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Am Stehplatz: Amalthea-Verlagschefin Dr. Brigitte Sinhuber-Harenberg

Daheim bei den Göttern

Begonnen hat es mit meinem Großvater. Amtsrat Walter Hertz gehörte nicht nur der Direktion der Bundestheaterverwaltung an, sondern war Opernnarr in höchstem Maße: Mindestens dreimal in der Woche besuchte er das Haus am Ring, alleine Puccinis Tosca hat er in seinem Leben über 300mal erlebt, Persönlichkeiten wie Clemens Krauss, Viorica Ursuleac oder die Konetzni Schwestern zählten zu seinem engsten Freundeskreis. Mit ihnen fachsimpelte er bei uns zu Hause mit größter Leidenschaft über Gott und die Welt – und natürlich über Musik. Dass er seine Enkelin in die von ihm so geliebte Wiener Oper mitnahm, lag auf der Hand. So erlebte ich bereits in jüngsten Jahren meine erste Staatsopern-Vorstellung, Carmen – viele viele weitere sollten folgen.

Wie allgegenwärtig Musik und Oper bei uns daheim waren, zeigt eine Anekdote aus meiner frühen Schulzeit: Ich muss etwa sechs Jahre alt gewesen und alle Schüler hatten ein Lied ihrer Wahl in der Klasse vorzusingen. Ich sang – was sonst – die Gralserzählung aus Lohengrin. Was bei der Lehrerin zu einigem Unverständnis führte,weshalb sie meine Mutter kurzerhand vorlud ...

Die Leidenschaft für die Oper war übergesprungen und noch in meiner Schulzeit wurde ich zur begeisterten Stehplatzlerin. Meistens war ich auf der Galerie anzutreffen, hatte dort meinen fixen Platz, von dem ich nicht nur gut auf die Bühne, sondern auch in den Orchestergraben sehen konnte. Denn dort, wenn ich Glück hatte, waltete Herbert von Karajan, einer meiner „Götter“, den ich verehrte wie auch Birgit Nilsson, Hans Hotter oder Wolfgang Windgassen. Und wenn sie alle gemeinsam im Ring des Nibelungen auf der Bühne bzw. im Orchestergraben standen, war mein Glück vollkommen. Dass ich heute mit Gundula Janowitz befreundet bin, die so unvergleichlich Opernanekdoten erzählen kann – leider nie als Buch, das verweigert sie standhaft – oder mit dem ebenso anekdotenreichen Kurt Rydl – ist eine besondere Freude.

Regelmäßig stellte sich meine Mutter für mich bereits um sechs Uhr morgens an, zu Mittag löste ich sie ab und lernte, in der Schlange stehend, für die kommenden Schul-Prüfungen. Zum Beispiel fanden Teile meiner Maturavorbereitung beim Anstellen für Ring-Karten und in den Vorstellungspausen statt. Denn aus einer wagnerianisch angehauchten Familie war der Ring des Nibelungen natürlich Pflicht und stets größte Freude – bis heute. Die vier Teile könnte ich inzwischen wohl soufflieren, so oft – wohl mehr als fünfzig Mal – habe ich ihn erleben dürfen. Doch nicht nur Wagner zog mich in den Bann, auch Verdi, Strauss und Puccini – die von Franco Zeffirelli inszenierte Bohème an der Wiener Staatsoper ist in meiner Erinnerung ein Höhepunkt. Obgleich ich mich für die gesamte Breite des Theaters interessiere, blieb der Opernstehplatz der einzige. Stehplatzexklusivität, gewissermaßen. Und in all meinen Stehplatzjahren habe ich nur für eine einzige Aufführung keinen Platz bekommen: die Abschiedsvorstellung von Karajan als Staatsopern-Direktor, das war Frau ohne Schatten am 17. Juni 1964. Ich stand im Foyer, hörte die Anfangstakte der Oper und weinte, weil ich nicht im Zuschauerraum war.

Später studierte ich – natürlich – Theaterwissenschaft, wollte Regisseurin werden, fand dann aber den Weg ins Verlagswesen, wo ich meiner Liebe zum (Musik-)Theater auch beruflich folgte. So konnte ich zahlreiche Bücher über die Großen, die ich schätzte, herausgeben; von Otto Schenk entsteht inzwischen das bereits siebente Buch in unserem Verlag. Nach wie vor ist es für mich ein Lebens-Erlebnis, ihn über Musik sprechen zu hören und wie man sie szenisch umsetzt, wie auf der Bühne Natürlichkeit geschaffen werden kann, wie er mit den großen Sängern und Dirigenten gearbeitet hat.

Wir haben aber auch die Erinnerungen von Giuseppe Taddei – die Buchpräsentation noch zu seinen Lebzeiten war ein Ereignis, als er gemeinsam mit Heinz Holecek Opernarien sang – von Angelika Kirchschlager, Elisabeth Orth, Cornelius Obonya, von Franz Bartolomey über seine Philharmoniker-Familie, von Elfriede Ott und Erni Mangold herausgebracht, auch die köstlichen Opernanekdoten von Christoph Wagner-Trenkwitz, kürzlich das in der Agrana Studiobühne Walfischgasse von Staatsoperndirektor Dominique Meyer eingeführte Buch von Clemens Unterreiner über seinen Weg an die Wiener Staatsoper und im Herbst erscheint die Autobiographie von Peter Mati´c, der ja in Ariadne auf Naxos als Haushofmeister brilliert, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wie viele Stehplatz-Abende ich erlebt habe? Das habe ich nie gezählt, wie ich auch nicht Buch über meine Opernbesuche geführt habe. Aber auf dem Dachboden lagert ein Archiv meiner Programmhefte, die ich nach wie vor bei jedem Theater-, Konzert- oder Opernbesuch erwerbe. Dieser Schatz ist inzwischen ausgesprochen umfangreich …


Brigitte Sinhuber-Harenberg studierte Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie. Nach kurzer Tätigkeit als Dramaturgin im ORF übernahm sie 1970 die Presseleitung der Verlagsgruppe Langen Müller Herbig Nymphenburger, danach zusätzlich die Werbung und die Programmverantwortung. 1980 wurde sie Leiterin der Verlagsgruppe in München. 2005 kehrte Brigitte Sinhuber-Harenberg nach Wien zurück und leitete bis 2014 den Amalthea Signum Verlag. Seit 2015 verlegerische Beirätin des Verlages. 2013 Verleihung des Berufstitels Professorin.