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Das Staatsopernorchester: Bratschist Dr. Mario Karwan

Das Orchester der Wiener Staatsoper ist ein Kollektiv. Aber die Mitglieder, die dieses Kollektiv bilden, sind paradoxerweise extreme Individualisten. Keiner gleicht puncto Werdegang, Charakter, Ansichten, Bildungsschwerpunkte, ja sogar hinsichtlich der Meinungen dem oder der anderen. Ein typisches Beispiel an herausragender Einzigartigkeit ist der Bratschist Mario Karwan. Schon der Beginn seiner Laufbahn weicht vom üblichen Klischeebild ab: Da gab es keine Vorfahren, die schon seit Generationen in diversen Klangkörpern tätig waren und somit einen möglichen Lebensweg vorzeichneten. Auch keine ambitionierten Verwandten, die das musikalische Talent erkennend schon früh die Weichen legten. Nein, Mario Karwan spielte, wie so viele, als Kind zunächst Blockflöte (wenn auch mit offensichtlich überdurchschnittlicher Begabung) und sang in einem Kinderchor. Das war’s fürs erste. Doch dann kam es, im Zuge eines großen gemeinsamen Kinderchortreffens im Konzerthaus, unerwartet zu einer Art Berufungserlebnis: Ein Geiger der Wiener Symphoniker dürfte offenbar einen so großen Eindruck auf ihn gemacht haben, dass er es ihm gleichmachen wollte. Die Eltern beugten sich schließlich dem beharrlichen Wunsch des Zehnjährigen und nachdem ein Instrument und ein Lehrer bereitgestellt waren, ging das konsequente Üben los. Ganz aus eigenem Antrieb verbrachte er von da an jeden Nachmittag nach der Schule stolz eine Stunde mit dem Instrument. Dass dies bei weitem zu wenig war, darauf machte ihn erst ein Lehrer auf der Musikhochschule aufmerksam, worauf das Pensum sogleich auf die proponierten vier Stunden hinaufgeschraubt wurde. Dem späteren Rat des besagten Lehrers, es doch einmal auch auf der Bratsche zu versuchen, folgte Mario Karwan ebenfalls – erst widerwillig, dann aber mit immer größerer Genugtuung und Freude, da das etwas größere Instrument viel besser in seinen Händen lag als die Geige.

Nach der Matura ging es Schlag auf Schlag: Erste Versuche als Substitut im Graben der Wiener Staatsoper, erste Probespiele und die erste fixe Stelle als Bratschist bei den Wiener Symphonikern. Mit dem Erreichten nicht zufrieden, startete Mario Karwan noch einmal durch, absolvierte die Diplomprüfung auf der Musikhochschule, gab ein großes Konzert, und siegte schließlich bei einem Probespiel des Staatsopernorchesters.
Nach der Aufnahme in den Verein der Wiener Philharmoniker war das Lebensziel, der Berufswunsch gewissermaßen erreicht. Doch wie heißt es so schön bei Wilhelm Busch? „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“ Mit 30 Jahren hatte Mario Karwan das Gefühl neben dem Orchesterspiel noch etwas machen zu wollen und begann ein Psychologie-Studium, das er nach zwei Semestern gegen das deutlich forderndere Jus-Studium eintauschte. In der Schnellbahn, in der Pause in der Kantine – von nun an galt jede freie Minute den Lehrbüchern und Skripten. Hartnäckig absolvierte er Prüfung um Prüfung, und nach der Sponsion zum Magister folgte 1999 die Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaften. Übrigens: Mit dem Thema seiner Dissertation – Arbeitsrechtliche Fragen der Dienstleistung als Wiener Philharmoniker – schlug er die Brücke zu seinem Musikerdasein, das er die ganze Zeit um keinen Deut vernachlässigt hatte (er ließ sich in diesen Jahren nicht ein einziges Mal von Substituten vertreten, was durchaus gestattet gewesen wäre).
Überraschte es seinen Freundeskreis oder seine spätere Frau, dass er nach diesem Gipfelkreuz noch höher hinaus wollte? Wohl kaum. Vielleicht nur, dass Mario Karwan dieses „höher hinaus“ so buchstäblich nahm: Nun hatte es ihm das Fliegen angetan. 2004 erwarb er den Berufspilotenschein, wurde Copilot der Mali-Air und Lehrberechtigter für Motorflug. Und auch hier schloss sich der Kreis zum Musikerberuf: Denn viele seiner Privat-Passagiere sind Opernliebhabern mehr als ein Begriff: Domingo, Thielemann, Bychkov, Eschenbach, Nelsons, um nur einige zu nennen, ließen sich von ihm in die Lüfte entführen und quer durch Europa zu Auftrittsdestinationen fliegen.
Dass er sich nach der Geburt des Sohnes auch der professionellen Fotografie zuwandte, mehrmals beim Wien-Marathon mitlief und seit kurzem regelmäßig bei einem Schwimmverein trainiert sei noch der Vollständigkeit halber angeführt. Seinen Spaß am Musikerberuf haben alle diese außerorchestralen Horizonterweiterungen auf jeden Fall gesteigert und das Lampenfieber gesenkt („wer einmal einen Alleinflug in einer schwierigeren Situation hinter sich gebracht hat, kennt die Angst vor einem falschen Ton nicht mehr“). Kein Wunder also, dass ihn in seinem beruflichen zu Hause, mit nunmehr 61 Jahren, nach wie vor die Herausforderung reizt und er sich um die eben frei gewordene Position des Bratschenstimmführers bewirbt …

Andreas Láng