen Sinn, den originalen Shakespeare-Text in Musik zu setzen. Wozu? Es ist ja ein großer Text, und das ist genug. Zweitens: Für meine Musik, für meine Art Oper zu schreiben, brauche ich emotionale Klarheit und eine Geome-trie der Motive, das ist etwas, was man bei Shakespeare nicht so einfach bekommt. Es ist zum Beispiel nicht so ganz klar, warum Prospero macht, was er macht. Ich wollte eine Textgrundlage, die für die Musik klar genug und auch ausreichend »geometrisch« ist. Damit das Publikum erreicht, berührt werden kann. Damit das Ganze bewegend wird. Meine Geheimwaffe dazu war Meredith Oakes.

»The Tempest ist ein Stück voller Magie, vom Anfang bis zum Ende, und es gibt eine große Anzahl an Farben im Text.«

Inwieweit ist das Libretto von Meredith Oakes eine Übersetzung, eine Neudichtung?

Sie hat eine Art Übersetzung geschaffen und einen ganz eigenen Stil entworfen. Wir reden ja über unterschiedliche Zeitebenen. Im Stück befinden wir uns in einer Vor-Shakespeare-Zeit, es geht um die Herzöge von Mailand und Neapel im 14. Jahrhundert, eine Art mythische Zeit.
Das Englisch, das Shakespeare verwendet, entstammt wiederum aus dem 16. Jahrhundert, das dieses 14. Jahrhundert darstellt. Und Meredith Oakes’ Englisch evoziert beide Zeiten. Aber sie geht nicht in die Falle einer historischen Sprache.

Wie war die Zusammenarbeit zwischen Ihnen? Muss man sich das vorstellen wie zwischen Strauss und Hofmannsthal, also auch ein Ringen um ein Ergebnis?

… und viele, viele Briefe? (lacht)

… und ein: Schreib’ mir bitte noch fünf Verse.

Es war eine absolut fantastische Zusammenarbeit. Meredith war sehr hilfreich, sie ist eine brillante Librettistin und Stückeschreiberin. Wann immer ich einen musikalischen Ausdruck nicht gefunden habe und der Weg der Musik für mich nicht klar war, meinte sie: »Gib mir eine Minute, ich muss etwas falsch gemacht haben.« Und dann war die Lösung da. Meredith hat einfach verstanden, was ich zum Komponieren benötigt habe. Sie hat den Text ja nicht nur »übersetzt«, sondern eine gänzlich andere Struktur geschaffen. So ist das, was herausgekommen ist, teilweise ganz anders als Shakespeare, aber dann doch immer ganz nahe an Shakespeare dran. Es evoziert Shakespeare. Wir schrieben übrigens nicht viele Briefe, sondern Faxe. Interessanterweise. Denn 2003 gab es ja eigentlich schon e-Mail.

Inwieweit kamen durch die neue Struktur auch neue Szenen dazu?

Ich habe beschlossen, einen Chor – den gesamten Hof – zu haben. Also auch mit Frauen, obwohl es in Shakespeares Stück ja eigentlich nur eine einzige Frau, Miranda, gibt. Und ich wollte, dass Caliban mit dem gesamten Hof zusammentrifft. Diese komische Ecke, in die ihn Shakespeare stellt, kann im Schauspiel funktionieren, in der Oper wollte ich aber mehr, ich wollte ihn aus dieser Ecke retten; wenn er sagt: »Freunde, fürchtet euch nicht«, dann braucht es nach meiner Ansicht einfach mehr. Es braucht einen Chor als Gegenüber. Wir mussten also zusätzliche Szenen erfinden.

Inwieweit waren andere musikalische Sturm-Bearbeitungen für Sie relevant?

Ich bin natürlich bei Weitem nicht der erste Komponist, der sich diesem Stoff zugewandt und an einer entsprechenden Oper versucht hat. Ich weiß aber wenig von
den anderen Opern, ich kenne ein paar Arien, die Henry Purcell geschrieben hat, und die wunderschöne Musik von Michael Tippett – wobei es sich dabei um keine eigentliche Sturm-Oper, sondern um seinen Knot Garden handelt. Na ja, und natürlich ist da noch Ludwig van Beethoven, der Shakespeares Sturm geliebt und sich intensiv mit ihm auseinandergesetzt hat. Diese komplexe Hintergrundgeschichte rund um Prospero: Da zerbrach er sich den Kopf, wie man das umsetzen könnte. Aber er hatte keine Meredith … (lacht).

Caliban ist in Ihrer Opernfassung kein Klischeebild.

Nein, ich fand das problematisch, wenn er mitunter so gezeigt wird. Ich frage mich, ob man dann sehr weit kommt. Ich finde ihn als Spiegel von Prospero viel interessanter. Fakt ist: Er ist der König seiner Welt. Er ist vielleicht dekadent, vielleicht seltsam. Aber er ist immer noch ein Aristokrat und königlich. Und so ist er bei mir stimmlich auch kein großer Bass, sondern eher ein französischer Tenor. Das finde ich vom Bühnencharakter her interessanter.

Im Tempest greifen Sie unter anderem auf barocke Formen zurück.

Ich war fasziniert von der Hofmusik und wollte etwas entwerfen, das mit den Traditionen des Barock verwandt ist. The Tempest ist ein Stück voller Magie, vom Anfang bis zum Ende, und es gibt eine große Anzahl an Farben im Text. Das wollte ich aber nicht instrumental verstärken, sondern auf eine barocke Art und Weise: Der Sturm ist ja auch kein echter, sondern ein von Wissenschaftlern geplanter, mit geometrischer Qualität. Ich finde Magie wirkungsvoller, wenn sie musikalisch nicht immer auftaucht, sobald die Rede von ihr ist. Ich möchte mich nicht hinter den Effekten verstecken.

Sie sind nicht nur Komponist, sondern auch Pianist und Dirigent. Macht dieses Wissen um die praktische Seite das Komponieren schwieriger? Weil sie die Grenzen kennen?

Ich habe oft folgende Erfahrung gemacht: Der Dirigent sagt in mir zum Komponisten: »Weißt du, dass das richtig schwer ist, was du da komponiert hast?« Und er wünscht sich, der Komponist hätte es etwas einfacher gemacht. Aber der hat nun einmal Vorrang bei mir. Abgesehen von mir als Dirigent: Fragen Sie einen Instrumentalisten oder eine Sängerin: Ich habe die Oper tatsächlich nicht zu leicht gemacht …

Haben Sie während des Schreibens Sänger gefragt, ob das Komponierte sangbar ist?

Ich habe einfach geschrieben. Viele Rollen loten Extreme der Stimmen aus. Aber wenn man zu viel fragt, dann wird das Ganze ein wenig langweilig und konstruiert. Anfangs sagten manche Sänger: »Das ist zu schwer.« Aber bereits bei der Wiederaufnahme waren sie deutlich entspannter. Sie hatten sich an das Extreme gewöhnt. Im Fall von Ariel wusste ich nicht, ob es überhaupt jemanden gibt, der die Partie singen kann. Es schien mir möglich. Aber ganz sicher war ich mir nicht. Also schrieb ich und überließ es dem Opernhaus, jemanden zu finden. Und es hat geklappt.

Und entwickelten Sie vor Ihrer ersten Oper eine Operntheorie, auf die Sie dann in der Praxis aufbauten?

(lacht) Nein, wir arbeiten in England nicht so. Die Oper soll menschliche Gefühle berühren und in die Tiefe des Menschen reichen; sie kommt meiner Meinung nach näher an das Innerste heran als jede andere Kunstform. Theorien als solche sind für mich nicht wichtig. Wichtig ist eben: Wie komme ich an die Gefühle der Menschen heran? Wie erreiche ich Menschen? Politik und alles andere ist nur insofern interessant, als sie uns die emotionale Realität des Stückes näherbringt. Natürlich braucht man die richtigen Werkzeuge, um das auch handwerklich umsetzen zu
können.

Sind diese Werkzeuge bei einer Oper andere als bei einer Symphonie? Auf der Opernbühne sieht man ja vieles, das muss dann ja musikalisch nicht mehr ausgesprochen werden.

Im Grunde sind es genau dieselben Werkzeuge. Man verwendet sie in der Oper nur ein wenig anders. Oper ist wie eine öffentliche Skulptur. Es ist eine Skulptur unter besonderen Umständen: Sie ist gewissermaßen Wind und Wetter ausgesetzt und für jedermann erfahrbar. Man muss also anders kommunizieren. Nicht einfacher, nicht bevormundend, aber anders.

Wenn Sie heute auf das Werk zurückblicken, dann …

… dann ist es für mich einfacher geworden. Ich verstehe die Stimmung der Szenen besser, etwa, was das Tempo betrifft. Nach dem Abschluss der Kompositionsarbeit wusste ich zum Beispiel: Diese oder jene Stelle basiert auf einem barocken Tanz. Und bei den ersten Proben fragten mich manche: Sollte das nicht langsamer sein? Und ich antwortete: Nein, weil es auf einer Bourée basiert. Später erkannte ich: Sie haben recht. Das gesamte Finale war in meinem Kopf viel schneller. Das hat sich nach und nach verändert. Anderes ist nach wie vor herausfordernd.

War das Werk nach Kompositionsabschluss für Sie endgültig beendet? Oder behielten Sie sich in der Hinterhand noch die Möglichkeit einer Überarbeitung?

Es gibt ein paar Details, bei denen ich mir gedacht habe: Das könnte man einfacher machen. Nicht nur in der Rhythmik, sondern auch in der Orchestrierung. Dann aber denke ich mir: Lass’ es! Diese Dinge sind fruchtbare Eigenschaften und Aspekte des Werkes, Charakteristika. Und ich möchte die Oper eigentlich nicht charakterlos machen. In diesem Sinne: Ich habe hart an diesem Werk gearbeitet und bin froh mit ihm. Und ich fühle, wenn ein Stück fertig ist. Es noch einmal zu überarbeiten wäre, denke ich, ein Fehler.

Gibt es etwas, was Sie dem Publikum mit Ihrem Tempest mitteilen wollen? Die berühmte Botschaft?

Ich sage es anders: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die den Tempest erleben, nach einer Vorstellung bewegt sind. Das lässt sich nicht so einfach in Worte fassen. Also: auf eine bestimmte Art transformiert und doch zu sich selbst zurückgekehrt. Oder einfacher ausgedrückt: The Tempest soll im Idealfall eine Reise sein, ein emotionales Erlebnis. Wenn das gelingt, bin ich glücklich.