© AKG IMAGES

Le Grand Macabre

Durch die ihm unbekannten Gelüste des Lebens verführt und überwältigt, stirbt am Ende ausschließlich  Nekrotzar selbst. Alle anderen gelangen zur Moral,  dass ihr vorläufiges Überleben zur Beibehaltung des bis dahin geführten Lebenswandels genutzt werden sollte.

Beitrag von Andreas Láng

Angesagte Weltuntergänge finden in der Regel nicht statt. Mit seiner einzigen Oper Le Grand Macabre gelang György Ligeti ein großes und diskursives Welttheater, in dem die ungeschminkte Conditio humana mit all ihren Trieben und Schwächen nichts weniger als eine bevorstehende Apokalypse zu Fall bringt: In ein imaginäres, korruptes Schlaraffenland – das »verfressene, versoffene und verhurte« Breughelland –
platzt eines Tages der Tod alias Nekrotzar alias der dämonische Große Makabre, um die unmittelbare Zerstörung der Welt und der frivolen Menschheit zu verkünden. Durch die ihm unbekannten Gelüste des Lebens verführt und überwältigt, stirbt am Ende aber ausschließlich Nekrotzar selbst. Alle anderen gelangen zur Moral, dass ihr vorläufiges Überleben zur Beibehaltung des bis dahin geführten Lebenswandels genutzt werden sollte.
Mit dem am 12. April 1978 an der Königlichen Oper Stockholm uraufgeführten Werk gelang György Ligeti ein groteskes Meisterstück, das nicht nur ein zentrales Werk im Schaffen des österreich-ungarischen Komponisten darstellt, sondern sich weltweit dauerhaft im Repertoire verankern konnte. Durch ironische Distanz, Verfremdung und eine durchgehende Doppeldeutigkeit, die »den Ernst humoristisch und das Komische todernst nimmt«, wird das Grundthema der Oper – die notwendige Aufhebung der Angst und der Triumph des Eros – vor Augen und Ohren des Publikums entfaltet. Inspiriert von Kafka, Jarry, Herzmanovsky-Orlando, von Goethes Faust, den mittelalterlichen Mysterienspielen, aber auch der Pop-Art und Hieronymus Bosch, verfolgte Ligeti mit Le Grand Macabre die Idee eines »hyperfarbigen, comicartigen Geschehens, in dem die Charaktere und Bühnensituationen direkt, knapp gehalten, unpsychologisch, verblüffend und doch ganz sinnlich sein sollten.« Als Vorlage diente ihm das 1934 entstandene Schauspiel La Balade du Grand Macabre des Belgiers Michel de Ghelderode. Von daher rührt auch der französische Titel des im Original deutschsprachigen Librettos, das der Komponist gemeinsam mit dem Regisseur Michael Meschke verfasst hat. 
Der synästhetisch veranlagte Ligeti – er assoziierte Farben und Formen, Maschinen, physikalische Apparate mit musikalischen Vorgängen und umgekehrt Klänge und Geräusche mit Farben, Wörtern und Buchstaben – suchte in Le Grand Macabre zudem »die totale Verschmelzung von Handlung und Musik«, also ein Bühnengeschehen durch Musik. Eine bewusst verrückte und »übertriebene Musik« wohlgemerkt, die eine geradezu regelwidrige Orchestration auszeichnet. Neben der eher kleinen Streicherbesetzung, die das lyrische Element repräsentiert, finden sich im Instrumentarium eine Basstrompete, Mundharmonika, Trillerpfeifen, sechs Türklingeln und nicht zuletzt zwölf unterschiedlich gestimmte Autohupen, die fanfarengleich die Oper eröffnen und einerseits die kaputte, unlenkbare Welt von Breughelland symbolisieren und andererseits entfernt an die Monteverdi’sche Toccata zu L’Orfeo erinnern sollen. Überhaupt bereichern Allusionen und verformte bzw. verfremdete Zitate aus der europäischen Kunstmusik die Partitur. Wobei Ligeti, der sich keiner Tradition verpflichtet fühlte, die romanische Opernmusik, konkret Verdi, Rossini, Offenbach, Rameau und eben Monteverdi, aber auch Mozart, Liszt, Schumann, Schubert, Strawinski deutlich näher lag als die »musikdramatischen Konzeptionen von Wagner, Strauss und Berg«, von denen er sich distanzierte. Eine zusätzliche Färbung erzielte Ligeti mit einer von ihm als artifizielle Folklore bezeichneten Zusammenführung unterschiedlichster Stilmaterialien: brasilianischer Samba, andalusischer Flamenco, bulgarische Rhythmen, ungarischer Verbunkos. Eingefasst ist dies alles durch einen spielerischen Umgang mit historischen Kompositionsformen. So kommen etwa Choräle, Spiegelkanon, Bourrée perpetuelle, Passacaglia und Ostinatobildungen zum Einsatz. In der Großform ist die Oper als gigantische Barform gestaltet: die ersten drei Bilder als vergleichbar lange Stollen, das vierte Bild als kürzerer Abgesang. Angesichts der Bühnenpraxis im täglichen Opernbetrieb und der Erfahrungen bei den ersten internationalen Aufführungsserien unterzog Ligeti die Partitur 1996 einer Revision, in der er die gesprochenen Textpassagen verringerte, manche Abschnitte neu ausarbeitete und stellenweise in die Instrumentation eingriff. Bei der Staatsopern-Erstaufführung wird diese gültige Fassung zu erleben sein.

 

GYÖRGY LIGETI
LE GRAND MACABRE

11. 14. 17. 19. 23. NOVEMBER 2023

Musikalische Leitung PABLO HERAS-CASADO
Inszenierung & Bühne JAN LAUWERS
Kostüme LOTLEMM
Licht KEN HIOCO
Choreographie PAUL BLACKMAN & JAN LAUWERS
Dramaturgie ELKE JANSSENS/EMILY HEHL

Nekrotzar GEORG NIGL
Chef der Gepopo/Venus SARAH ARISTIDOU
Fürst Go-Go ANDREW WATTS
Amanda MARIA NAZAROVA
Amando ISABEL SIGNORET
Astradamors WOLFGANG BANKL
Mescalina MARINA PRUDENSKAYA
Piet vom Fass GERHARD SIEGL
Weißer Minister DANIEL JENZ
Schwarzer Minister
HANS PETER KAMMERER