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Ein Regisseur im Fluss der Zeit

Bei Tri Sestri haben Sie die Gelegenheit, eine Oper eines lebenden Komponisten zu inszenieren. Ist der auch bei den Proben anwesende Komponist für Sie eine Bereicherung, weil er für Nachfragen zur Verfügung steht? Oder eine Einschränkung Ihrer Freiheit – weil er sich ja noch einmischen kann?

Yuval Sharon: Für mich ist Oper immer eine große Zusammenarbeit, eine Verflechtung vieler verschiedener Ebenen. Und je mehr Menschen anwesend sind, desto umfangreicher sind auch die Möglichkeiten, einen großen Zusammenhang zu finden. Insofern ist es für mich eine Freude, wenn der Komponist diesmal nicht nur lebendig ist, sondern die Produktion sogar musikalisch leitet und bei den Proben anwesend ist. Man kann ihn fragen: Wie hast du dieses oder jenes gemeint? Wie siehst du das?

Fangen wir am Anfang an. Wie läuft bei Ihnen eine szenische Konzeption ab? Probieren Sie unterschiedliche Ansatzpunkte aus und wählen dann eine oder gibt es von Beginn an eine Grundidee, die Sie systematisch ausarbeiten und erweitern?

Yuval Sharon: Das hängt vom jeweiligen Stück und der Situation ab. Ich arbeite derzeit unter anderem an einer Walküre, die ich im Dezember am Staatstheater Karlsruhe herausbringen werde und lasse mir durchaus Zeit für eine umfassende Ideenfindung. Bei Tri Sestri hatte ich hingegen bereits nach dem ersten Gespräch mit Péter Eötvös die Idee eines Fließens, also einer kontinuierlichen Bewegung. Die Oper besteht aus drei Sequenzen, in der jeweils eine andere Figur im Mittelpunkt steht und die Handlung aus deren Blickwinkel gezeigt wird. Péter meinte nun, es wäre am besten, wenn diese jeweilige Figur im Mittelpunkt bliebe und alles andere ihr entgegenschwebt und sich dann wieder von ihr fortbewegt. Ich wollte das Gefühl des Fließens erzeugen und bin so auf Laufbänder gekommen, die Figuren und Gegenstände vorbeischweben lassen. Man sollte die Ereignisse auf der Bühne als eine hoch subjektive Wahrnehmung von der Vergangenheit sehen – nicht realistisch darstellbar, sondern eine instabile Mischung aus Erinnerung, Halluzination, Traum. Ein Bild dafür, dass man nichts festhalten kann und einem alles wie Sand durch die Finger fließt. Erinnerungen sind ja verstreut und assoziativ, nicht linear oder vollständig – und alle erinnern sich an dieselben Vorgänge völlig anders. So lässt Péter die Tschechow-Handlung erzählen, und so versuchen wir diese Welt auf der Bühne zu zeigen.

Die Erzählform der Oper ist mehrdimensional angelegt und widerspricht einer linearen Darstellungsweise.

Yuval Sharon: Mir gefällt diese Art der Darstellung besonders gut! Die Idee, dass man nicht nur eine Perspektive hat, sondern gleich mehrere, und diese auch vom Subjektiven stark geprägt ist. Das bedeutet: Es gibt nicht nur eine Vergangenheit. Es gibt wirklich nur Erinnerung, subjektive Perspektive und Aussortierung dessen, was passiert ist: Was ist wichtig für Irina? Woran erinnert sie sich? In der Musik werden manche Vorgänge wiederholt – und sind in der Wiederholung plötzlich ganz anders. Die Idee verschiedener Perspektiv-Punkte finde ich sehr aktuell.

Gibt es neben all dieser Subjektivität auch eine Objektivität? Eine Wahrheit, die dann und wann durchscheint?

Yuval Sharon: Soweit eine reine Objektivität existiert, findet man sie vielleicht am Anfang. Es gibt zu Beginn der Oper einen sehr schönen Prolog der drei Schwestern – bei Tschechow ist es die letzte Szene, aber Péter hat sie in genialer Weise an den Anfang gerückt. Gleich nach diesem gemeinsamen Moment lebt jede aber in ihrer eigenen Welt. Ich glaube aber generell, dass wir, ob gut oder schlecht, in unserer subjektiven Perspektive eingeschränkt sind. Wir sehen die Welt wirklich nur durch unsere Augen, selbst wenn wir versuchen, andere zu verstehen. Wir haben immer unseren Sichtpunkt – und das ist das Tragische in dem Stück. Dass man sich selbst nie entkommen kann. Dass die Figuren der Oper in ihren eigenen Perspektiven und Erinnerungen gefangen sind.

Ist das auch eine Botschaft, die das Publikum mitnehmen soll?

Yuval Sharon: Einerseits muss ich gestehen, dass ich mir sehr selten die Frage stelle, was das Publikum aus einem Abend mitnehmen sollte. Denn dann hat die Opernaufführung eine Botschaft – und ist keine Kunst mehr. Kunst bedeutet: lieber eine Vielschichtigkeit zu erzeugen, in der das Publikum sich selbst und seine eigenen Fortspinnungen herauslesen kann. Also hoffe ich, dass Tri Sestri für jeden Zuschauer ein persönliches Ereignis wird, also an seine eigenen Erinnerungen und Fantasien anknüpft.

Sie sagten, dass als eine der nächsten Produktionen die Walküre ansteht. Wieweit haben Sie dieses Werk auch während der Tri Sestri-Arbeit im Kopf?

Yuval Sharon: Es gelingt mir nicht, meinen Geist zur Gänze auf nur eine Sache zu lenken. Wie viele andere Künstler – Sänger und Dirigenten, die parallel unterschiedliche Werke vorbereiten – habe ich mehrere Projekte gleichzeitig im Kopf. Das ist etwas sehr Gutes, denn so können wir Verbindungen von einem Werk zu einem anderen entdecken. Mit dem Los Angeles Philharmonic bereite ich auch einen Beckett-Schubert-Abend vor, und die Absurdität in Beckett trifft die Tschechow-Figuren erstaunlich stark. Die Andrei-Sequenz kommt mir jetzt sehr Beckett-haft vor, was mir vielleicht sonst nicht aufgefallen wäre. Diese Verbindungen bringen manchmal erstaunliche Ergebnisse, die man im Voraus gar nicht planen und wissen kann. Man lernt ja bei jedem Stück auch etwas für ein anderes dazu …

 Oliver Láng


Tri Sestri

Premiere: 6. März

Reprisen: 10., 13., 16., 18. März