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Don Giovanni - wie ein Horrofilm!

Sascha Goetzel über Mozart und Don Giovanni.

Der Auftakt zu Ihrer musikalischen Karriere erfolgte als Substitut des Staatsopernorchesters Und der Wiener Philharmoniker. Wieweit ist dieses Orchestermusikertum heute für Sie als Dirigent von Bedeutung?

Sascha Goetzel: Es ist von riesengroßer Bedeutung. Wenn man aus einem Orchester kommt, dann kennt man die Funktionsweisen und Abläufe sozusagen von innen heraus und man hat selbst erlebt, was ein Klangkörper braucht, um musikalische Ideen möglichst effektiv umsetzten zu können. Dieses Wissen ist klarerweise nicht nur ein großer Schatz, sondern auch eine große Hilfe sowohl bei der rein handwerklichen Arbeit als auch in der verbalen Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester. Auf dem Weg der Umsetzung der Partitur in eine Klangsprache ist das aber bereits der zweite Schritt. Den ersten Schritt muss der Dirigent ganz alleine gehen, ohne Orchester. Man muss als Dirigent zunächst eine Partitur analysieren und verstehen, um überhaupt vor ein Orchester treten zu können bzw. wie ich meine – zu dürfen. Ich muss dabei ein schlüssiges Gesamtkonzept entwickeln und sozusagen den genetischen Code eines Stückes entziffern, um die einzelnen Bausteine dann mit dem Orchester für das Publikum hörbar zu machen. Im Idealfall kann ich meine Ideen und Intentionen so vermitteln, dass die Musiker im Orchester sie sofort verstehen und ihnen folgen können, ohne dass ich diese ausführlich erklären muss. Die Erfahrung als Orchestermusiker kann da von großer Hilfe sein, da man selbst einmal auf der anderen Seite gesessen ist und sozusagen weiß, wie die Wechselwirkung zwischen dem Impulsgeber und dem Klangkörper funktioniert.

Dieser direkte, unverstellte Kontakt zwischen Dirigent und Orchester, auch zwischen Dirigent und Sänger, ist ja auch etwas, das unter den Begriff des Kapellmeisters subsumiert wird.

Sascha Goetzel: Nun was macht einen guten Kapellmeister aus? In der Oper: Dass man die Distanzen zwischen Orchestergraben und Bühne überwindet, dass Orchester und Sänger gut zusammenwirken und zusammen musizieren können. Dass also die Hände bzw. die Körpersprache des Dirigenten eine Verbindung zwischen allen Beteiligten herstellen. Kapellmeister- Sein ist also auf der einen Seite zunächst eine Sache der Organisation. Auf der anderen aber auch ein Wissen, worauf es ankommt. Und da ist es egal, ob wir vom italienischen oder deutschen Fach sprechen, ein guter Kapellmeister weiß, wie ein Spannungsbogen verläuft, wo sich der jeweilige Höhepunkt – eines Aktes, einer Arie, einer Phrase oder auch der gesamten Oper – befindet. Ich persönlich sehe mich aus dieser Schule kommend und habe die deutsch-österreichische Kapellmeisterschule immer als Vorbild gehabt, ich bin praktisch in der Oper aufgewachsen und habe seit meiner frühesten Kindheit Vorstellungen nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch im Graben hinter den Harfen erlebt. Und später dann, damit sind wir wieder bei Ihrer ersten Frage, als Orchestermusiker auch exzellente Kapellmeister live erleben dürfen. Im Grunde muss ein solcher sich auch ohne Probe ans Pult stellen können und eine Vorstellung so dirigieren, dass sie zur Zufriedenheit aller und mit Erfolg stattfinden kann. Wer das nicht beherrscht, ist für mich persönlich kein guter Kapellmeister. Und, wenn ich ganz offen sein darf: nur ein solcher hat etwas im Repertoirebetrieb in der Oper verloren. Alles andere mag ein spannendes Experiment sein für eine außergewöhnliche Produktion, ist meiner Meinung nach für Repertoirevorstellungen aber nicht praktikabel.

Im April dirigieren Sie an der Staatsoper Don Giovanni. Lässt sich feststellen: Mozart muss so oder so geschlagen werden?

Sascha Goetzel: Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Im Grunde dirigiert man jedes Stück anders. Worum es geht ist, dass man das, was man persönlich als wichtig oder besonders erachtet, hörbar macht. Als Dirigent habe ich kein Instrument in mir, wie ein Sänger und spiele auch keines, sondern muss Impulse und Energien geben, die andere aufnehmen und in eine Klangsprache umwandeln. Ich muss mich aber genau an das anpassen, was mich umgibt und mir zur Verfügung steht: das bedeutet, dass sich das Dirigat immer an das Orchester anpasst und an die Sänger. Anders hat es ja auch keinen Sinn! Gleichzeitig richten sich alle Beteiligten natürlich nach dem Dirigenten – es entsteht eine Wechselwirkung …

Gibt es bei Mozart – rein technisch – Unterschiede zu anderen Komponisten?

Sascha Goetzel: Zu meinem 30. Geburtstag habe ich einen historischen Dirigentenstab aus Bayreuth geschenkt bekommen mit dem Felix Mottl Tristan dirigiert hatte: Ungefähr 30 Zentimeter lang, silberbeschlagen beim Griff, wahnsinnig schwer für heutige Verhältnisse. Einen solchen Dirigentenstab muss man relativ fest in der Hand halten, dass er einem nicht entgleitet, schnelle kurze Bewegungen sind nur sehr eingeschränkt – praktisch unmöglich wenn man sich nach 15 Minuten keine Zerrung holen möchte. Den Widerstand für die Muskulatur bei der Stabführung kann man sich vielleicht so vorstellen: Wenn wir in einem großen Suppentopf umrühren, dann würde man mit den heute üblichen Stäben vielleicht in einer klare Rindsuppe umrühren, mit Felix Mottls Stab in einer sehr dicken Krautsuppe. So fühlt sich der Widerstand der Stabführung in der Hand an. Für Wagners Klangraum aber durchaus passend mit seinen unendlichen fließenden Linien und der ungeheuren Kraft die generiert werden muss – für die besonders zarten Stellen hat Mottl ja vielleicht ohne Stab dirigiert und so noch mehr Kontrast erzeugt. Bei Mozart wiederum wissen wir, dass Vorstellungen ursprünglich vom Cembalo aus geleitet wurden, mit einigen wenigen Handzeichen – Farbtupfern gewissermaßen. Das ist der Unterschied! Die Hände machen das bei Mozart fast automatisch, heben viele kleine Elemente hervor. Das erfordert eine irrsinnige Wachheit, aber wenn es gelingt, dann entsteht etwas unglaublich Spannendes. Insofern dirigiert man Mozart klarerweise anders als etwa Wagner.

Abgesehen von den Charakterisierungen der spezifischen Figuren und der Symbolik: Gibt es etwas in Don Giovanni, das einzigartig ist und das Werk von den anderen beiden Da Ponte-Opern abhebt?

Sascha Goetzel: Alle drei Opern sind, was die musikalische Klangsprache angeht, sehr unterschiedlich. Was bei diesem Werk einzigartig ist, ist die Art, wie Mozart und Da Ponte Don Giovanni mit menschlichen Beziehungen umgehen lassen. Das ist eine unvorstellbare Brutalität, die hier gezeigt wird. Für die damalige Zeit, muss das ein Schock gewesen sein. Diese Zerstörungswut der Titelfigur! Wie heute ein Horrorfilm, der Furore macht. Alle Beziehungen, die wir auf der Bühne erleben, werden von Don Giovanni zerstört. Ich weiß noch, als ich meinen ersten Giovanni dirigierte, das war in Innsbruck, da ging es mir nach der Premiere, trotz des Erfolges, nicht gut. Ich ging am nächsten Tag stundenlang in den Wald spazieren, um Harmonie zu finden. Ich war innerlich total zerrissen! Denn wir alle, bewusst oder unbewusst, suchen im Leben nach der bedingungslosen Liebe. Und Mozart hat das im Don Giovanni in Frage gestellt. So etwas muss man erst einmal verdauen …

Oliver Láng


Don Giovanni

24., 27., 30. April 2016