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© Algirdas Bakas

Die Sehnsucht der Künstlerin

In den letzten Takten von Leoš Janáčeks Jenůfa schwingt sich die Musik breit empor, eine Art erlösungshaftes Happy End suggerierend. Doch genau dieses konterkarierte Asmik Grigorian auf meisterhafte Weise in der jüngsten Staatsopern-Aufführungsserie des Stückes im vergangenen Oktober: Starr stand sie da, seelisch gebrochen, fast wie ferngesteuert, zutiefst desillusioniert und darum bereit, mit Laca, der zweiten Wahl, der immer eine zweite Wahl bleiben wird, ein neues Leben zu beginnen. Dem Publikum war klar: Nach alldem, was die junge Frau im Lauf der Handlung erlebt hat, kann es für sie kein Happy End geben, für sie sind alle Träume ausgeträumt. Wer erleben durfte, wie Grigorian vokal und darstellerisch auf ungemein nuancenreiche Weise die Wandlung der lebenslustigen Jenůfa in die für immer in sich Zurückgezogene beglaubigte, wird einmal mehr bestätigen: Wenn diese Sängerin auf der Bühne steht, geschehen jene eindrucksvollen Vorstellungen, die sich unauslöschbar in die Erinnerung einprägen. In neudeutscher Formulierung hieße das knapper: »So geht Musiktheater«.

Spätestens seit ihrer gefeierten Salome-Darstellung in Salzburg vor fünf Jahren ist die Sopranistin terminlich weltweit mehr als ausgebucht. Doch Direktor Bogdan Roščić hatte sie, ihre künstlerische Sonderstellung kennend, schon davor unter Vertrag genommen und für regelmäßige Aufführungsserien an der Wiener Staatsoper gesichert. Und so ist sie hier seit ihrem Debüt als Cio-Cio-San in der Madama Butterfly-Neuproduktion im September 2020 Jahr für Jahr mit stets aufregenden Interpretationen und Rollenporträts zu erleben. 2023/24 etwa als Premieren-Turandot und sogar mit einem eigenen Recital. Und in der gerade ausklingenden Spielzeit wird sie der Pagliacci-Serie durch ihre Nedda-Interpretation wohl zusätzlichen Reiz verleihen.

Asmik Grigorian geht mit den Partien, die sie annimmt, sehr wählerisch um. Nicht alles, was stimmlich passen würde, wird von ihr automatisch auch ins Repertoire genommen. Jede Figur, die sie im wahrsten Sinn des Wortes auf der Bühne zum Leben erwecken möchte, muss ihr persönlich etwas sagen, muss sie selbst im Innersten als Charakter packen. Es geht ihr um eine Vielschichtigkeit, der sie nachspüren möchte. Nedda, die junge Schauspielerin einer umherziehenden Theatertruppe bringt für Grigorian genau diese Voraussetzungen mit: In einer für sie toxischen Beziehung mit Canio stehend – dem jähzornigen Chef der Truppe, der sie einst aus der Gosse aufgelesen hatte – träumt Nedda zugleich von Freiheit, einer nicht definierbaren Heimat und der wahren Liebe. Ihr geheimes Verhältnis mit Silvio wird ihr und diesem schlussendlich den Tod durch Canios eifersüchtige Hand bringen. In einem Gespräch, das sie während einer Probenarbeit in München gab, zog Asmik Grigorian unter anderem eine Parallele zwischen Nedda und den vielen Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart, die ohne Unterlass zwischen den unterschiedlichsten Bühnen pendeln: »Man hat nie ein wirkliches Zuhause, zumindest keines das lokal fixierbar wäre: Kein Land, kein Ort, kein Gebäude, nicht einmal die geliebte Bühne. Also muss man es in sich selbst beziehungsweise im direkten privaten Umfeld entdecken. Denn die Sehnsucht nach einem Zuhause ist unstillbar in uns allen verankert.«