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Alles ist Teil der selben Geschichte

Was ist ein Feigling? Ein Feigling ist nicht notgedrungen still, zurückgezogen und ängstlich. Ein Feigling kann durchaus auch laut, arrogant und hochtrabend sein. Nein, ein Feigling ist jemand, der davor zurückschreckt jenen Weg zu beschreiten den er gehen müsste oder den er zu gehen versprochen hat. Ein Feigling steht nicht zu seiner eigenen Überzeugung. Die Musik eines Feiglings kann also durchaus kraftvoll, ja aufdringlich sein – Verdi hat Macbeth auch so eine Musik gegeben. Man darf somit nicht erwarten, dass Macbeths Musik Schwäche ausdrückt. Nicht einmal, dass Macbeth selbst Schwäche zeigt im Umgang mit den Personen seiner Umgebung. Zumindest nicht immer. Angst hat viele Gesichter. Ebenso Feigheit und Schwäche. Keine dieser Eigenschaften ist daher nach außen hin schwarz-weiß. Sie, die Lady, sie ist eindeutig der Motor hinter den Mordserien, den Unheiltaten. Sie ist es, die den Plan dazu entwirft. Aber sie benötigt ihn – und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen. Sie manipuliert und kontrolliert ihren Mann, so viel ist augenscheinlich. Aber das Verhältnis der beiden ist komplexer, Macbeth ist nicht bloß eine Marionette. Zumindest weniger als ein Soldat innerhalb der Armee eine Marionette der Befehlshaber ist. Nein, dieses Verhältnis ist komplexer. Und am Ende? Am Ende sehen wir einen schwachen Menschen, der weder die Kraft hat das Richtige zu tun, noch die Entschlossenheit und Intelligenz, um das Falsche gut zu machen. Seine Arie ist ein pathetischer Monolog voller Schuldeingeständnis und Bedauern. Er erkennt, dass er sich falsch verhalten hat, er erkennt – zu spät – die Verdorbenheit seiner Frau.

Wenn man die Partitur von Macbeth studiert, wird einem bald auffallen, dass Verdi sie ganz farbig gestaltet hat, dazu in einem Wechsel von Licht und Dunkel. Macbeth ist manchmal pathetisch. Nach dem Mord ist er dann von Blut befleckt. In diesem Moment ist er verloren, einem Kind gleich und seine Frau führt ihn an der bluttriefenden Hand. Sie ermutigt ihn, drängt ihn sich ihrem Plan gemäß zu verhalten, jenem Plan vor dem er mit einem Mal zurückschreckt. Natürlich erleben wir Macbeth nicht durchgehend auf diese Weise. Das wunderbare italienische Wort chiaroscuro umreißt die Musik, die Atmosphäre dieser Oper. Alle paar Minuten wechselt Verdi die Farben, überrascht mit atemberaubenden Details. Wir wissen, dass er mit der ersten Vorstellung nicht zufrieden war und in der Pause mit den Sängern weitergeprobt hat, um seine vielfältigen Intentionen hörbar zu machen.

Verdi hat seinen Sängern ins Gewissen geredet dem Schauspiel großes Gewicht beizumessen. Warum? Weil Oper stilisiertes Theater ist. Und in der Tat würde es JEDEM Sänger gut tun, viel Zeit in die Erkundung der darstellerischen Charakterisierung einer Rolle zu stecken und die daraus gewonnene Erfahrung in die sängerische Interpretation einfließen zu lassen. Alles ist Farbe. Alles ist Teil derselben Geschichte. Manches kann man besser durch den Körper erzählen, anderes mit der Stimme, wieder anderes durch beide Elemente gleichermaßen. Wozzeck, Rigoletto, Posa, Germont, Papageno und eben Macbeth – all diese Bühnenfiguren kann man am besten durch die Vermählung von Stimme und Theater zum Leben erwecken.

Verdis große Bewunderung für Shakespeare ist bekannt. Umso bemerkenswerter ist, dass er die erste Fassung von Macbeth schrieb, noch ehe er das originale Stück wenigstens in einer Übersetzung gelesen hatte. Verdi kannte zunächst nur eine Zusammenfassung, eine verkürzte Version. Das erklärt auch, warum er in dieser ersten Fassung seines Macbeth die Titelpartie mit eine Todesarie versah, die zwar wunderbare Musik aufweist, aber nicht der shakespearschen Richtung folgt. Später, nach der endlich erfolgten Lektüre des Schauspiels, überarbeitete er den Schluss und passte ihn dem Original an. Denn Verdi wollte nirgendwo im Gegensatz zu seinem dramatischen Vorbild Shakespeare stehen.

Simon Keenlyside


Macbeth | Giuseppe Verdi
8., 11., 14., 17. Dezember 2016