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© Nikolaus Karlinský

Der komponierte BLUTHOCHDRUCK

Im Rosenkavalier lässt sich gut zuordnen: die Marschallin steht für die Weisheit, der Ochs für das Unverschämte, Octavian und Sophie stehen für die Jugend. Wo sehen Sie den Faninal? Hat er auch »sein« Prinzip?

ADRIAN ERÖD Im Grunde ist er ein neureicher Wendehals, der zwar im Tiefsten seines Herzens seine Tochter liebt und will, dass es ihr gut geht, sie aber dennoch dem Meistbietenden – also Ochs – verkauft. Und das selbst noch zu einem Zeitpunkt, in dem er erkennt, was für ein unmöglicher Mensch der Ochs ist. Erst dann, wenn er die negativen Folgen der Verbindung Ochs-Sophie für sich selbst und seinen Ruf realisiert, wendet er sich gegen die Heirat. Solange es aber nur um Sophie und nicht um ihn selbst geht, steht er hinter Ochs.

Erstellen Sie, bevor Sie an die Erarbeitung einer Partie gehen, so etwas wie ein Psychogramm der dargestellten Figur, um in diese so richtig eintauchen zu können?

AE Zumindest nicht bewusst. Wahrscheinlich passiert es ganz automatisch, wenn ich eine Figur als Menschen betrachte und mich mit diesem beschäftige. Ich entwickle aber kein eigenständiges psychologisches Profil – ein solches ergibt sich ohnedies fast automatisch aus der Musik und dem Text. Im Vordergrund steht bei mir stets, dass ich eine entsprechende Figur als echten Menschen zeigen will. Also auch Faninal: Selbst wenn er ein unsympathischer Charakter ist, will ich ihn dennoch so zeichnen, dass er nachvollziehbar und erfahrbar bleibt – und keine verzerrte Karikatur zu erleben ist.

Der Rosenkavalier-Librettist Hugo von Hofmannsthal meinte, dass Faninal eigentlich komplementär zum Ochs ist und die beiden einander brauchen. Nun ist es so, dass der Ochs, selbst wenn er sich ekelhaft benimmt, ein Sympathieträger sein kann. Faninal hingegen ist, als einziger der großen Rollen, eigentlich nur unattraktiv.

AE Es ist tatsächlich so, dass er eigentlich erst ganz am Ende, wenn er sein »Sind halt aso, die jungen Leut« singt, ein gewisses Verständnis des Publikums gewinnt. Man kann aber auch Mitleid mit ihm haben, wenn er im zweiten Akt aufgrund des allgemeinen Chaos in Verzweiflung fällt. Das mit dem der Komplementarität der beiden, also von Ochs und Faninal, stimmt freilich. Denn Leute wie der Ochs, die eine solche Unverschämtheit an den Tag legen, brauchen ein Gegenüber, das dieses Verhalten akzeptiert und hinnimmt. Wir kennen das ja auch aus der Politik. Populisten brauchen jene, die sich angesprochen fühlen, sich einen Vorteil versprechen und sie unterstützen. So gesehen ist Faninal eine moderne Figur. Er ist einer, der die Moral hintanstellt und mithilfe seiner Tochter in die – für ihn erstrebenswerte – Gesellschaft hineinzukommen versucht.

Hofmannsthal hat ja auch den schönen Satz gesagt, dass die Faninals nicht aussterben.

AE Nein, gar nicht!

Und würden Sie eine Figur wie den Faninal überzeichnen, um seine Charaktereigenschaften deutlicher zu zeigen? Oder soll das einfach nur ein Mensch von nebenan sein?

AE Es ist eine Komödie. Man kann also bestimmte Sachen hervorstreichen, aber eine echte Überzeichnung macht den Faninal nicht glaubwürdiger. Ich meine, es reicht, wenn man ihn so zeigt, wie ihn die Musik von Strauss und der Text von Hofmannsthal beschreiben. Da muss man nicht noch etwas draufsetzen.

Sie sprachen von Musik und Text. Im Falle der Strauss-Hofmannsthal-Opern schwanke ich ja immer, was mich intensiver bewegt: die musikalische oder sprachliche Brillanz.

AE Ich würde sagen, dass es hier – wie bei Verdi-Boito oder Mozart-Da Ponte – um die Kombination geht. Sowohl die Musik als auch die Sprache sind für sich genommen außerordentlich, aber die Kombination macht die Werke unsterblich.

Kehren wir noch einmal zur Faninal-Beschreibung von Hofmannsthal und Strauss zurück. Wie ist denn die musikalische Färbung des Faninal? Hat er seinen eigenen Ton?

AE Ja, den Ton des permanenten Bluthochdrucks. Faninal ist ein bisserl ein durchkomponierter Bluthochdruck.

Einer der Höhepunkte der Operngeschichte ist das Schlussterzett von Marschallin, Octavian und Sophie, bei dem stets eine Ergriffenheit um sich greift. Ergreift diese auch Sie, hinter der Bühne?

AE Ja, unbedingt! Ich gehe auch jedes Mal drei Minuten, bevor ich eingerufen werde, auf die Seitenbühne, um das Terzett zu hören. Was für ein Glück, dass der Faninal danach nur noch ein paar Töne zu singen hat! Eine ganze Arie wäre, mit all der Bewegtheit im Herzen, die auch auf die Stimme durchschlägt, zu viel. Da hätte ich nicht genügend Zeit, um wieder herunterzukommen.

Das bedeutet aber, dass Sie, wenn Sie auf der Bühne stehen, sich gegen Ergriffenheit wappnen müssen?

AE Ja, das muss ich. In solchen Augenblicken ist es notwendig, sich als Musiker zu sehen, der etwas umzusetzen hat und sich nicht von der Woge des Gefühls davonschwemmen lassen darf. Bei Mozarts Così fan tutte ist das praktisch den ganzen Abend lang so: Wenn ich auf der Bühne bin, muss ich mich auf das konzentrieren, was ich singe und nicht auf das Gesamte. Würde ich all die Emotionen zulassen, die Mozarts Musik bei mir auslösen, spülte es mich förmlich von der Bühne.

Sie stehen im Dezember in einer zweiten Komödie auf der Bühne: in Donizettis La Fille du régiment. Wo liegt der humorbezogene Unterschied zwischen dem Rosenkavalier und Fille du régiment? Beide Opern zählen zum heiteren Fach.

AE Ein Unterschied liegt in der vorhin angesprochenen Einheit von Text und Musik und in der Kongenialität von Dichter und Komponist. Auch in der Regimentstochter ist der Text sehr ansprechend, aber es ist kein Hofmannsthal, man würde ihn, ohne Musik, in keiner Lesung präsentieren wollen. Die Musik Donizettis ist natürlich großartig. Sie ist aber keine Musik, die für sich selbst steht, sondern eine, die im Theater »funktioniert«. Eine Theatermusik, Opernmusik also. Damit entspricht sie jener von Il barbiere di Siviglia, La cenerentola, Don Pasquale oder L’elisir d’amore. Das sind Stücke, die wirklich ganz großen Spaß machen! Doch die Komödie ist eine andere als jene des Rosenkavalier: Was wir in der Regimentstochter auf der Bühne sehen, sind ja nicht psychologisch bis in die tiefsten Schichten durchleuchtete Menschen, sondern Typen. Und dadurch spielen sich die Rollen ja ganz anders. Hier kann man, im Gegensatz zu Strauss und zu Mozart, ein bisschen ins Überzeichnete gehen. Vor allem, da die wunderbare Inszenierung von La Fille du régiment ja ebenfalls humorvoll überzeichnet und sehr auf dem Punkt ist.

Sie sprachen vom Spaß auf der Bühne: Wie groß ist die Versuchung, dem Publikum Zucker zu geben und die Lacher zu jagen?

AE Ich glaube, von mir sagen zu können, dass ich dieser Versuchung gut widerstehen kann. Weil ich der Überzeugung bin, dass man lustig sein und dennoch in einem Rahmen bleiben kann. Wenn man anfängt, zu viel Zucker zu geben, läuft man Gefahr, in die Schmiere abzurutschen. Natürlich wird es dann der eine oder andere lustig finden, aber die Ernsthaftigkeit der Sache ist dahin. Und da bin ich heikel: wenn ich im Publikum sitze und zuschaue und sogar noch heikler, wenn ich auf der Bühne stehe. Das bedeutet ja nicht, dass man nicht eine Gaudi haben darf. Aber halt mit einer Seriosität!

Wo liegt denn eigentlich die Grenze zur Schmiere? Das ist ja ein schwer festzumachernder Begriff.

AE Für mich ist die Grenze dann überschritten, wenn es nicht mehr ums Stück geht, sondern um einen selbst, beziehungsweise wenn man nicht mehr für die anderen, sondern nur für sich selbst spielt. Für mich muss es immer so sein, dass man sich, sein Spiel und seine Stimme in den Dienst des jeweiligen Werks stellt.

La Fille du régiment wird in einer sehr bekannten Inszenierung gezeigt, die zusätzlich von vielen im Fernsehen gesehen wurde. Wie fügen Sie sich in eine solche Produktion ein? Wie viel Spielraum bleibt für Persönliches?

AE Das wird sich eigentlich erst im Laufe der Proben herausstellen. Natürlich: Den Sulpice hat Carlos Álvarez geprägt, in Wien hat nur er diese Partie in dieser Produktion gespielt. Nun bin ich aber zweifellos ein ganz anderer Typ als er, sowohl stimmlich als auch körperlich. Daher wird meine Interpretation zwangsläufig eine andere werden. Es wird sich ein Weg finden, dass es die Inszenierung mit all ihrem Witz bleibt, ich aber dennoch ich bleibe.

Bedeutet das auch, dass Sie bewusst manches anders machen werden, um sich abzusetzen?

AE Nein, ich mache es, wie ich es eben mache. Manches wird ähnlich sein, anderes ganz anders. Das wird sich weisen.

Sie waren lange Zeit im Staatsopernensemble, haben seit Jahren einen Residenzvertrag und gastieren an internationalen Häusern. Ist das eine ideale Balance für Sie?

AE Die ersten Jahre nach meiner Ensemble-Zeit waren perfekt. Dann kam die Corona-Phase – mit all den Schwierigkeiten, die sie für freischaffende Künstlerinnen und Künstler brachte. Jetzt pendelt es sich wieder gut ein, und ich bin froh, dass ich einerseits frei bin, andererseits mit der Wiener Staatsoper mein Haupthaus habe, als zentrale, fixe Komponente in meinem Künstlerleben. So, wie es jetzt ist, ist es großartig und schön!
 

DER ROSENKAVALIER
18. / 22. / 26.* Dezember 2022
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung Otto Schenk
Mit u.a. KS Krassimira Stoyanova / Günther Groissböck / Kate Lindsey / KS Adrian Eröd / Vera-Lotte Boecker / KS Juan Diego Flórez – Angel Romero* / Thomas Ebenstein / Monika Bohinec

Informationen & Karten
 

LA FILLE DU RÉGIMENT
25. / 28. / 30. Dezember 2022 / 2. Jänner 2023
Musikalische Leitung Michele Spotti
Inszenierung & Kostüme Laurent Pelly
Mit Pretty Yende / KS Juan Diego Flórez / Stephanie Houtzeel / KS Adrian Eröd / KSCH Marianne Nentwich / Marcus Pelz

Informationen & Karten