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Die Spannung der Vielfalt

Sie sind – nicht nur in Fachkreisen – bekannt dafür, ein besonders breites Repertoire zu bedienen. Zum Beispiel: Sie singen nun an der Wiener Staatsoper Orlando, danach an der Met den Nerone in Agrippina und darauffolgend die Mélisande in Los Angeles. Steckt hinter dieser Spannweite eine Absicht?

Kate Lindsey: Ja, das stimmt: Mein Repertoire ist tatsächlich besonders weit gestreckt. Warum das so ist? Erstens einmal mag ich einfach Unterschiedliches, und ich mag es, wenn dieses Unterschiedliche auch direkt nebeneinander steht. Im Idealfall ergibt sich eine Balance zwischen den verschiedenartigen Stilen und Werken. Zweitens: Es passiert meistens einfach. Mein Auftrittskalender ist nicht konstruiert, sondern ergibt sich aus den Anfragen, die an mich herangetragen werden. Natürlich kann ich das ein wenig steuern, ich kann meine Agentur anweisen, ein bisschen mehr Strauss, ein bisschen mehr Rosenkavalier oder etwas anderes an Land zu ziehen. Doch im Allgemeinen fragen Opernhäuser und Festivals an – und ich wähle dann aus. Ich muss dabei immer fragen: Habe ich ausreichend Zeit, zwischen den einzelnen Rollen umzuschalten? Bleibt genügend Zwischenraum, um aus einer Produktion heraus- und in eine andere hineinzukommen?

Orientieren Sie sich, wenn Sie Anfragen annehmen, an den Werken, den Komponisten, den Häusern?

Kate Lindsey: Ich würde sagen: alles spielt mit. Es kann sein, dass mich eine Zusammenarbeit mit bestimmten Künstlern reizt. Meistens ist es das Paket aus: Wer macht was? Und: Geht es sich aus?

Mit „geht es sich aus“ ist gemeint, dass sich das Hintereinander der Probenzeiten ausgeht?

Kate Lindsey: Ja, vor allem auch: dass zwischen den Produktionen ausreichend Raum für eine Pause ist. Ich möchte einfach genug Zeit haben, nach einer Serie wieder herunterzukommen und meine Energie wieder aufzufüllen. Ich brauche Pausen zwischen den einzelnen Produktionen, in denen ich ein „normales“ Leben leben kann. Also abschalte, nicht an eine Vorstellung in zwei Tagen denken muss und auch keine Angst habe, einmal einen Schnupfen zu haben. Ich mache leidenschaftlich gerne Yoga und freue mich, wenn das auch seinen Platz findet. Und: Ich liebe es, eine ruhige, ja stille Phase zu haben. Abgesehen davon möchte ich Dinge in Ruhe einstudieren können. Für mich ist es das Schlimmste, wenn ich beim Lernen gehetzt bin. Also vermeide ich das.

Wie lange hat die Einstudierung des Orlando gedauert? Doch keine einfache Partitur ...

Kate Lindsey: So richtig mit dem Studieren habe ich im Juni begonnen. Es war eine aufregende Sache für mich, ein bisschen wie die Besteigung des Mount Everest. Ich habe einfach jeden Tag ein bisschen was gelernt, jedes Mal ein kleines Stück. Es geht ja nicht nur darum, die Musik in den Kopf zu bekommen, sondern sie auch im Muskelgedächtnis abzuspeichern. Ich wiederholte und wiederholte, bis ich das Gefühl hatte, dass es jetzt richtig sitzt. Ich bin diesmal von der – komplexen – Rhythmik ausgegangen und habe mich danach erst der Musik zugewandt. So richtig auswendig lernen musste ich die Partie aber gar nicht, da sich durch das oftmalige Wiederholen die Musik wie von selbst eingebrannt hat. Ich fand diese intensive Studienphase sehr spannend, nicht nur, was die Musik betrifft, sondern auch, weil ich gefordert war, meine handwerklichen Fähigkeiten der Gesangstechnik voll auszuschöpfen.

Haben Sie über Bezugspunkte gearbeitet? In dem Sinne von: Diesen Aspekt kenne ich aus einem anderen Stück, daran orientiere ich mich.

Kate Lindsey: Nein, Olga Neuwirths Musik ist so einzigartig, dass eine solche Annäherung nicht funktioniert. Meistens ist es so, dass Komponisten ihre ganz typischen Phrasen und Intervalle haben, die man im Laufe der Arbeit wiedererkennt. Olga aber hat nicht so gearbeitet. Sie schreibt sehr vielschichtige, vielfärbige Musik, die sich am Stil der jeweiligen Epoche der Zeitreise orientiert.

Abgesehen von der Musik und dem Text: Welche Referenzpunkte haben Sie sich gesetzt?

Kate Lindsey: Es war ja tatsächlich wie ein Wink des Schicksals: Zufällig habe ich vor zwei oder drei Jahren Virginia Woolfs Orlando genau studiert. Als die Anfrage kam, hatte ich also ein recht konkretes Bild vor mir – das sich beim neuerlichen Lesen natürlich noch geschärft hat. Der Roman ist – naheliegender Weise – der erste Bezugspunkt. Aber es kommt auch noch anderes dazu, zum Beispiel der Orlando-Film von Sally Potter – und das, obwohl ich für gewöhnlich keine Filme, die in irgendeinem Zusammenhang mit meinen Opernproduktionen stehen, anschaue. Aber diese Verfilmung hat eine Leichtigkeit, die mir bemerkenswert erscheint. Man neigt ja dazu, das Buch zu schwer zu nehmen und das Spielerische, das auch mitschwingt, zu vergessen. Der Roman Orlando wurde ja für und zum Teil als Portrait über Woolfs Geliebte Vita Sackville-West geschrieben, und er ist wie ein einziger langer Liebesbrief. Ich lese begleitend eine sehr ausführliche Biografie über die Autorin – all das ver- vollständigt mein Orlando-Bild.

Nun ist Orlando ja ein diffuser Charakter. Scheint Ihnen eine Annäherung an eine solche vielfältige Figur leichter, weil sie mehr Freiheiten bietet? Oder schätzen Sie eher scharfe Umrandungen?

Kate Lindsey: Die Herausforderung ist, dass Orlando eine Art passive Präsenz hat, er (oder sie) saugt alles auf, betrachtet, kommentiert. Es hat etwas Beobachtendes, und das ist nicht einfach darzustellen. Man ist Teil der Welt, aber auch außerhalb von ihr. Das erfordert eine feine Balance.

In der Partitur ist festgehalten, dass Orlando über eine „vielseitige“ Stimme verfügen soll. Was bedeutet das? Ist eine vielseitige Stimme eine, die an sich über viele Farben verfügt, oder eine, die technisch eine Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten anbietet?

Kate Lindsey: Ich würde sagen, das betrifft zunächst einmal den Stimmumfang. Aber natürlich ebenso die einzelnen Farben, wobei es nicht nur um sogenannte „schöne“ Klänge geht, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit, ungewohnte Töne zu erzeugen. Dazu kommt, dass ein klarer, geradliniger Ton ebenso gefordert wird wie ein großformatiges Vibrato. Und auch stilistisch: nicht nur Oper, sondern auch eine Annäherung an eine Pop-Stimme. All das, glaube ich, wird im Begriff der Vielfalt zusammengefasst.

Das Gespräch führte Oliver Láng


ORLANDO
Oper in 19 Bildern | Auftragswerk der Wiener Staatsoper
Musik: Olga Neuwirth | Libretto: Catherine Filloux und Olga Neuwirth

Uraufführung: 8. Dezember 2019
Reprisen: 11., 14., 18., 20. Dezember 2019

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