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DEN GEHEIMNISSEN DER PARTITUR auf der Spur

Rollendebüts sind das gewisse Etwas, das einzelnen Vorstellungen eine zusätzliche Aura verleiht. Wobei es hier zu unterscheiden gilt: In den meisten Fällen verweist das Rollendebüt-Sternchen am Besetzungszettel nur darauf, dass die betreffende Künstlerin, der betreffende Künstler die jeweilige Rolle an der Wiener Staatsoper noch nie gesungen hat. In manchen Fällen handelt es sich allerdings tatsächlich um ein weltweites Rollendebüt, was dem betreffenden Abend eine noch größere Aufmerksamkeit sichert – auch international. Bei der ersten Parsifal-Aufführung am 6. April ist es wieder einmal so weit: Die an allen großen Bühnen gefeierte Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova wird im Haus am Ring erstmals in ihrer Laufbahn die bedeutende Partie der Kundry interpretieren. Die Vorfreude bei den Opernliebhabern ist entsprechend groß, und beim Wiener Publikum ist dieser Freude wohl auch ein bisschen Stolz beigemischt. Kurz vor Probenbeginn sprach Andreas Láng mit der Künstlerin.
 

»Parsifal«
 

Wie nähern Sie sich einer neuen Rolle an? Gibt es einen für Sie standardisierten Prozess, den Sie konsequent einhalten?

EKATERINA GUBANOVA Normalerweise schon, aber die Kundry entpuppte sich diesbezüglich als ein ganz spezieller Fall, als eine Sondersituation. Ich begann viel früher mit dem Studium als sonst, las, ja verschlang täglich die Partitur und habe außerdem, was ich sonst selten mache, unzählige Einspielungen angehört – wahrscheinlich kenne ich jetzt alle Verästelungen der Aufführungstraditionen. (lacht) Auf jeden Fall waren meine Vorbereitungen bei keiner anderen Rolle so intensiv. Das geschah aber nicht gezwungenermaßen, nicht aus irgendeiner Sorge oder Anspannung heraus, sondern bedingt durch eine immense Freude an der Partie, die sich unentwegt steigerte. Wissen Sie, der Gehalt dieser Musik scheint uferlos, die Tiefe bodenlos. Man kann sie geradezu endlos studieren und wird, kaum dass man die Noten in die Hand nimmt, unweigerlich in ihren Bann gezogen. Dazu kommt, dass ich moderne, neue Deutungen von Werken – wenn sie klug sind – überaus schätze. Und Serebrennikovs Parsifal-Inszenierung ist sogar sehr klug... und ergreifend.

Kundry gilt als eine der herausforderndsten Rollen in Ihrem Fach. Andererseits sagt man Wagner nach, auf die physischen, speziell die vokalen Möglichkeiten von Sängern Rücksicht genommen zu haben.

EG Das ist absolut korrekt und ich liebe Wagner auch dafür: Er gibt einem ordentlich Stoff zum Arbeiten, fordert wirklich das Maximum, aber dann gewährt er den Interpreten immer wieder eine Pause zur Regeneration. Man kann Atem holen, die Gedanken sammeln, die Emotionen bündeln. Und so kommt man schön durch die zum Beispiel doch sehr lange Partie der Kundry.

Man weiß, dass Wagner Bellini geschätzt hat. Wie viel italienische Gesangstechnik, wie viel Belcanto-Singen ist beim Wagner-Gesang nötig oder zulässig?

EG Nicht zulässig, sondern notwendig – und zwar zu hundert Prozent. Im Grunde ist der Belcanto ohnehin die Grundlage jedes Operngesanges. Die Gattung Oper entstand ja in Italien und hat sich von dort überall hin ausgebreitet. Sie müssen es nur beobachten: Bei allen Sängerinnen und Sängern, die eine lange, erfolgreiche Karriere haben, hört man, egal, welches Repertoire sie letztlich singen, die italienische Technik durch. In diesem Sinne halte ich es für eine ideale, wenn auch zufällige, Koinzidenz, dass ich während des Kundry-Studiums Auftritte als Adalgisa in Bellinis Norma hatte.

Wenn Sie die Möglichkeit bekämen, Wagner zu treffen, was wäre Ihre erste Frage?

EG Ich glaube, ich wäre zu befangen, um überhaupt irgendeine Frage zu stellen. Ich würde ihm zuhören, seinen Ausführungen zur Musik und zum Theater vermutlich bewundernd lauschen. Aber ich hätte wohl nicht den Mut, ihn zu unterbrechen – zumal Wagner sich in seinen Vorträgen, nach allem, was man von ihm weiß, nur sehr ungern unterbrechen ließ.

Denken Sie während einer Vorstellung überhaupt an das Publikum? Manche Ihrer Kolleginnen und versuchen zum Beispiel, jemandem im Zuschauerraum eine Geschichte erzählen. Oder bleibt für solche Überlegungen kein Raum? Andere visieren wiederum während des Singens bewusst einen, meist etwas höher gelegenen, fiktiven Punkt im Zuschauerraum an.

EG Interessant, dass Sie darauf zu sprechen kommen. Beides hängt von verschiedenen Faktoren ab: Von der Rolle, von der Situation, in der sich die Bühnenfigur befindet. Es gibt Momente, wo es schlechterdings zwingend ist, das Publikum direkt anzusprechen. Dann kann es wieder passieren – in einem Duett mit dem Partner zum Beispiel – dass man die Zuhörer vergisst oder sie nur mehr im Unterbewusstsein wahrnimmt. Aber auch das Fixieren von bestimmten Punkten im Auditorium wird von mir gelegentlich praktiziert: Bei mir sind es die grünen oder roten Notausganglichter, die in jedem Theater auf der Welt zu finden sind. Wenn ich also zum Beispiel in einem Monolog das Schicksal oder eine Gottheit anrufe oder mich an etwas zu erinnern habe und den Blick hebe, dann suche ich mir gezielt so ein kleines, leuchtendes Licht im Dunkel des Zuschauerraumes.

Auf welche Weise entfliehen Sie der Routine?

EG Ich will ihr gar nicht entfliehen, ich liebe sie sogar! (lacht) Zumindest eine wiederkehrende, ordnende Struktur, die ein gewisses Leitsystem bietet. Sei es privat oder auch auf der Bühne. Nichts gegen die Premieren, aber mir sind die Folgevorstellungen lieber. Wobei eine echte Routine auf der Bühne natürlich gar nicht wirklich möglich ist, da sich unterschiedlichste Faktoren von Abend zu Abend ändern. Aber bestimmte Fixpunkte sind schon hilfreich, an denen man entlanggehen kann.

Wo finden Sie die meiste Inspiration für Ihren Beruf?

EG In der Natur. Gerade für eine Künstlerin, die im Musiktheater wirkt, finden sich hier so viele Anregungen: optisch, akustisch, emotional, atmosphärisch. Natur ist für mich die höchstmögliche Kunst.

Und sehen Sie in der Künstlichen Intelligenz eine Gefahr für die Kunst?

EG Das kann ich nicht abschätzen, aber ich hoffe, dass die oft formulierten Unkenrufe nicht Wirklichkeit werden, oder zumindest nicht so bald.

Wie kann man einen jungen Menschen in der heutigen Life-Work-Balance-Epoche motivieren, den herausfordernden Beruf einer Sängerin, eines Sängers zu ergreifen?

EG Ich würde niemandem anspornen, diesen Weg zu wählen. Wenn jemand unbedingt möchte, dann kann er oder sie es versuchen. Aber abgesehen davon, dass man viele Opfer bringen muss, hat ein ganzes Arsenal an Bedingungen zu passen: Man sollte eine objektiv gute Stimme haben, eine solide Ausbildung, eine Bühnenpersönlichkeit, die notwendige Gesundheit und Konstitution, gute Nerven, es schadet auch nicht, wenn man gut ausschaut. Wenn nur einer dieser Faktoren fehlt, verringern sich die Chancen nahezu in Richtung Null, dass man es auf lange Sicht schafft oder aushält. Das ist auch der Grund, warum ich nicht unterrichte, obwohl ich schon oft gefragt wurde. Ich möchte niemandem falsche Hoffnungen machen. Wis- sen Sie, man ist auf der Bühne als Sängerin extrem ausgestellt und angreifbar, zumal das Singen dem Herzen und der Seele so beson- ders nahe ist. Andererseits wiegen bestimmte Sternstunden, in denen man abzuheben meint und fühlt, dass man die Zuschauer beschenken durfte, alle Anstrengungen und Mühen wieder auf. Aber auch das Studium einer Kundry und die Möglichkeit, sie endlich singen zu dürfen, zeigt mir den Sinn meines Berufes auf. Ich fühle, wie sich hier viele Erfahrungen bündeln, wie all die Brangänen und Frickas, die ich singen durfte, mir die Augen und Ohren für so vieles geöffnet haben, was mir noch vor einigen Jahren verborgen war. Das macht mich glücklich! Aber, wie gesagt, man kann keinem raten, den Weg eines Sängers einzuschlagen, der Ansporn muss vom Betreffenden selbst kommen.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Opernbesuch?

EG Ja – es war eine Vorstellung von Tschaikowskis Iolanta, und ich muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter hat mich mitgenommen, und es scheint mir gefallen zu haben, langweilig war mir jedenfalls nicht. In besonderer Erinnerung ist mir das wunderschöne, blaue Kleid der Titelfigur geblieben. (lacht)

Sie sind ausgebildete Pianistin und Dirigentin – ersparen Sie sich damit einen privaten Korrepetitor? 

Ersparen im wahrsten Sinn des Wortes! Aber wichtiger ist, dass ich Partituren lesen kann und sie auch studiere – nicht nur Klavierauszüge –, die komplexen harmonischen Strukturen begreife und vor allem die Intentionen des Dirigenten besser verstehe. Aber, um auf die Kundry zurückzukommen: in ihrem Fall habe ich sehr wohl und viel mit einem Pianisten zusammengearbeitet.

Was bedeutet für Sie Musikalität?

EG Aspekte wie Interpretation, Phrasierung oder Stilgefühl sind Dinge, die man unter Geschmack zusammenfassen könnte. Aber wahre Musika- lität beginnt für mich beim Respekt vor dem Notentext. Eine größere Ehre kann man einem Komponisten nicht erweisen, als wenn man seine Vorgaben befolgt. Und wer das tut, ist bereits per se eine musikalische Person. Und gerade im Falle von Wagner sind die Vorgaben sehr klar, die Informationen sehr eindeutig. Welche Autorität sollte in seinen Kompositionen schlagender sein als die seine?


PARSIFAL
6. / 9. / 12. / 16. April 2023
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung, Bühne & Kostüme Kirill Serebrennikov
Licht Franck Evin
Ko-Regie Evgeny Kulagin
Mitarbeit Bühne Olga Pavliuk
Mitarbeit Kostüm Tatiana Dolmatovskaya
Video & Foto Designer Aleksei Fokin / Yurii Karih
Dramaturgie Sergio Morabito
Mit u.a. Michael Nagy / Klaus Florian Vogt / Ekaterina Gubanova / Franz-Josef Selig / Derek Welton / Nikolay Sidorenko / Wolfgang Bankl