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© Tobias Kruse / Ostkreuz

»DIE ITALIENISCHE OPER HABE ICH IN DER DNA«

Mit Puccinis Einakter-Trilogie Il trittico debütiert die Berliner Regisseurin Tatjana Gürbaca an der Staatsoper. Dem Wiener Opernpublikum ist sie spätestens seit ihrer kühnen Ring-Dekonstruktion 2017 am Theater an der Wien ein Begriff. Eine Begegnung in Berlin.

Beitrag von Regine Müller

Tatjana Gürbaca wohnt in Charlottenburg, im »alten Westen«, wie man in Berlin immer noch gerne sagt. Es ist eines jener mächtigen Altbau-Häuser, deren weitläufige großbürgerliche Wohnungen irgendwann einmal anders aufgeteilt wurden. Lange Flure und überraschende Wege um die Ecke sind die Folge. Berliner Hochsommer, trockene Hitze, wir sitzen auf einem schmalen und etwas krumm an der Wand klebenden Balkon mit Blick in einen typischen Berliner Innenhof. Tatjana Gürbaca denkt oft länger über Fragen nach, spricht sehr lebhaft, sprudelnd und ist immer in Bewegung. Die Regisseurin sitzt gerade auf heißen Kohlen, denn in einer knappen Woche beginnen die Proben in Wien: »Ich fühle mich wie ein Tiger im  Käfig, das ist die Phase, in der man es nicht mehr erwarten kann, dass es losgeht. Es hat sich sehr viel angestaut, eine Aufregung, die Sänger endlich kennenzulernen.«
Die Sänger stehen im Zentrum ihrer Arbeit, auf der Probebühne liegt das Regiebuch meist zugeklappt auf dem Tisch. Gürbaca gehört nicht zu der Fraktion der Regie-Künstler, die ihre Inszenierungen am Schreibtisch auf Millimeterpapier basteln. Das Entscheidende passiert bei ihr auf den Proben. Notizen kritzelt Gürbaca zwischendurch auf kleine Zettel, mit denen sie dann auf die Bühne springt. »Ja, ich bin eine Vormacherin. Ich halte es am Tisch gar nicht aus, denn ich muss einfach selbst ausprobieren, wie es organisch wird. Man kann das nur mit den Sängern herausfinden, denn jeder tickt anders.«
Tatjana Gürbaca ist in Berlin aufgewachsen in einer Familie von Theaterbesessenen: Der aus der Türkei stammende Vater hatte in der Heimat klassische türkische Musik studiert und interessiert sich in Berlin vor allem für Schauspiel, insbesondere für das epische Theater Bertolt Brechts. Ihre Mutter bezeichnet Gürbaca als schwerst »opernsüchtig«, insbesondere nach Puccini: »Als sie mit mir schwanger war, hat sie laufend Puccini gehört. Und ich bilde mir ein, mich daran zu erinnern! (lacht) Aber im Ernst: Die italienische Oper ist das, wo ich herkomme, die habe ich in der DNA.«
Schon als Kindergartenkind ist sie mit einem späteren Regie-Kollegen, dem Regisseur Hinrich Horstkotte, eng befreundet, dessen Mutter beide ins Theater bringt: »Sie hat uns mitgenommen zu No-Theater, Patrice-Chereau-Inszenierungen, ins Ballett, zu Lesungen. Ich dachte einfach, das ist normal, das ist das, was Kinder so machen. Und dann haben wir im Kindergarten natürlich alles nachgespielt. Und zuhause.«
Gürbaca lernt drei Instrumente, Klavier, Cello und Kontrabass, geht auf ein musisches Gymnasium, spielt in mehreren Orchestern, Jazzbands, einer Klezmer-Band und singt in Chören. Das Leben besteht aus Musik und Theater. Dass ihr Weg vorgezeichnet war, wusste Gürbaca damals noch lange nicht. Aber es fügten sich Einflüsse und Begegnungen auf wundersame Weise. Im musischen Gymnasium begeisterte ein Lehrer mit offenbar seherischen Gaben sie für die Statisterie der Deutschen Oper Berlin. Da war sie fünfzehn Jahre alt. Und schwänzte fortan noch häufiger die Schule als vorher, schließlich stand sie in Inszenierungen von Götz Friedrich auf der Bühne und lernte den Betrieb von der Basis aus kennen. Der segensreiche Pädagoge war es auch, der bereitwillig ihre Entschuldigungen für Fehlstunden unterschrieb und seine Toleranz im strengeren Kollegium mit dem Satz begründete: »Das muss man verstehen, die Tatjana wird mal Opernregisseurin!«
Er sollte recht behalten. Aber es gab noch einen Umweg, denn nach der Schule studierte Gürbaca erst einmal Kunstgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaft, bevor sie zufällig davon hörte, dass man das Regiehandwerk auch studieren kann. Im Studium erlebte sie dann die prägenden, alles entscheidenden Begegnungen: »Mit Ruth Berghaus und Peter Konwitschny wurde mir klar, was das bedeuten kann.«
Berghaus unterrichtete damals schon außerhalb der Hochschule, man konnte sich bei ihr für Meisterkurse bewerben. »Berghaus war nicht zimperlich«, erinnert sich Gürbaca. Einem Versuch, die Szene der Brautjungfern in Carl Maria von Webers Freischütz zu inszenieren, verdankt sie ein Schlüsselerlebnis: »Ich hatte vorher wahnsinnig viel gelesen über das Bild der Frau in der Geschichte, im Nationalsozialismus und in der Kunstgeschichte, aber was ich vorhatte mit diesen fünf Minuten Musik, war völlig überfrachtet. Glücklicherweise war die Bühnenbild- Klasse von Erich Wonder dabei, und damit auch Klaus Grünberg, mit dem ich heute noch zusammenarbeite. Und der sagte, als er meine Verzweiflung sah: Tatjana, im Moment musst du nur inszenieren, wie die Brautjungfern hereinkommen und warum überhaupt. Da ist bei mir der Groschen gefallen.«
Schnell wurde der Betrieb auf Arbeiten von Tatjana Gürbaca aufmerksam. Spätestens seit sie 2000 am internationalen »Ring Award« teilnahm, ist sie gut im Geschäft, inszenierte bald an größeren Häusern, immer wieder aber auch an mittleren und kleineren Häusern. Am Staatstheater Mainz war sie von 2011 bis 2014 Operndirektorin. Mit einigen bedeutenden Häusern verbindet sie eine kontinuierliche Zusammenarbeit, etwa mit dem Zürcher Opernhaus, wo sie in Andreas Homokis erster Spielzeit als Intendant einen spektakulär spannenden Rigoletto inszenierte. Vertrauensvoll und eng war auch ihre Zusammenarbeit mit der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent, als Aviel Cahn dort Intendant war. Inzwischen arbeitet sie für ihn auch am Grand Théâtre de Genève. 

2013, im Jahr des Wagner-Jubiläums, wurde ihre Antwerpener Inszenierung von Parsifal von der Fachzeitschrift Opernwelt zur »Inszenierung des Jahres« gekürt. Wie sie dort damals das Vorspiel inszenierte, kann als exemplarisch für ihre Arbeit gelten: Nur ein diffuser Lichtkegel erhellt die Mitte eines geschlossenen, leeren Halbrunds. Langsam tasten sich heutig gekleidete Menschen herein. Eine Frau tritt auf, unruhig, gehetzt, nähert sich einem Mann und umschlingt ihn in einem langen Kuss. Die Frau ist Kundry »die Urteufelin«, und der Mann entpuppt sich nicht etwa als Parsifal, sondern als Amfortas, der sieche Gralskönig. Mit wenigen knappen Gesten erzählt Gürbaca die fatale Vorgeschichte des »Bühnenweihfestspiels«, die  der Verführung des Amfortas durch Kundry, des Verlustes des heiligen Speers und der sich niemals schließenden Wunde.
Gürbacas Begabung, psychologische Zusammenhänge luzide zu analysieren und durch das Erzählen von Vorgeschichten verborgene oder geleugnete Schuldzusammenhänge aufzudecken, zieht sich durch ihr gesamtes Schaffen. Auch ihr waches Gespür für rumorende psychologische, aber auch gesellschaftspolitische Subtexte ist prägend für ihre Arbeit.
»Ich glaube, beim Regieführen geht es in Wahrheit darum, die eigene Haltung der Welt gegenüber abzubilden. Daher ist das ein politischer Vorgang, man bekennt, woran man glaubt und wie man die Welt begreift. Und es geht darum, dass man Geschichten aus dem hier und jetzt heraus erzählt, dass es unbedingt mit uns zu tun haben muss, sonst braucht man es nicht zu erzählen.«
Wagners Ring dampfte sie am Theater an der Wien vor sechs Jahren auf drei Abende ein und erzählte das Geschehen aus einer Schlüsselszene heraus: Dem Mord an Siegfried durch Hagen. Dabei richtete sie ihren Blick auf die zweite und dritte Generation der Protagonisten, auf jene Söhne und Töchter, die in der Familienhölle Schuld und Schulden der Vorfahren ertragen und bewältigen müssen. Wie etwa auf Hagen, dessen Geschichte sie frappierend plausibel als eine fatale Geschichte von kindlicher Traumatisierung erzählte, eine Geschichte von systematisch verabreichtem Welt- und Selbsthass, die tödlich enden muss.
Mit dieser kühnen Ring-Dekonstruktion empfahl Gürbaca sich damals für höchste Wagner- Aufgaben, das geplante Bayreuther Ring-Projekt scheiterte dann an unterschiedlichen Auffassungen von Probenarbeit, wie man hörte.
Ihre besondere Begabung für Wagner stellte Gürbaca auch bei einem furiosen Holländer in Antwerpen und einem mitreißenden Lohengrin am Essener Aalto-Theater unter Beweis. Auch für Strauss hat sie ein Faible, gerade für die oft etwas geringer geschätzten Werke wie Capriccio oder die unter emanzipatorischen Aspekten als zweifelhaft geltende Arabella, die sie in der Deutschen Oper am Rhein als raffiniert ambivalente Komödie mit Bitterstoffen und einem todtraurigen Ende inszenierte.
Tatjana Gürbaca arbeitet stets mit bewährten Teams, einer ihrer bevorzugten Bühnenbildner ist Henrik Ahr, mit dem sie das Ring-Projekt am Theater an der Wien meisterte. Er wird auch das Bühnenbild zu Il trittico schaffen: »Die Bühnenbilder prägen nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Erzählweise. Henrik Ahr arbeitet sehr abstrakt, seine Räume sind eine große Herausforderung, aber zugleich eine Befreiung, denn sie regen die Fantasie enorm an. Die Räume haben eine starke Haptik und eine große Echtheit, das spüren auch die Sänger.«
An Il trittico fasziniert sie unter anderem Puccinis brennendes Interesse für alles, was damals neu war: »Man kann einen Nachhall von Debussys Pelléas darin entdecken, aber auch eine Vorwegnahme von Schönbergs Erwartung. Er war auf der Suche damals, hat über die Veränderungen in der Mann-Frau-Beziehung und die Unsicherheiten in den menschlichen Beziehungen reflektiert. Und er hat zu dieser Zeit viel von Maxim Gorki gelesen. Es ging ihm auch darum, das soziale Elend des modernen Menschen zu zeigen, das Elend der Arbeitswelt.«
Zum Konzept für Il trittico will sie noch nicht viel verraten, aber Giorgettas Seufzer aus Il tabarro könne als Überschrift über allen drei Teilen stehen: »Wie schwer es ist, glücklich zu sein.« Es werde eine ästhetische Klammer geben, die alle drei Teile verbindet, verspricht sie. Außerdem gibt es noch etwas, das die drei Teile verbindet: »In allen drei Stücken gibt es Wasser, das verstehe ich als metaphorisch für den Lebensfluss. Aber das Glück ist immer am anderen Ufer!«