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Das Publikum soll Partner sein

Es gibt ganze Abhandlungen über erste Sätze in berühmten Romanen. Der erste gesungene Satz in Ihrer Oper Tri Sestri lautet: „Die Töne der Musik sind so heiter“. So einen Beginn wählt man ja nicht zufällig.

Péter Eötvös: Bei Tschechow wird der Satz erst ganz am Ende des Stückes gesagt – ich habe die Reihenfolge ganz bewusst umgedreht und gewissermaßen den Epilog des Schauspiels zum Prolog umfunktioniert, um die Grundstimmung anzudeuten. Diese sogenannte Heiterkeit ist nämlich im Grunde ein typisches Wesensmerkmal der Oper und des Tschechow-Stückes, wobei es sich wohlgemerkt um eine mit sehr viel Schmerz durchtränkte Heiterkeit handelt und nicht um eine Jahrmarktsheiterkeit. Denn durch die ganze Oper zieht sich wie ein roter Faden der Abschiedsschmerz, ein Gefühl, das die Protagonisten ihr Leben lang mit sich weitertragen werden. Und die von Olga angesprochene heitere Musik des bis dahin dort stationierten aber nun abkommandierten Regimentes, das gerade im Begriff ist der Stadt dauerhaft den Rücken zu kehren, symbolisiert diesen Abschiedsschmerz. Irgendwie zieht ja mit den Soldaten auch der scheinbar letzte Lebensfunke aus der Stadt, sodass sich die zurückbleibenden Bewohner geradezu verlassen, verwaist, ja um die letzte Hoffnung gebracht fühlen müssen.

Die Orchesterbesetzung weist unter anderem ein für Opern nicht eben typisches Instrument auf: das Akkordeon. Ging es Ihnen um eine besondere Klangfarbe oder waren andere Überlegungen bei der Wahl dieses Instrumentes ausschlaggebend?

Péter Eötvös: Es ging mir weniger um die bestimmte Klangfarbe als um eine Klangdekoration nach der das Akkordeon das Klangbild von Russland imaginiert – quasi ein akustisches Pendant zum Bühnenbild. Ein Akkordeon kommt im traditionellen Opernorchester tatsächlich selten vor und weckt im Allgemeinen drei Assoziationen beim Hörer: Russland, Südamerika und Frankreich – es hängt dann von der jeweiligen Komposition ab, welche der Zuordnungen zutrifft. Im Falle der Tri Sestri klingt die Melodie des Akkordeons traurig und voller Schmerzen und hat unter anderem die Funktion, den Zuhörer augenblicklich in die Atmosphäre hineinzuziehen – nicht umsonst ist das erste, was das Publikum in dieser Oper hört, also noch ehe das übrige Orchester spielt und die Sänger singen, eben das Akkordeon, dessen Klang den ganzen Bühnenraum erfüllen soll.

Wie sieht es nun mit dem restlichen Instrumentarium aus? Gab es diesbezüglich ebenfalls kompositionsdramaturgische Zielrichtungen?

Péter Eötvös: Ja, die gibt es, sie bilden sogar die Grundlage der Drei Schwestern-Partitur. Ich habe beim Komponieren bewusst einzelne Instrumente mit einzelnen Rollen verbunden und empfand zum Beispiel, dass die Gruppe der Holzbläser sehr gut den Familienmitgliedern, also den drei Schwestern und ihrem Bruder Andrei, entspricht: Ich wies Olga die Altflöte und Irina, diesem schönen, zarten Wesen, die Oboe zu. Mascha bekam die Klarinette und ihr Gatte Kulygin die Bassklarinette, wodurch die eheliche Verbindung der beiden auch akustisch unterstrichen wird. Das noch verbleibende Fagott passt sehr gut zum etwas erbärmlichen Typus von Andrei, da das Fagott in der hohen Lage so wunderschön jammern und traurig singen kann. Die Soldaten – nun was entspricht wohl instrumental den Soldaten – werden durch die Blechbläser repräsentiert, wobei Leutnant Tusenbach, dieser romantische Aristokrat, gleich zwei Hörner erhält. Die zwei Hörner spielen übrigens einmal ein kleines Zitat aus Beethovens Les Adieux-Sonate und erinnern damit an die obligate Abschiedssituation in der Oper und an die deutsche Abstammung Tusenbachs.

Die Partitur von Tri Sestri schreibt zwei Orchester vor und erfordert somit auch zwei Dirigenten …

Péter Eötvös: Die beiden Orchester haben unterschiedliche Aufgaben. Im Graben sitzt die kleinere Besetzung – 18 Musiker, die jene eben erwähnten Instrumente spielen, die den Sängern zugeordnet sind. Der Dirigent dieses Orchesters ist zusätzlich für das musikalische Geschehen auf der Bühne verantwortlich. Das zweite, deutlich größere Orchester mit 50 Musikern spielt hinter der Bühne unter der Leitung des zweiten Dirigenten und sorgt für den symphonischen Klang. Der Vorteil für die Sänger ist, dass sie sich zwischen zwei Klangwänden befinden und damit eine günstigere akustische Orientierungshilfe haben als im üblichen Opernalltag und auch das Publikum bekommt ein stärkeres musikalisches Raumgefühl. Die dramaturgische Funktion der beiden Orchester entspricht darüber hinaus den beiden Lokalitäten bei Tschechow: ein Teil der Konversationen findet ja drinnen im Salon, also weiter vorne, der andere draußen im Garten, also weiter hinten statt. Dieses Drinnen und Draußen, dieser Salonklang respektive Gartenklang wird nun durch die unterschiedliche Platzierung der beiden Orchester auf ideale Weise hörbar gemacht.

Nun hört man im Laufe des Abends auch komponierte „Geräusche“, etwa exakt vorgeschriebenes Tassengeklapper oder das Pfeifen von Mascha …

Péter Eötvös: Maschas Pfeifen kommt schon im originalen Stück von Tschechow vor und ist Zeichen ihrer Rebellion gegen die bestehende Situation – so pfeift sie, trotz ausdrücklicher Aufforderung Olgas es zu unterlassen, ständig weiter. Das Klappern der Teetassen hingegen empfand ich einfach als lustige akustische Bereicherung. Als junger Mann habe ich eine Zeit lang im Sprechtheater gearbeitet und Bühnenmusiken, aber auch Filmmusiken geschrieben. Und von jeher ist Musik für mich nicht nur das, was auf Instrumenten gespielt oder von Sängern gesungen wird, sondern alles was klingt, also auch Geräusche. Was jetzt das Teetassengeklapper anbelangt – nun, wenn jemand das Geräusch hört, das beim Aufsetzen einer Tasse auf die Untertasse entsteht, weiß er automatisch: Hier wird offenbar Tee oder Kaffee getrunken. Dieses komponierte Tassengeräusch in Tri Sestri ist somit auch eine akustische Situationsbeschreibung. Dazu kommt noch der Löffel mit dem man umrühren oder die Tasse an unterschiedlichen Stellen anschlagen kann – das darf jeder zu Hause ausprobieren – es ergibt schöne Klänge, eine schöne Musik (lacht).

Inwieweit können Sie Komponisten benennen, die auf Sie inspirierend wirken, die ihr Werk beeinflusst haben? Wie sieht es diesbezüglich – ganz konkret – bei Tri Sestri aus?

Péter Eötvös: Gerade bei den Drei Schwestern, meiner ersten großen Oper, hat, da es sich um ein Tschechow-Stück, also um einen russischen Stoff handelt, Mussorgski eine große Rolle gespielt. Als ich in Ungarn aufwuchs, war mein Land von der Sowjetunion besetzt und die russische Kultur daher zwangsläufig omnipräsent. Auf jeden Fall hat mich die Musik Mussorgskis von Anfang an gepackt und nie mehr losgelassen. Als ich dann Tschechows Drei Schwestern zu lesen begann, hörte ich in meinem Kopf bereits, was Mussorgski an dieser oder jener Stelle gemacht hätte. Beim Komponieren der Tri Sestri zitierte ich nichts Bestimmtes von Mussorgski, doch war ich in meiner Haltung zu den Tempi von ihm beeinflusst, ganz besonders vom Boris Godunow. Ich liebe weiters die Opern von Tschaikowski und verankerte daher ein kleines Zitat in die Tri Sestri-Partitur. Der dritte schließlich, von dem ich maßgeblich gelernt habe ist Mozart. Wissen Sie, Irina und Mascha sind ständig verliebt und wer hat die Liebe als solche musikalisch am schönsten abgebildet? Mozart! Und wenn Mozart von Liebe schreibt, nimmt er sofort ein oder zwei Klarinetten und macht einen Terzenlauf. Dieses instrumentale Liebesattribut habe ich mir von Mozart ausgeliehen. Wenn also zum Beispiel Mascha über Verschinin, in den sie sehr verliebt ist, spricht, erklingen zwei Klarinetten. Zuhörer, die Mozart verinnerlicht haben, werden sofort die Parallele erkennen.

Sie nannten ein kleines Tschaikowski-Zitat – um welches handelt es sich?

Péter Eötvös: Die Hauptmelodie der Gremin- Arie aus Eugen Onegin – das wird jeder im Zuschauerraum sofort erkennen. Tschechow hat die Drei Schwestern 1901 uraufgeführt und die Uraufführung von Eugen Onegin fand nur wenige Jahre zuvor statt, ein Zitat lag also gewissermaßen auf der Hand: Verschinin, der Mascha unbedingt erobern möchte, zeigt sich bewusst sehr kultiviert, und summt daher eine Melodie aus einer neuen Oper, die er vor kurzem kennen gelernt hat – eben Eugen Onegin. Mascha nimmt die Melodie auf und summt sie ebenfalls, was die Intimität der beiden unterstreicht. Außerdem passt die Melodie auch dramaturgisch, weil Verschinin deutlich älter als Mascha ist und damit die Parallele Gremin- Tatjana gegeben ist. Ein kleines musikalisches Spiel von mir.

Bei der Uraufführung von Tri Sestri in Lyon wurden auch die Frauenfiguren von Männern gesungen, bei der aktuellen Staatsopernproduktion ist das ein wenig anders. Wieso ist so eine besetzungstechnische Änderung möglich?

Péter Eötvös: Beim Tschechow-Stück sind die Rollen selbstverständlich mit Männern und Frauen besetzt und auch ich habe am Anfang in diese Richtung gedacht. Aber je mehr ich mich mit dem Stoff beschäftigte, je mehr mir klar wurde, dass ich keine lineare ablaufende Geschichte vertone, je mehr ich mich mit den wesentlichen Elementen der Oper auseinandersetzte, die da lauten: Abschied, Leere, Sehnsucht, Schmerz, desto eindeutiger erkannte ich die Notwendigkeit alles auf eine möglichst abstrakte Ebene zu hieven. Mein erster Gedanke war daher, alle Rollen durchwegs mit Frauen zu besetzen. Doch dann sträubte sich irgendwas in mir auch die Soldaten von Frauen singen zu lassen. Also kam ich auf die Idee, alle Rollen mit Männern zu besetzen, was insofern auch eine Tradition besitzt, als dies sowohl in der barocken Oper nicht ungewöhnlich war als auch in gewissen ostasiatischen Theaterformen so praktiziert wird. Mir gefiel außerdem der Aspekt, dass die Kontratenöre, die die eigentlichen Frauenpartien verkörpern, dadurch, dass sie eine Oktave höher singen als die Männer und damit eine gewisse erhöhte Atmosphäre ausstrahlen, gewissermaßen an die Kothurnen der antiken griechischen Schauspieler erinnern. So kam es zu der ursprünglichen reinen Männerbesetzung bei der Uraufführung. Danach folgte die zweite Produktion in Düsseldorf, bei der die Frauenrollen von Frauen gesungen wurden – wenn man will, war das eine Variation des Ursprünglichen, bei der der Regie die Aufgabe zufiel, den abstrakten Grundduktus zu verstärken. Hier in Wien zeigen wir nun eine Mischfassung, bei der zwar die drei Schwestern mit Frauen besetzt sind, nicht aber Anfissa und der Gegenpol Natascha – und es funktioniert perfekt!

Haben Sie konkrete Wünsche oder Ratschläge an das Publikum? Sollte der Zuhörer gewisse Vorkenntnisse besitzen, hat er sich auf eine bestimmte Weise vorzubereiten, worauf sollte er beim Erleben der Vorstellung achten?

Péter Eötvös: Jeder einzelne und jede einzelne im Publikum soll Zuhörer und Zuschauer sein – ansonsten könnte ich ja bloß ein Konzertstück schreiben. Und wie ich vorhin schon angedeutet habe, wäre es gut, wenn alle im Zuschauerraum von Anfang an in das Geschehen, in die Atmosphäre hineingezogen, gewissermaßen Partner werden. Das kann durch die Musik, das kann durch das Bühnenbild geschehen, im idealen Fall durch alle visuellen und akustischen Elemente zugleich. So lautet meine Intention für jede Produktion – spezielle Wünsche an das Publikum habe ich nicht. Ja, doch … es möge, wenn es geht, nicht während der Vorstellung husten!

Passiert es Ihnen gelegentlich beim Dirigieren oder Hören eigener Werke, dass Sie sich sagen: Heute würde ich dieses oder jenes anders schreiben?

Péter Eötvös: Mein bisheriges Opernoeuvre umfasst zwölf Werke und es gibt manche, die ich tatsächlich später korrigiert habe. Bei den Tri Sestri, die vor fast 20 Jahren uraufgeführt wurden, verspüre ich kein Bedürfnis etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil, jetzt, wo ich das Werk nach einigen Jahren Pause wieder dirigiere, sehe ich die Partitur mit ganz anderen Augen und entdecke immer wieder Details, von denen ich sagen muss: „Das hast du eigentlich gut gemacht“ (lacht).

Andreas Láng


Peter Eötvös

Tri Sestri

Premiere: 6. März

Reprisen: 10., 13., 16., 18. März