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Ein grosser, ein riesengrosser Diamant

Hierzulande sind Berlioz’ Trojaner nicht sehr bekannt, das Werk ist an der Staatsoper zudem zuletzt vor knapp 40 Jahren gespielt worden. Wie würden Sie dieses Stück in nur einem Satz beschreiben, wie lautet die Essenz?
Alain Altinoglu: Les Troyens ist die größte und gewaltigste französische Oper, quasi – ohne sie formal, inhaltlich oder stilistisch vergleichen zu wollen – die französische Götterdämmerung. Und ich füge noch einen zweiten Satz hinzu: In diesem Werk manifestiert sich – zwar auf wunderbare Weise, aber dennoch – der gesamte Größenwahn und die besondere Verrücktheit von Hector Berlioz.

Aber warum packte ihn gerade bei dieser Oper der Größenwahn und worin besteht er? Und wie sollte man „Verrücktheit“ verstehen?
Alain Altinoglu: „Verrückt“ meine ich im buchstäblichen psychiatrischen Sinn. Wer immer seine Briefe und vor allem seine geradezu fantastischen Memoiren liest, wird einen Eindruck vom Grad dieser Verrücktheit bekommen. So beschreibt er zum Beispiel, wie er in Rom einst auf fünf Straßenräuber traf und alle mit einem Messer tötete. Und seine Erinnerungen quellen über vor ähnlichen haarsträubenden Geschichten, an denen kein einziges Wort der Wahrheit entspricht. Auf jeden Fall muss man alle seine Äußerungen, auch auf musikalischem Gebiet, grundsätzlich aus dieser Perspektive heraus lesen und verstehen. Größenwahnsinnig war er übrigens nicht nur bei den Trojanern, sondern nahezu in seinem kompletten OEuvre: Er liebte ganz einfach riesengroße Orchesterbesetzungen, eine Vielzahl an Solisten und Statisten, überdimensionale Chöre. Als ihm im Zuge einer Aufführung seines Requiems mitgeteilt wurde, dass seiner Forderung nach 400 Tenören unmöglich stattgegeben werden kann, sagte er: „Gut, mir reichen auch 200 Tenöre.“ Pragmatik war, wie wir daraus ersehen, ein Fremdwort für ihn. Kurzum: Es ist somit eigentlich kein Wunder, dass Berlioz die Realisation einer Komplett-Aufführung dieser großdimensionierten Trojaner nicht mehr erleben konnte.

Wäre es verwegen, wenn man einige größere Striche vornehmen würde? Könnte man nicht wenigstens das riesige Orchester etwas verkleinern – indem man etwa bei allen Streichern einfach ein Pult einspart – das würde die eigentliche Besetzung ja nicht wirklich verändern?
Alain Altinoglu: Im Allgemeinen sind die Streicher bezüglich ihrer Zahl ja nicht genau definiert: der Komponist verlangt z.B. 2 Flöten, 2 Klarinetten etc. und … Streicher. Manche hingegen, wie Wagner oder Berlioz, setzen auch vor die Streicher eine bestimmte Zahl, allerdings eine, die die meisten Orchestergräben der Welt sprengen würde – also muss sowieso reduziert werden, allerdings immer nur mit Rücksicht auf die klangliche Gesamtbalance. Ich verwende jetzt bei den Trojanern jene Anzahl an Streichern, die auch bei Wagner-Opern üblich ist. Und was Striche in der Partitur an sich betrifft: Berlioz hat, wie gesagt, nie die Möglichkeit gehabt das Werk in seiner Gesamtheit zu erleben. Wir kennen daher seinen ersten, aber nicht seinen letzten Trojaner-Willen (lacht). Und daher versuchen wir, von kleinen Sprüngen abgesehen, die komplette Partitur zum Erklingen zu bringen. Im Übrigen: Striche in der Götterdämmerung sind ja ebenfalls Schnee von gestern, nicht wahr?

Gibt es eine musikalische Klammer, die die Konstruktion der großen Trojaner-Partitur zusammenhält?
Alain Altinoglu: Mit dieser Frage berühren Sie die wahrscheinlich schwierigste Frage, die sich einem Trojaner-Dirigenten stellt: Berlioz ließ sich von unterschiedlichen Einflüssen inspirieren – so zum Beispiel von seinen Leibkomponisten Beethoven und Gluck, dann von den Göttern und Sagen, die ihm sein Vater in der Kindheit nahebrachte, die er selber gelesen hatte und die ihn ein Leben lang begleiteten. Durch diese verschiedenen Beeinflussungen erscheint die Troyens-Partitur insgesamt etwas heterogen. Manches klingt wie eine Tragédie lyrique, andere, rein instrumentale Teile erinnern an Beethoven – die Sturmsequenz etwa an die entsprechende Stelle in der Pastorale, wieder andere Passagen wirken deutlich romantischer. Sich selbst verstand Berlioz gerade deshalb übrigens gar nicht als typisch französischen Komponisten, sondern als Europäer, mit einem mehrheitlich deutschen Anteil. Aber, um Ihre Frage kurz zu beantworten: Wenn es eine Klammer gibt, dann ist es das von ihm selbst geschriebene Libretto, das er fertiggestellt hat, ehe er auch nur einen Ton zu komponieren begann.

Die wenigsten Österreicher verstehen so gut Französisch, dass sie die Qualität des Librettos beurteilen können…
Alain Altinoglu: Die klugen, doppeldeutigen, ironischen Kritiken und Briefe von Berlioz waren berühmt für ihren hervorragenden, hochmodernen, aufregenden, spritzigen Stil. In seinem bewusst altertümlichen, fast antikisierenden Trojaner-Libretto findet man von all dem jedoch nicht sehr viel: Berlioz hat hier eine eigene Form entwickelt, die zu seiner Zeit als ähnlich ungewöhnlich empfunden wurde, wie heutzutage von manchen die entsprechenden Dichtungen Richard Wagners, nur, dass das Libretto in Berlioz’ Fall ungerechter Weise als Hemmschuh für eine rasche Ausbreitung dieser Oper in Frankreich wirkte.

Kommen wir vom Text zur Musik: Berlioz gilt als genialer Instrumentierer…
Alain Altinoglu: … diesbezüglich gibt es tatsächlich in der gesamten Musikwelt eine Zeit vor und eine nach Berlioz. Sein Traktat über die Orchestrierung ist Pflichtlektüre tausender Kompositionsschüler gewesen, nicht zuletzt für Debussy und Ravel. Das Schöne hierbei ist, dass Berlioz seine eigenen Regeln, wenn es die Bühnensituation erforderte, ohne zu zögern übertrat. Die Trojaner-Partitur lebt jedenfalls von diesen kreativen Klangfarben- und Instrumentenkombinationen die Berlioz zu entwickeln imstande war. Den Orchestersatz von Les Troyens bereicherte er darüber hinaus unter anderem durch die Saxhörner und die orientalische Darbuka, eine Bechertrommel aus dem arabischen Raum: Atmosphäre, Stimmungen, Lokalkolorit, Charakteristika durch Klänge zu zaubern, darin war Berlioz ein nicht zu übertreffender Meister!

Sie sagten, dass der Text bewusst altertümlich war – wie sieht es mit der Musik aus: Kann man sie für die damalige Zeit als modern bezeichnen?
Alain Altinoglu: Berlioz war zweifellos, was Metrik oder Harmonien betraf, sehr modern, gerade in den Trojanern. Auch die formale Phrase kommt ganz unorganisch daher. Aber diese Modernität ist keine um ihrer selbst willen. Er hat hier zum Beispiel gezielt nach einem eigenen Ausdruck gesucht, der die antike Sagenwelt auch klanglich-atmosphärisch hörbar macht und so kommen Passagen vor, die recht klassisch wirken, dann aber mit einem Mal von ungewohnten harmonischen Kreationen abgelöst werden. Schon die beiden Welten Troja im ersten und zweiten Akt und Karthago in den Akten drei bis fünf unterscheiden sich im Duktus ganz deutlich voneinander. Berlioz’ Musiksprache basiert also auf Zeit und Ort der Handlung und deren Dramaturgie. In den Trojanern ging Berlioz aber insofern noch einen Schritt weiter als in seinen Werken davor, als er hier nicht nur den Vorgang der Aktion, sondern auch die damit verbundene Emotion komponieren wollte. Vereinfacht gesagt: Wenn jemand zum Beispiel ein Schwert zieht, soll die Musik sowohl den Vorgang des Schwertziehens akustisch-dramatisch widerspiegeln, als auch ausdrücken, was derjenige empfindet, der das Schwert zieht.

Aber die Trojaner sind nichtsdestotrotz eine Nummernoper?
Alain Altinoglu: Es handelt sich nicht um ein durchkomponiertes Werk das stimmt – aber wir dürfen nicht vergessen: Berlioz ist doch ein Jahrzehnt vor Verdi und Wagner geboren. Und die Nummern selbst sind keine einheitlichen Gebilde, sondern, was Tonarten, Form, Orchestrierung betrifft, einem steten Wechsel unterworfen.

Wie sieht es mit der Ballettmusik aus? Musste sich Berlioz hier an gewisse Vorgaben halten, oder waren ihm solche auch auf diesem Gebiet gleichgültig?
Alain Altinoglu: Les Troyens ist eine Grand opéra, also hat Berlioz auch das Ballett integriert. Aber ihm war bewusst, dass er aus Rücksicht auf die Tänzer im Ballett eine rhythmisch wie metrisch simplere, traditionellere Gangart wählen müsste. Wenn Sie möchten, sind die Ballettmusiken für den Zuhörer musikalische Atempausen in einer ansonsten komplexen Partitur.

Stellen die Trojaner einen Seitenpfad der Operngeschichte dar, so wie Debussys Pelléas et Mélisande, oder hat diese Oper nachweislich die weitere Entwicklung beeinflusst?
Alain Altinoglu: Hector Berlioz hat mit anderen Werken sicherlich Einfluss auf die Musikgeschichte genommen, aber mangels einer bald einsetzenden gewichtigen Rezeptionsgeschichte – zumal in Frankreich – konnten die Trojaner nicht wirklich große Veränderungen hervorrufen oder gar den Beginn eine neue Tradition markieren. Und so steht diese Oper wie ein – riesiger – für sich stehender Diamant vor uns.

Das Gespräch führte Andreas Láng


LES TROYENS | Hector Berlioz
Premiere: 14. Oktober 2018
Reprisen: 17., 21., 26., Oktober, 1., 4. November 2018

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