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Ein Ritter mit Gefühl

Ein neuer Name in Wien: Stanislas de Barbeyrac

Zuletzt hatte sich der 1984 geborene französische Tenor Stanislas de Barbeyrac als Tamino, Don Ottavio, Alfredo und Macduff einen Namen gemacht. Zudem nehmen Christoph Willibald Glucks Werke in seinem Repertoire einen nicht unwesentlichen Platz ein – und auch an der Wiener Staatsoper wählte er eine Gluck-Oper als Einstandsstück und wird somit in der ersten Neuproduktion der Spielzeit Renaud, dem heldenhaften Ritter des 1. Kreuzzuges, seine Stimme leihen und sich in die Zauberin Armide verlieben. Kurz nach Probenbeginn gab er Andreas Láng das folgende Interview.

Leider wird die Musik Glucks heute nicht mehr so gebührend gewürdigt wie noch am Ende des 19. Jahrhunderts, gelegentlich werden seine Werke ungerechterweise sogar als langweilig  abqualifiziert. Wie könnte eine Entgegnung aus der Sicht des Sängers lauten?

Stanislas de Barbeyrac: Auch ich hatte Gluck gegenüber zunächst Vorurteile. Bevor ich seine Musik kennen lernen durfte, mich mit ihr auseinandergesetzt habe, wiederholte ich Sätze,  die ich anderswo gehört hatte, zum Beispiel: „Gluck ist ein fader Mozart, Gluck reicht nicht an Lully heran.“ Aber mit dem Studium seiner Partituren bin ich vom Saulus zum Paulus geworden. In seinen Meisterwerken, zu denen Armide zweifellos zählt, ist der Interpret und natürlich auch das Publikum mit Partituren konfrontiert, die so vielfältig, farbenreich, ans Herz gehend sind, so formvollendet, wie man es sich nur erträumen kann. Die dramatische Spannung reißt vom ersten bis zum letzten Ton nicht ab – was für die Sänger eine gewisse Herausforderung darstellt – und die Verbindung von Text und Musik ist geradezu vollkommen. Es existieren auch keinerlei Qualitätsunterschiede zwischen den Arien, den Ensemblestellen oder den reinen Orchesterpassagen. Kurzum: Es handelt sich um vollkommene Musik. Und wenn man unbedingt einen Vergleich mit einem anderen Komponisten bemühen möchte: Gluck ist ähnlich gesund für die Stimme und die Technik wie Mozart.

Wieso ist es für einen Sänger eine Herausforderung, wenn der Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Ton nicht abreißt. Ist dieser Umstand nicht eher hilfreich?

Stanislas de Barbeyrac: Es ist hilfreich in dem Sinn, dass man der Dramatik des Werkes vertrauen kann. Die Herausforderung besteht darin, dass Gluck musikalisch extrem detailreiche psychologische Studien der Charaktere entwirft, man kann als Interpret also weit in die Gefühlswelt der Handelnden eintauchen, in den Tiefen ihrer Seelen schürfen – und diesen Vorgaben muss der Darsteller gerecht werden.

Könnten Sie den Renaud dieser Produktion etwas näher beschreiben – im Gegensatz zu Armide, behält er ja sein ursprüngliches Geschlecht: Er ist ein Mann.

Stanislas de Barbeyrac: Er ist ein Mann und er ist Ritter, ein tapferer Ritter. Und genauso möchten wir ihn auch zeigen. Überhaupt sind wir mit Regisseur Ivan Alexandre sehr nah am Text geblieben, da allzu viel intellektueller Gedankenballast der Figur des Renaud nicht bekommt. Man darf nicht vergessen, dass Renaud vor seinem Auftritt im fünften Akt für mehr als eine Stunde praktisch nicht existent ist, keinen Ton singt. Und schon die ersten beiden Auftritte am Beginn zeigen ihn darüber hinaus von zwei sehr unterschiedliche Seiten: zunächst als heroischen Soldaten in Führungsposition, der alle beruhigt und alle Warnungen, die die sagenumwobene Zauberin Armide betreffen, in den Wind schlägt. Kurz darauf findet er sich in einer verzauberten Landschaft wieder, die rund um Renaud von Armide errichtet worden war, Renaud ist wie hypnotisiert und scheint verloren. Zusammengefasst heißt das: Die Rolle ist nicht so unendlich lang und sie ist von Haus aus schon sehr differenziert angelegt und von der Musik auch entsprechend gezeichnet, also wäre ein Mehr an Deutung ein Zuviel.

Könnte man Renaud und Parsifal rein vom Charakter her vergleichen?

Stanislas de Barbeyrac: Sicherlich in dem Sinn, dass beide eine Aufgabe zu erfüllen haben und beinahe einer Verführung zum Opfer fallen. Nur ist der Wagner’sche Parsifal, schon auf Grund der Größe der Partie, vielschichtiger angelegt.

Und wie sieht die Rolle des Renaud von der stimmlichen Seite her aus?

Stanislas de Barbeyrac: In den stimmlichen Anforderungen setzt sich die Differenziertheit von der ich in Bezug auf die szenische Situation sprach fort: Ein Beispiel: Im Rezitativ mit Artémidore am Beginn des zweiten Aktes ist durchaus ein heroischerer, heldischerer Ansatz nötig, wenig später hingegen, in der Arie „Plus j’observe ces lieux“ in der 3. Szene eine leichtere, zu vielen Farben fähige Stimme erforderlich.

Sie haben von Gluck drei wesentliche Rollen in Ihrem Repertoire: Admète in Alceste, Pylade in Iphigénie en Tauride und eben Renaud. Worin unterscheiden sich diese drei Opern? 

Stanislas de Barbeyrac: Den größten Unterschied dürfte der Einfluss Lullys auf Armide darstellen und zwar insofern, als Gluck wusste, dass Lully nahezu hundert Jahre zuvor mit dem exakt gleichen Armide-Textbuch von Quinault einen Triumph erzielt hatte. Diesem Umstand wollte Gluck entsprechen. Er hat also einen Wettkampf aufgenommen mit einem Meisterwerk, das tief in der französischen Operntradition verankert war, ja gewissermaßen einen Höhepunkt derselben ausmachte. Und der Text gab natürlich zusätzlich die kompositorische Stoßrichtung vor. Alles in allem würde ich sagen: Armide ist französischer in seiner Gesamtanlage als Alceste und Iphigénie. Außerdem ist die Farbenpracht der rein instrumentalen Teile in Armide größer als in den anderen beiden Opern.

Ihre Gesangskarriere kommt jetzt so richtig in Fahrt. Entspricht das Sängerleben nun dem was Sie ursprünglich erwartet haben?

Stanislas de Barbeyrac: Ich habe mir eigentlich gar nichts Bestimmtes erwartet, genau genommen habe ich gar kein Sänger werden wollen. Mein Traumberuf hieß: Journalist. Ich hatte zwar als Kind längere Zeit in einem Chor mitgesungen, aber nach dem Stimmbruch geriet die Musik in den Hintergrund. Ich spielte lieber Rugby und erst so mit zwanzig erwachte wieder das Interesse für die klassische Musik, aber es ging nur um eine Liebhaberei. Ich wollte wieder in einem der Chöre mitwirken, die in meiner Heimatstadt Bordeaux zu unterschiedlichen Anlässen auftraten. Man empfahl mir einige kostenlose Stunden am Konservatorium zu nehmen, Stimmbildung, Solfeggio und dergleichen. Das tat ich und kam an meinen Lehrer, bei dem ich heute noch bin. Was mir dann imponierte, war der laute Krach, den ich sehr bald mit meiner Stimme erzeugen konnte. Es war für mich faszinierend, wie rasch man nach wenigen Stunden laut singen konnte. Irgendwann habe ich dann beschlossen die Laufbahn eines Opernsängers zu versuchen – und jetzt stehe ich da. Wobei ich hinzufügen möchte, dass mir der Liedgesang mit seiner Intimität als Ausgleich sehr am Herzen liegt. Allein in dieser Spielzeit singe ich daher drei unterschiedliche Liedprogramme.

Und wie sehen die nächsten Schritte aus? Was ist an Rollen geplant?

Stanislas de Barbeyrac: Ich möchte den status quo in den nächsten Jahren beibehalten, also Tamino, Don Ottavio, Alfredo, ein paar Glucks singen, die Stimme entwickeln lassen und weitere Bühnenerfahrung sammeln. Das Maximum wäre derzeit ein Gabriele Adorno.