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Eine Oper zum Lieben: Hänsel und Gretel kehrt zurück in den Spielplan

Ist Humperdincks Hänsel und Gretel eine Oper für Kinder oder doch eher eine ganz „normale“ Oper, die auch Kindern gefällt? Für beide Positionen lassen sich Argumente finden – sicher ist lediglich, dass dieses Werk, um mit Richard Strauss zu sprechen, „ein Meisterwerk allerersten Ranges“ ist und das, wie Janina Baechle, die Mutter in der neuen Staatsopernproduktion meint, „vom ersten bis zum letzten Takt eine geniale Partitur aufweist – ohne eine einzige Schwachstelle.“ Ursprünglich hatte der deutsche Komponist Engelbert Humperdinck (1854-1921) zum 34. Geburtstag seines Schwagers ja nur ein kleines Hänsel und Gretel-Märchenspiel geschaffen, das dann von dessen Kindern präsentiert worden war. Doch diese zunächst lediglich vier Stücke für ein bis zwei Kinderstimmen auf Texten seiner Schwester hatten den Komponisten auf den Geschmack gebracht: In mehreren Anläufen und trotz mancher Selbstzweifel und gesundheitlicher Beeinträchtigungen schuf er im Zeitraum von 1890 bis 1893 die durchkomponierte, dreiaktige Oper, die ihm einen dauerhaften und prominenten Platz in der Musikgeschichte bescherte.

Die erfolgreiche Uraufführung am 23. Dezember 1893 in Weimar leitete niemand Geringerer als Richard Strauss, der das Werk später übrigens auch an der Wiener Staatsoper des Öfteren (unter anderem die Premiere einer Neuproduktion) dirigieren sollte. Innerhalb eines Jahres spielten rund 50 Bühnen die neue Oper nach, spätestens 1905 war mit der Erstaufführung an der New Yorker Met auch der internationale Durchbruch für immer geschafft. Die hohe Qualität der Oper wird neben den beeindruckenden Aufführungszahlen und dem damit Hand in Hand gehenden breiten Publikumszuspruch unter anderem auch durch so manche Komponistenkollegen, die sich intensiv für das Stück einsetzten, bestätigt – neben Richard Strauss waren dies in den ersten Jahren unter anderem Felix von Weingartner und Gustav Mahler. Letzterer urteilte beispielsweise folgendermaßen: „Hänsel und Gretel von Humperdinck ist ein Meisterwerk, und ist mir eine liebe Bereicherung der dramatischen Literatur“ – nicht umsonst stand Hänsel und Gretel während seiner Wiener Direktionsära regelmäßig am Spielplan. Und Christian Thielemann, der nach Tristan und Isolde im Jahr 2003 nun mit der aktuellen Neuproduktion zum zweiten Mal eine Premiere an der Wiener Staatsoper leiten wird, bläst gewissermaßen ins selbe Horn: „Ich liebe diese Oper und halte sie für ganz große Musik.“

An der Wiener Staats- respektive Hofoper kam das Werk knapp ein Jahr nach der Uraufführung, also am 18. Dezember 1894, zum ersten Mal heraus und blieb, mit Unterbrechungen, das nächste halbe Jahrhundert liebevoll gepflegter Bestandteil des Repertoires. Neben namhaften Dirigenten konnte das Publikum bedeutende Sängerinnen und Sänger wie Marie Renard, Irene Abendroth, Erich Kunz, Hermann Wiedemann, Elisabeth Schumann, Marie Gutheil-Schoder, Marta Rohs oder Olga Levko-Antosch in den diversen Partien erleben. Nach 1945 folgten dann bis 1954 im Ausweichquartier Volksoperngebäude noch weitere rund 50 Aufführungen und so stellt die Premiere am 19. November letztlich eine längst fällige Rückkehr eines einst auch hier beliebten Zugstückes dar.

In der aktuellen Produktion werden zwangsläufig alle Mitwirkende Rollendebüts im Haus geben, doch die eine oder andere Sängerin hat die jeweilige Partie durchaus schon auf anderen Bühnen verkörpert. Janina Baechle etwa, die seit ihrem Studium immer wieder als Mutter zu erleben war, oder Chen Reiss, die mit der Rolle der Gretel vor mehr als zehn Jahren in Quebec überhaupt ihr professionelles Debüt auf einer Opernbühne gab. Aber wie herausfordernd sind die einzelnen Rollen für die Interpreten und wie sehen sie selbst die darzustellenden Charaktere? Diesen Fragen ging Andreas Láng am Beginn der Probenphase im Gespräch mit Chen Reiss (Gretel), Adrian Eröd (Vater Besenbinder) und Janina Baechle (Mutter) nach.

Hänsel oder Gretel wird oft als Kinderoper bezeichnet. Die Rollen sind aber alles andere als leicht …

Chen Reiss: Gretel hat wirklich ein paar schwere Passagen – so muss sie etwa am Ende ihrer Arie ein hohes d singen. Aber auch die sogenannten Kinder- oder Volkslieder, die anklingen haben es in sich – die muss man auf der ersten Bühne Wiens, wo jeder im Publikum mitsingen könnte, erst einmal zur Zufriedenheit aller hinbekommen: Sie müssen frisch und bewegend klingen, trotz etwaiger szenisch herausfordernder Aktivitäten.

Janina Baechle: Hänsel und Gretel ist ursprünglich von Humperdinck für Kinder gedacht gewesen, aber die Musik ist nichtsdestotrotz weder einfach noch schlicht, sondern in einer tonal-harmonisch recht schwierigen Sprache komponiert, was aber nichts macht, da man Kinder ohnehin nicht unterfordern oder unterschätzen sollte. Dementsprechend sind aber auch die einzelnenRollen nicht eben leicht. Die Mutter zeigt im Wesentlichen zwei charakterliche Facetten: die überforderte, genervte Mutter im Augenblick des Zornes, was musikalisch durch große Intervalsprünge nachgezeichnet wird und dann die Verzweifelte, die alleingeblieben unter der Armut zusammenzubrechen droht – hier erhält sie deutlich melodischere Linien. Interessanterweise wird sie, in dem Moment, in dem der Vater dazukommt, zu einer Art Stichwortgeberin, wir haben also eine im patriarchalischen System befindliche Mutter vor uns.

Adrian Eröd: Da ist tatsächlich noch etwas vom alten Weltbild drinnen, andererseits ist die Situation ja etwas angespannt: Er ist offensichtlich betrunken und zugleich voller Angst um die Kinder, außerdem fühlt sich seine Frau schuldig. Die beiden werden wohl nicht jeden Tag in diesem Stil miteinander umgehen. Aber, um auf die Frage zurückzukommen: Von der Musik her ist Hänsel und Gretel eine vollwertige Erwachsenenoper mit entsprechend anspruchsvollen, zum Teil wirklich dramatischen aber auch spannenden Partien. Die Arie des Vaters beispielsweise ist wie ein kleiner akustischer Film, bei dem man sich stimmlich einiges trauen darf und die Fantasie der Zuhörer anregen kann. Und obwohl die Rolle nicht sehr lang ist, bietet sie sehr viele unterschiedliche Farben für den Interpreten – ich freue mich auf sie!

Wie würden Sie die jeweiligen Charaktere beschreiben?

Chen Reiss: Gretel ist verantwortungsvoll, wie jede Erstgeborene, aber sie mag tanzen und singen und dann vergisst sie rundherum alles. Hänsel hingegen ist schlau und weiß ganz genau, was er sagen oder machen muss, damit Gretel mit ihm spielt. Ich habe auch einen anderthalb Jahre jüngeren Bruder, es ist also die selbe Konstellation wie bei Hänsel und Gretel, und es gab sehr viel Streit, viel Konkurrenz, aber wir lieben einander. Und diese Liebe zwischen Hänsel und Gretel sieht man beim Abendgebet, wenn sie sich aneinander kuscheln und sich schlafen legen.

Janina Baechle: Ich habe diese Rolle in mehreren Inszenierungen, mit sehr unterschiedlichen Ansätzen verkörpert – was immer gleich blieb, war mein Interesse an einer differenzierten charakterlichen Gestaltung. Sie bloß als böse Frau zu zeigen, die die Kinder anschreit und in den Wald hinausschickt, das wäre mir zu simpel und auch ungerecht. Zudem versuche ich prinzipiell in allen Charakteren auch das Gute zu suchen.

Adrian Eröd: Der Vater ist sicher, auch wenn er hier sehr angeheitert gezeigt wird, kein regelmäßiger Trinker, sondern ein seriöser Arbeiter, als Besenbinder durchaus ernst zu nehmen, sonst

wäre er nicht in der Lage, seine Ware anzubringen. Dass er sich im Falle eines besonders erfolgreichen Geschäftstages durchaus auch einen Schnaps genehmigt, sei ihm gestattet.

Kann es sein, dass er einmal einen seiner Besen der Hexe verkauft hat?

Adrian Eröd: Naja, vielleicht hat er einmal ein gutes aber unmoralisches Geschäft gemacht (lacht). Auf jeden Fall ermöglicht der Aspekt, dass der eine Besen erzeugt und die andere auf einem

Besen reitet, die Möglichkeit für eine Vielzahl an lustigen gedanklichen Spielereien.