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© Cassandre Berthon

DAS STICHWORT LAUTET: teilen

Bei Liederabendprogrammen ist es stets besonders interessant, den Weg der Entstehung nachvollziehen zu können. Wie schaut es in Ihrer »Werkstatt« aus? Setzen Sie Lieder aufs Programm, die Ihnen schon lange vertraut sind, oder auch neue, auf eine Aufführungsstadt bezogene Nummern?

LUDOVIC TÉZIER Die Antwort haben Sie bereits gegeben! Ich würde sagen: ein bisschen von all dem. Bei der Planung des Oktober-Liederabends ging es meiner Pianistin Maria Prinz und mir zunächst um die Frage, was wir musikalisch teilen möchten. Und es ging um die Suche nach einem Klang, nach einer Stimmung, einer Erzählung. Dazu kommt, dass es meiner Meinung nach immer auch etwas Nicht-
Althergebrachtes als zusätzliche Motivation braucht. Denn selbst wenn ein oft gesungenes Programm doch stets auch etwas Ungewohntes bereithält, ist es doch wesentlich, Neues zu bringen. Und all das hat zu unserem aktuellen Programm geführt.

Was war diesmal der Startpunkt der Zusammenstellung? Ein Klang? Ein Komponist?

LT Wir sind in Wien zusammengesessen und dachten, es wäre doch schön, wenn es so etwas wie einen Blick auf meine Jugend gäbe. In die Zeit, in der ich als Anfänger viele Mahler-Lieder lernte und sang. Dann fiel uns auf, dass ich schon sehr lange kein Liedprogramm mehr mit Mahler gemacht habe. Demnach: Wir sind in Wien, Mahler gehört zu Wien, also greifen wir das auf und nehmen es als Anfangspunkt für den Liederabend! Dann stellten wir uns die Frage, was sich gut dazu fügt: Sehr gerne wollte ich französische Musik einbringen und auch Wagner, der für mich ein zentraler Komponist ist und dessen Amfortas in Parsifal ich hier ja zuletzt gesungen habe. So fanden wir zu den Wesendonck-Liedern, die ich nun erstmals auf der Bühne präsentieren werde. 

Was »kann« der Liederbühnen-Wagner, was seine Opern nicht können?

Wenn man die Wesendonck-Lieder mit Klavier macht, ist das Klangvolumen natürlich sehr viel schlanker, als wenn man einen Wotan oder Telramund singt. Wir können also viel mehr in die Nuancen hineingehen – und dennoch gibt es einige Momente, die dem Opern-Wagner sehr nahestehen. Da spürt man gleich, was Wagner-Gesang mit seiner teils »heldischen« Farbe wirklich bedeutet. 

Dieses In-die-Nuancen-Gehen zählt ja auch zu den besonderen Freuden des Liederabends?

LT Das unbedingt! Und die Stimmung ist eine ganz andere. Ich stehe vorne an der Rampe, ganz nahe bei den Zuschauern, kein Orchestergraben trennt uns voneinander. Das ist ein besonderes, sehr schönes Gefühl der Unmittelbarkeit. Hinzu kommt, dass ich stimmliche Farben einsetzen kann, die in einer Opernaufführung mitunter keine Anwendung finden. Es ist ja eine interessante Sache, in einem Raum als Liedsänger aufzutreten, den ich als Operndarsteller kenne. Wobei ich gar nicht Liedsänger sagen möchte, sondern einfach: Sänger. Einer, der Geschichten erzählt und Spaß daran hat.

Mehrere Geschichten? Oder eine große?

LT Die große Geschichte ist die Verbindung, die ich mit den Zuhörerinnen und Zuhörern aufbaue. Die Freude, wunderschöne Musik mit dem Publikum zu teilen. Dazu kommt, dass jedes Stück, jeder Zyklus seine eigene Geschichte und Stimmung hat. Wie Sie wissen, fotografiere ich gerne. Dabei habe ich folgende Beobachtung gemacht: Wenn der Himmel leicht bewölkt ist, kann das Licht von einem Augenblick zum nächsten wechseln – und die Stimmung ist plötzlich eine gänzlich andere. Dieses metaphorische Bild möchte ich auf den Liederabend anwenden: Das Programm ist wie ein Himmel mit wechselndem Licht. Hell und dunkel, ernst und heiter: es entsteht eine einzigartige Landschaft. 

Beim Liederabend treten Sie natürlich ohne Kostüm und Maske auf. Sie führen keine durchgängige Opernrolle aus. Bedeutet das, dass Sie mehr Ludovic Tézier sind, es vielleicht sogar noch persönlicher wird als in einer Opernvorstellung?

LT Ich glaube, dass man in einem Liederabend mehr zeigen kann, nicht physisch, aber mehr von der eigenen Seele. Es ist ein anderes Medium. Das Stichwort lautet: teilen. In der Oper muss man manchmal »zeigen«, ein Rigoletto muss dargestellt werden. Beim Liedgesang hingegen wird geteilt. Und da die Lieder zwar schwer, aber stimmlich etwas weniger herausfordernd als eine komplette Opernpartie sind, kann ich auch mehr riskieren, mehr ausprobieren. Das führt eben dazu, dass das Publikum in einem Liederabend mehr Persönliches von mir erlebt. 

Sie singen »Blick’ ich umher« aus dem Tannhäuser und die Don Quichotte-Lieder von Ibert. Was verbindet diese beiden Programmpunkte?

LT Die Liebe! Don Quichotte ist chancenlos in Dulcinée verliebt und Wolfram ergeht es mit Elisabeth nicht anders. Die beiden Frauen sind ganz verschieden, aber die Männer ähneln sich in ihren Gefühlswelten. Sie träumen, hoffen – und leiden. Für mich sind das zwei miteinander verbundene Figuren. 

Der Abend wird mit Mahler beschlossen. Zu ihm haben Sie eine besondere Beziehung …

LT Ich bin über Mahler zum Liedgesang gekommen. Mit 18 oder 19 Jahren, also ganz am Beginn meines Studiums, widmete ich mich nicht Schubert oder Schumann, sondern Mahler. Dann ergab sich die Chance, eine Meisterklasse bei Christa Ludwig in Paris zu besuchen. Ich hatte die Lieder eines fahrenden Gesellen studiert und durfte mit ihr arbeiten – eine großartige Erinnerung! Am Ende meinte sie: »Sie müssen unbedingt weiter Mahler singen, es ist für Ihre Stimme und Sie spüren diese Musik«. Also dachte ich mir: Wenn Frau Ludwig das sagt, dann muss ich mich richtig bemühen! Und so baute ich früh eine enge Beziehung zu Mahler auf. Und wenn Sie sich bei mir daheim umschauten: Irgendwo liegen immer aufgeschlagene Mahler-Noten, Lieder und Symphonien!

SOLISTENKONZERT
18. Oktober 2022
Ludovic Tézier Bariton
Maria Prinz Klavier

→ Programm:
Gabriel Fauré: Lʼhorizon chimérique, op. 118; Les Berceaux, op. 23/1
Richard Wagner: Wesendonck-Lieder
Blick’ ich umher (aus: Tannhäuser)
Jacques Ibert: Quatre chansons de Don Quichotte
Gustav Mahler: Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert