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© Johannes Ifkovits

Don José ist kein böser Mensch

Eben hat ihn das Wiener Publikum in der selten gespielten Adriana Lecouvreur gehört, nun wird Piotr Beczała im Jänner sein weltweites Rollendebüt als Don José an der Staatsoper geben. Mit Andreas Láng sprach der gefeierte Tenor u.a. über die menschlichen Qualitäten von Don José, den richtigen Zeitpunkt, um Carmen niederzustechen und über die Unverfälschtheit von Emotionen.

Sie haben es vorgezogen Ihren ersten Don José nur nach Rollen wie Maurizio, Gustav III. oder Faust zu singen. Warum?

Piotr Beczała: Ich betone immer, dass es für Tenöre ein Leben vor und ein Leben nach dem Don José gibt. Passagenweise ist diese Rolle ja sehr lyrisch gehalten, nur darf man sich dadurch nicht verführen lassen und sie zu früh ins Repertoire aufnehmen, denn die dramatischen Abschnitte, die ebenso vorhanden sind, haben es in sich und ohne entsprechende Erfahrung und entsprechenden vokalen Aufbau kann sich ein Sänger sehr weh tun. Umgekehrt sollten die lyrischen Qualitäten des Don José trotzdem zur Geltung kommen – ein bloßes Durchstemmen würde die Partie verfälschen. Hier gilt mit anderen Worten, wie so oft: Weder zu früh und noch zu spät.

Und woran erkennt man, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist?

Piotr Beczała: Nun, man geht in regelmäßigen Abständen die Partitur durch, probiert ganz für sich allein die eine oder andere fragliche Stelle aus, bis man das Gefühl hat, dass die stimmlichen Voraussetzungen optimal sind. Die Arie gebe ich übrigens schon seit einiger Zeit immer wieder in diversen Konzerten – jetzt folgt gewissermaßen der Rest (lacht).

Wissen Sie noch, wann Sie begonnen haben sich mit dem Don José zumindest theoretisch zu beschäftigen?

Piotr Beczała: Am Beginn meiner Laufbahn in Linz. Ich habe im dortigen Landestheater mein Debüt als Dancaïro gegeben und ihn wohl an die 20 Mal verkörpert. Natürlich sah ich die ganze Carmen-Handlung aus der Sicht des Dancaïro, aber gleichzeitig verfolgte ich mit großem Interesse die Leistungen jener drei, vier Don José-Interpreten, die in diesen Aufführungen alternierten. Ohne Zweifel habe ich die Oper damals bereits ins Visier genommen – und jetzt, 25 Jahre später, ist es endlich soweit (lacht).

Ist Don José in Ihren Augen ein Muttersöhnchen, der einer Carmen beziehungstechnisch zwangsläufig nicht das Wasser reichen kann oder doch eher ein undurchsichtiger Charakter, der gefährlich ausrasten kann? Liebt er Carmen überhaupt oder lodert in ihm bloß eine ungezügelte Leidenschaft?

Piotr Beczała: Liebe und Leidenschaft liegen ja oft nicht allzu weit auseinander. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Don José, trotz seiner bei Prosper Mérimée beschriebenen gewalttätigen Vorgeschichte, ein Verbrecher ist. Auf jeden Fall kein böser Mensch, allerdings einer, dem in Extremsituationen die Nerven durchgehen – das sind dann nebenbei bemerkt die vokal dramatischen Stellen von denen ich vorhin sprach. Er ist offensichtlich ein labiler Mensch, der überdurchschnittlich leicht von weiblichen Reizen verführt wird und dadurch auch einer Carmen vollständig verfällt beziehungsweise übertrieben auf ihre Provokationen reagiert. Ich bin außerdem überzeugt von der echten Liebe die Don José Carmen gegenüber empfindet. Nur sind leider Don Josés und Carmens Verständnis von Liebe einfach nicht deckungsgleich: Don José hat als Älterer bereits ein Stück Leben hinter sich und möchte endlich eine solide, dauerhafte Beziehung zu einer Frau aufbauen – darauf ist Carmen in keinster Weise vorbereitet. Sie wird nach seiner Verhaftung im ersten Akt vielleicht gar nicht so viel über ihn nachgedacht, durchaus auch für andere Männer getanzt haben. Trotzdem wäre es mit den beiden unter Umständen gut gegangen, wenn sich nicht mit Escamillo ein Dritter ins Spiel gemengt hätte. Aus der Musik ist viel von all dem herauszuhören, nur muss man das Ganze im Auge behalten: Wenn man Don Josés Charakter zum Beispiel nur anhand des durch und durch lyrischen Anfangsduetts mit Micaëla beurteilte, müsste man ihn fast für einen Heiligen halten. In der großen Arie kommen bereits deutlich mehr von seinen Persönlichkeitsfacetten zum Ausdruck.

Aber am Ende tötet er seine große Liebe dann doch …

Piotr Beczała: Das schon, nur versucht er sie und sich fast bis zur letzten Sekunde verzweifelt zu retten. Ich habe lange darüber nachgedacht, an welcher Stelle Don José zusticht – meist passiert dies ja nach seinem „Eh bien! Damnée“, aber ich finde, es müsste fünf Takte später geschehen und zwar auf das „Toréador“ des Chores, denn erst, bei der Nennung des Rivalen, brennen seine Sicherungen durch – damit wird diese Tötung verständlicher.

Es gibt lange Diskussionen, inwieweit man Carmen als Beispiel für einen französischen Verismo heranziehen könnte?

Piotr Beczała: Die Partitur ist von zu vielen lyrischen Stellen durchzogen, um in diese Kategorie einordnebar zu sein und rein formal weicht sie durch die regelmäßigen couplethaften respektive in sich geschlossenen Einzelnummern – denken Sie nur an eine Habanera oder eine Seguidilla – ebenfalls vom veristischen Prototyp ab. Aber auch die weicheren Farben der französischen Sprache gehen nicht in diese Richtung – wenn man Carmen auf Italienisch sänge, klänge das Ergebnis mit Sicherheit schon deutlich veristischer. Lassen Sie es mich folgendermaßen formulieren: Vom sängerischen Standpunkt aus gesehen, sind manche Momente, manche Attacken zwar nahe am Verismo, aber insgesamt, also für die komplette Oper, würde ich diese Frage trotzdem mit Nein beantworten.

Manche Regisseure, manche Künstler ziehen sich in den Intensivphasen der Vorbereitungen vollständig zurück, igeln sich gewissermaßen ein, um zum Kern einer Gestaltungsmöglichkeit vorzustoßen …

Piotr Beczała: Das ist in dieser Form für Sänger im heutigen Opern- und Konzertbusiness fast unmöglich. Nichtsdestotrotz ist eine Rollengestaltung selbstverständlich dennoch ein Prozess. Der mit den – manchmal zu wenigen Proben – beginnt und mit jeder Vorstellung fortdauert. Der Moment, dass ich sage: Jetzt habe ich die Partie umfassend und vollständig ausgeleuchtet, dieser Moment tritt niemals ein. Bei jeder Aufführung entreiße ich ihr neue Aspekte. Glücklicherweise handelt es sich bei der Wiener Carmen um eine sogenannte klassische Inszenierung, bei der nicht ein kompliziert durchdachtes Konzept im Vordergrund steht, sondern die Geschichte von den Sängern erzählt wird. Dadurch können wir die Emotionen aus dem Moment und im Zusammenspiel mit den Kollegen hervorbringen und unverfälscht an das Publikum weitergeben.

Apropos unverfälschte Emotionen: Wie viel von Ihrer eigenen Persönlichkeit darf in jeder Rolle durchscheinen?

Piotr Beczała: Es ist nicht nur fast unvermeidlich, dass ein Teil des Interpreten-Charakters mit in die Gestaltung einfließt, es gelingen sogar jene Partien oder Szenen meist besser, die seinem Grundtypus eher entsprechen. Nur ganz große Sängerpersönlichkeiten schaffen es, die eigenen Züge so weit beiseite zu schieben, dass sie die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Rollen gleichermaßen ausfüllen. Inwieweit das jeweils gelingt – das zu beurteilen obliegt dem Publikum.

Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie in jeder Vorstellung Neues über eine Rolle erfahren. Legen Sie sich pro Partie so etwas wie ein Heft an, um diese Erfahrungen zur Sicherheit zu dokumentieren – quasi als Gedankenstütze?

Piotr Beczała:
Meine Frau witzelt gern darüber, wie gut ich mich an jedes Loch eines Golfplatzes erinnere, selbst wenn ich nur ein einziges Mal dort gespielt habe. So ähnlich scheint es mit den Rollen zu sein: Wenn ich sie einige Male gesungen habe, speichern sie sich bei mir ein – musikalisch wie szenisch.

Und wenn Sie dieselbe Partie in unterschiedlichen Inszenierungen machen?

Piotr Beczała: Dann schiebe ich die eine Regie beiseite und kümmere mich um die andere.

Und das funktioniert so einfach?

Piotr Beczała: Das muss es. Letztes Jahr sang ich zur gleichen Zeit sowohl an der Berliner Staatsoper als auch an der Deutschen Oper Berlin den Rodolfo in der Bohème. Zwei vollkommen verschiedene Produktionen – aber es hat geklappt, ohne dass ich die beiden Inszenierungen vermengt hätte.

Abschließend noch eine Frage, die ich auch an einige Ihrer Kollegen gestellt habe: Wenn Sie Bizet eine Frage stellen dürften – wie würde diese lauten?

Piotr Beczała:
Theoretisieren liegt nicht in der Natur eines Tenors (lacht). Ich würde ihm einfach den Don José vorsingen, um seine Meinung zu hören oder noch besser, ich würde gleich eine ganze Arbeitsstunde bei ihm reservieren. Aber das gilt nicht nur für Bizet, sondern für alle Komponisten. Vor kurzem hatte ich wieder einmal ein Foto in der Hand auf dem Beniamino Gigli und Umberto Giordano gemeinsam zu sehen waren … das muss eine tolle Zeit gewesen sein, in der die Sänger in Rücksprache mit den Schöpfern wichtige Rollenkreationen machen durften. Aber was soll’s – im Grunde ist das Wesentliche ohnehin in den Partituren zu finden, man muss sie nur immer und immer wieder neu studieren.


Carmen | Georges Bizet
23., 26., 29. Jänner 2018
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