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Eine gänzlich neue Charlotte

Am 5. März darf sich das Wiener Publikum auf ein ganz besonderes Rollendebüt freuen: Erstmals wird Angela Gheorghiu auf einer Bühne die Charlotte in Massenets Werther singen. Opernliebhaber wissen, dass sie die Rolle bereits 1999 auf CD eingespielt hat, aber live konnte man sie in diesem Werk tatsächlich noch nirgendwo erleben. In der jüngsten Zeit hat die international gefeierte Sopranistin ja mit großer Freude an der Wiener Staatsoper wichtige Rollen aus ihrem Repertoire verkörpert: Mimí, Tosca und zuletzt die Titelrolle in der Staatsopern- Erstaufführung von Adriana Lecouvreur – und so dachte die Künstlerin schließlich: „Warum nicht hier und für dieses Publikum ein Debüt geben?“ Als Angela Gheorghiu daher von Staatsoperndirektor Dominique Meyer das Angebot für die Charlotte bekam, stimmte sie zu.

Auch wenn sie grundsätzlich Gounod gegenüber Massenet den Vorzug gibt, schätzt sie an Werther die poetische Struktur, das Raffinement der Musik, die tiefe Emotionalität, den melodischen Reichtum der Partitur. Am liebsten hat sie naturgemäß die Briefszene und den dramatischen Schluss der Oper. „Als Sopran“, so verriet sie, „sind die vokalen Herausforderungen dieser Mezzopartie zwar verhältnismäßig gering – die Charlotte- Arien kommen mir, was den Schwierigkeitsgrad betrifft, fast wie kleine Schwestern der großen Arien meines üblichen Repertoires vor – musikalisch und interpretatorisch kann man freilich tiefgehende, vielschichtige seelische Panoramen vor dem Zuhörer ausbreiten.“

Oft liest man in der Literatur, dass Massenet, quasi als Verbeugung vor Goethe, seine Oper zwar Werther nannte, aber in Wahrheit Charlotte zur Hauptfigur emporhob. Auf diesen Umstand angesprochen meinte Angela Gheorghiu lachend, dass sie es nicht unversucht ließe, Massenet, falls er heute leben würde (oder sie selbst zur Zeit des Komponisten) dazu zu bringen, ihrer Rolle noch mehr Gewicht zu verleihen, sodass das Werk zwingend Charlotte heißen müsste. Ob Charlotte Werther als Person tatsächlich liebt oder nur die Fiktion eines romantisch-verehrenden jungen Mannes? Nun, in dieser Frage sieht Angela Gheorghiu mehrere mögliche Zugänge: Eine Interpretation „prima vista“, also ohne zwischen den Zeilen und nur von Blatt gelesen, „was insofern Sinn hat, als die Grundlage für das Funktionieren dieser Tragödie eben die verbotene, aber große gegenseitige Liebe der beiden jungen Menschen ist.“ Andererseits, so die Sängerin, könne Charlottes Leidenschaft durchaus auch als Reaktion auf den Umstand verstanden werden, dass sie früh einem Mann versprochen wurde, den sie nicht selbst erwählt hat und wahrscheinlich niemals erwählt hätte. „Aus einer derartigen Situation in einer Form auszubrechen, wie sie hier in der Oper beschrieben wird, ist fast schon normal. Aber so oder so: Schuld am letalen Ausgang der Titelfigur trägt letztendlich nicht Albert, nicht Charlotte und schon gar nicht Sophie. Das Problem liegt ausschließlich darin, dass Werther grundsätzlich keine Kraft zum Kämpfen aufbringt – nicht um Charlotte, nicht um das Leben an sich. Werthers Selbstmord ist geradezu vorgezeichnet und keiner der Umstehenden kann ihm in seiner offensichtlichen psychischen Erkrankung helfen“, erklärt Angela Gheorghiu.

Das von Regisseur Andrei Serban erfundene Detail in der aktuellen Inszenierung, dass Charlotte am Ende der Oper schwanger ist und somit nicht nur durch den Schwur gegenüber der sterbenden Mutter an Albert gebunden ist, dürfte vielleicht nicht allen im Zuschauerraum aufgefallen sein. Auf jeden Fall erfährt die Tragödie durch diesen Aspekt eine zusätzliche Zuspitzung, die Angela Gheorghiu auch über den weiteren, in der Oper nicht mehr behandelten Lebensweg Charlottes sinnieren lässt. „Spätestens von dem Moment an, an dem Albert seine Frau Charlotte zwingt, dem Boten die todbringenden Pistolen auszuhändigen, ist zwischen den beiden Eheleuten jede Form einer vernünftigen Beziehung unmöglich geworden. Nichtsdestotrotz ist nicht sicher, ob Charlotte sich nicht überwindet und zu Albert zurückkehrt. Wenn eine Schwangere keine Bleibe hat, kein Geld, keinen Beruf, gibt es für sie wenig Alternativen. Sie wird wohl die Augen zu machen und sich dem verhassten Ehemann zutragen. Die Frage ist nur, ob Albert sie nimmt …“

Andreas Láng