Zwei Ebenen der Interpretation: Paul Klee die Sängerin L. als Fiordiligi, 1923 Courtesy Galerie Thomas

Abenteuer Schule - Così fan tutte im Lauf der Zeit

Die Bezeichnung »Mozart-Da Ponte-Zyklus« ist ungefähr so häufig wie der Hinweis, es sei nicht ganz korrekt, von einem Zyklus zu sprechen. Was stimmt und auch wieder nicht. Denn natürlich haben Dichter und Komponist, die Mozarts frühen Tod im Dezember 1791 nicht ahnen konnten, diese drei so unterschiedlichen Opern nie als in sich verbundenen Korpus gedacht. Von heute aus betrachtet kuratiert sich der »Zyklus« andererseits wie von selbst – durch die musikdramatische Kraft, die der von Mozart in einem berühmten Brief imaginierte, aus Dichter und Komponist gebildete »wahre Phönix« in diesen drei Werken entwickelte: Die Kunstfertigkeit, mit der Mozart und Da Ponte Musik zu Theater werden ließen und umgekehrt, die Musikalität der Dichtung, die Poesie der Musik und der beides vereinende umwerfende Witz.

Humor ist eine der Klammern um das Dreigestirn von Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte: szenischer Humor, musikalische Komik, Sprachwitz – drei Aspekte, die eng miteinander verbunden sind. Ein »musikalischer Spaß«, dem es nicht an Selbstironie fehlt, steht im Finale von Don Giovanni: Leporello feuert die Musiker an, die bekannte Opernmelodien spielen – »Bravo! Cosa rara!« – »Evvivano i litiganti!«. Als der seinerzeitige Gassenhauer »Non più andrai« aus Le nozze di Figaro ertönt, heißt es nur lapidar: »Das kenne ich nur zu gut« – nur zu gut erinnerte sich Mozart, dass Vicente Martín y Solers Una cosa rara – ebenfalls nach einem Libretto von Da Ponte – seinen Figaro auf dem Spielplan der Wiener Hofoper abgelöst hatte.
Ein Figaro-Zitat findet sich auch in Così fan tutte, und zwar an prominenter Stelle, denn hier ist es Motto, Thema, Titel – und eine Spekulation. Ob das titelgebende Così fan tutte tatsächlich auf das Terzett im ersten Akt von Le nozze di Figaro verweist, ist nicht gesichert, liegt aber nahe. An der fraglichen Stelle wird der verborgene Cherubino in Susannas Zimmer entdeckt, und der eben noch galante Don Basilio schwenkt zur Häme um: »Così fan tutte le belle; non c’è alcuna novità!« – »So machen’s alle Schönen [Frauen], das ist keine Neuigkeit!«
Lorenzo Da Ponte hatte das Libretto ursprünglich für Antonio Salieri geschrieben, betitelt mit La scuola degli amanti, dem heutigen Untertitel. Warum Salieri die Vertonung nach wenigen Versuchen (die in Fragmenten erhalten sind) abbrach, ist nicht bekannt. Bekannt, aber nicht zu belegen ist die Vermutung, dass vor allem Mozart eine Verwechslung der neuen Oper mit Salieris beliebtem dramma giocoso La scuola de’gelosi (Die Schule der Eifersüchtigen, UA 1778 in Venedig) vermeiden wollte und darum Così fan tutte als Titel vorschlug. Somit ist der Weg geebnet, um die drei Werke Mozarts und Da Pontes noch enger aneinanderzuspekulieren – mit dem (einmal sicheren, einmal wahrscheinlichen) Figaro-Zitat erhalten die beiden späteren Werke den Verweis auf die initiale Zusammenarbeit wie ein Wasserzeichen, das sie final als aus der Manufaktur Mozart-Da Ponte stammend ausweist.


MIT DER BETTELKADENZ IN DIE SCHULE DER MÄNNER

Aus der Zeile »Così fan tutte« schuf Mozart auch die Kennmelodie des gleichnamigen Werks. Gesungen erst gegen Ende des zweiten Aktes, ist sie in der Ouvertüre schon ab dem achten Takt zu hören. Nach zweimaligem Wechsel zwischen forte und piano, feierlichem Streicher-Auftakt und dem schmeichelnden Oboensolo schleicht sich das Thema geradezu davon: Die berühmte »Bettelkadenz« – »als ob etwas vorausgegangen wäre, das eine Kadenz erheischte«, wie der Musikwissenschaftler Stefan Kunze schreibt: drei Terzschritte nach unten, im piano eine wehmütige Verzögerung nach a-Moll, eine Pause wie zum Nachdenken. Dann dasselbe noch einmal, aber forte und ohne den schmachtenden Moment am Ende, stattdessen der direkte, fast eilige Weg nach C-Dur und ins Presto, wo die Funken fliegen. So klingt die Zeile »Così fan tutte«, so klingt sie hier und so wird sie später klingen, wenn Don Alfonso sie Guglielmo und Ferrando nachsingen lässt wie eine Lektion (Akt 2, Szene 13).
Die scuola degli amanti des Don Alfonso nämlich belehrt die Männer über die Frauen, die Grammatik verrät es schon im Titel mit der weiblichen Endung. Eine Konstellation, aus der sich quellenkritisch einiges über die Typisierung der Geschlechtscharaktere im 18. Jahrhundert erlernen lässt und die in die lange »Problemgeschichte« von Così fan tutte gehört.
Da Ponte schrieb das Libretto nicht wie Le nozze di Figaro nach einer oder Don Giovanni nach mehreren Vorlagen. Die Originaldichtung enthält allerdings einige literaturhistorisch bedeutsame Motive, für die unterschiedliche Quellen festzustellen sind: Für die »Treueprobe«, die die Handlung von Così fan tutte motiviert, finden sich Beispiele in der Literatur von Ovid bis Marivaux, unter anderem Giovanni Boccaccio und William Shakespeare
liefern die Verbindung mit einer Wette dazu. Der belesene Lorenzo Da Ponte führt diese Motive zu einer eigenen Erzählung zusammen.
Über die Entstehungsgeschichte von Così fan tutte ist nicht viel bekannt, da sich Komponist und Librettist in derselben Stadt befanden, fehlt etwa ein erhellender Briefwechsel, und der sonst so auskunftsfreudige Da Ponte erwähnt die Oper in seinen Memoiren nur äußerst kurz und am Rande als »eine Oper, die den dritten Rang unter den drei berühmten von diesem Tondichter geschaffenen Werken einnimmt«. Dass bei der Wahl des Sujets eine wahre Begebenheit eine Rolle gespielt habe, wurde in verschiedenen Zusammenhängen ins Spiel gebracht, fast immer mit dem Hinweis, dass sich dergleichen nicht belegen lässt – ebensowenig wie der angebliche direkte Auftrag durch Kaiser Joseph II. Der offizielle Auftrag von Seiten des Hofoperntheaters erging wahrscheinlich im September 1789, und Mozart konzentrierte sich in der äußerst kurzen Zeit bis zur Uraufführung am 26. Jänner fast vollkommen auf das neue Opernprojekt. Wie für die damalige Zeit üblich, wurde bis kurz vor der Uraufführung geändert, verbessert und umkomponiert; auffällig ist dagegen, dass sich in der Partitur mehrere Hinweise darauf finden, dass Mozart und Da Ponte die Zuordnung der
Paare nach der Verkleidungsintrige noch mehrfach änderten und erst spät entschieden wurde, ob Guglielmo und Ferrando jeweils die eigene Verlobte oder die des Freundes verführen sollten. Musikdramatisch gingen Mozart und Da Ponte mit Così fan tutte konsequent den Weg weiter, den sie mit Le nozze di Figaro und Don Giovanni begonnen hatten: Zwar enthält das Werk unvergleichliche Solonummern wie Ferrandos Arie »Un’ aura amorosa« (1. Akt) oder Fiordiligis Rondo »Per pietà, ben mio« (2. Akt); der Anteil der Ensembles ist im Vergleich zu den beiden Vorgängerwerken aber nochmals deutlich angestiegen: 20 von 31 Musiknummern singen die Sängerinnen und Sänger gemeinsam, die auch vordergründig handlungstreibenden Anteile der Komposition überwiegen damit bei weitem.
Die Uraufführung am 26. Jänner 1790 im alten Wiener Burgtheater am Michaelerplatz scheint durchaus erfolgreich gewesen zu sein, zeitgenössische Quellen äußern sich sehr positiv. Unterbrochen wurde die erste Aufführungsserie nach fünf Vorstellungen durch den Tod Kaiser Josephs II. am 18. Februar, das Burgtheater wurde in der Folge
im Zuge der offiziellen Staatstrauer bis 12. April geschlossen. Erst im Juni wurden noch einmal fünf Vorstellungen gespielt, die Mozart ebenso wie die ersten fünf leitete. Weitere Vorstellungen der Oper hörte der im Dezember 1791 verstorbene Komponist nicht mehr, in Wien wurde das Werk erst 1794 wieder gespielt. Andernorts kam Così fan tutte zu Mozarts Lebzeiten aber noch mehrere Male zur Aufführung: Für die Prager Neueinstudierung überarbeitete der Komponist seine Partitur, die Produktion gastierte anschließend in Leipzig und Dresden, weitere Produktionen – in deutscher Sprache – gab es in Frankfurt am Main und Mainz.


MÄDCHENRACHE UND ZAUBERPROBE

Nach Mozarts Tod begann sich der Leumund des Werks zu verschlechtern. Vereinzelte Zeitgenossen hatten das Werk von Beginn an abgelehnt – so der berühmte Schauspieler, Dramatiker und Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder, der 1791 in sein Tagebuch notierte, bei dem Werk handle es sich um »ein elendes Ding, das alle Weiber herabsetzet, Zuschauerinnen unmöglich gefallen kann und daher kein Glück machen wird.« Zwar sollte Schröder mit seiner Prognose über das Schicksal der Oper nicht Recht behalten, aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehrten sich die kritischen Stimmen, die fast alle (mit berühmten Ausnahmen wie Richard Wagner) Mozarts Musik gegenüber dem immer deutlicher abqualifizierten Libretto Da Pontes in Schutz nahmen. Der berühmte Musikkritiker Eduard Hanslick (1825–1904) etwa geißelte Da Pontes Dichtung fast vierzig Jahre lang immer wieder aufs Neue, zuletzt noch in seiner Besprechung von Gustav Mahlers Neuinszenierung an der Wiener Hofoper im Jahr 1900. Sein final gedachtes Verdikt aus dem 1875 hatte kein Gehör gefunden: »Die grenzenlose Plattheit des Textbuches ist es, was Mozart’s lieblicher Musik zu Così fan tutte überall den Garaus macht. Die Bildung unserer Zeit kann beim besten Willen damit keinen Vergleich mehr schließen.« Warum mit dem Werk »kein Vergleich mehr geschlossen« werden wollte, wird im Lauf des 19. Jahrhunderts immer wieder unter drei sich wiederholenden Schlagworten begründet: Albernheit, Unwahrscheinlichkeit und Frivolität. Dabei können die drei Aspekte auch zusammengedacht werden: Aus der »albernen« Maskerade, die »unwahrscheinlicherweise« von den beiden jungen Frauen nicht durchschaut wird, folgt die »Frivolität« der Untreue mit dem Verlobten der Schwester. Dass die sich verfestigenden Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts die Darstellung einer solchen Untreue auf der Bühne nicht dulden konnten, liegt auf der Hand. Versuche, zumindest Mozarts Musik durch Bearbeitungen oder sogar ganz neue Textfassungen zu »retten«, wurden unter Titeln wie Mädchenlist, Mädchentreue, Mädchenrache, aber auch Die Guerillas, Die verfängliche Wette oder Die Zauberprobe auf die Bühnen des deutschen Sprachraums gebracht. Die ersten drei Titel lassen das verbreitete Sujet erkennen, Fiordiligi und Dorabella (beziehungsweise Leonore und Dorabella, wie sie in deutschen Fassungen oft genannt wurden) die Intrige erkennen zu lassen und darauf zu reagieren; die anderen drei verweisen auf risikofreudige Bearbeitungen, an denen häufig bemängelt wurde, dass durch sie gerade die angestrebte Rettung des Mozart’schen Opus deutlich verfehlt worden sei. Den Korrespondenten der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung scheint man angesichts einer Prager Aufführung der Zauberprobe (Text G. F. Treitschke) über seinem Bericht fast stöhnen zu hören: »Mozart zeichnete seine Charaktere durch Töne so wahr, dass der muthwillige Scherz und die Grazie seines Kammermädchens durchaus für keinen Luftgeist, die Schlauheit seines italienischen Doktors für keinen Zauberer passt, und dass in dieser Umwandlung das schöne Ganze nur gestört und verunstaltet erscheinen musste.«


POTENZIAL FÜR NEUE WEGE

Ein Glück, dass das 19. Jahrhundert mit seinen Zauberproben und Guerillas zu Ende ist, könnte man sagen. Ein Glück aber auch, dass dasselbe für das 18. Jahrhundert und seine biologistischen Ansichten über die Beschaffenheit von Männern und Frauen gilt. Denn so hilflos und auch lächerlich die bürgerliche Angst vor dem »Frivolen« samt
den entsprechenden Abwehrversuchen aus heutiger Sicht erscheint, so enthält Così fan tutte doch auch eine philosophische Konstellation, dieuns beschäftigen sollte – und in jüngeren Inszenierungen auch auf die eine oder andere Weise regelmäßig zum Thema wird. Don Alfonso ist nicht aus Not oder Beiläufigkeit ein »alter Philosoph«. In seiner »scuola degli amanti«, in die, wie schwer zu übersehen ist, nur Männer aufgenommen werden, wird gelehrt, was zeitgenössische Denker wie Jean-Jacques Rousseau (Émile oder über die Erziehung, 1762) oder Denis Diderot (Über die Frauen, 1772) vorgelegt hatten: Die Differenz zwischen »sinnlich« veranlagten Frauen und vernunftbegabten Männern – die Schule der Frühaufklärung, die natürlich nicht ohne Gegenstimmen blieb, aber für die bürgerliche Moral, die sich dann so verzweifelt mit Così fan tutte abmühte, große Bedeutung bekam. Das Gefälle, das sich hier andeutet, finden wir auch noch ganz am Ende von Così fan tutte, wenn das Verwirrspiel entlarvt und die Frauen »schockiert« sind. Vor dem fröhlichen Schlusschor schwören die Frauen erst noch, ihre Männer entschädigen zu wollen – mit Liebe und Treue, mit ewiger Anbetung. Es bleibt den Männern, augenzwinkernd zu erklären, dass sie das gerne glauben, aber nicht überprüfen würden. Die Männer haben also den Umgang mit den Frauen gelernt, wie sie ihnen Don Alfonso beschrieben hat. Die Frauen haben erst noch zu entscheiden, ob der Schwur, den sie im ersten Schrecken aussprechen, tatsächlich ihre ganze Conclusio aus dem Spiel ist, das mit ihnen gespielt wurde.

Don Alfonso ist nicht aus Not oder Beiläufigkeit ein »alter Philosoph«

Diese Konstellationen und die Herausforderungen, die das Libretto mit sich bringt, müssen weder erschrecken noch zu Ehrenrettungen bemüßigen. Das Theater gibt uns Möglichkeiten, Così fan tutte jenseits der Zauberproben und Mädchenrachen in seinem gekonnten Wechselspiel von Musik und Sprache zu genießen, ohne Schwierigkeiten der Fabel zu ignorieren. Tatsächlich deutet sich in den Verrenkungen der Bearbeitungen
des 19. Jahrhunderts schon an, was heute selbstverständlich ist oder sein sollte: Theater – und gerade Musiktheater mit seiner langen Tradition und seinem Repertoire aus mehreren hundert Jahren – ist nicht nur Interpretation, sondern immer auch Korrespondenz zwischen sich verändernden Zeiten. Künstlerinnen und Künstler, die Così fan tutte heute auf die Bühne bringen, haben die Möglichkeit, Widersprüche in dem Werk für ihre Interpretation und jene des Publikums fruchtbar zu machen als eine »Schule der Liebenden«, in der die Grenzen zwischen Lehrenden und Lernenden ebenso zur Diskussion stehen wie die Verbindungen zwischen Fiordiligi, Dorabella, Guglielmo und Ferrando.

Text von Nikolaus Stenitzer


EINE LEKTION FÜR HUNDERT ZECHINEN

Der »alte Philosoph« Don Alfonso provoziert die jungen Freunde Guglielmo und Ferrando: Auch die Verlobten der beiden – die Schwestern Fiordiligi und Dorabella – könnten, ja müssten ihnen irgendwann untreu werden. Guglielmo und Ferrando weisen das entrüstet zurück, eine Wette wird geschlossen: Durch eine von Don Alfonso eingefädelte Charade sollen die Frauen zur Untreue verführt werden, wer Recht behält, gewinnt hundert Zechinen. Don Alfonso heuert Despina, die Zofe der beiden Schwestern, als Intrigenhelferin an. Die Liebhaber reisen zunächst mit einem fingierten Einberufungsbefehl zum Militär ab und kehren dann in Verkleidung wieder, um als
scheinbar Fremde um die Frauen zu werben. Durch die tatkräftige Unterstützung Despinas, die den Frauen nachdrücklich die Bedenkenlosigkeit des Unternehmens nahebringt, entscheiden sich die Schwestern eine nach der anderen, sich mit ihren verkleideten Liebhabern einzulassen – wobei sie jeweils den Verlobten der Schwester wählen. Als die Intrige am Ende aufgelöst wird, hat Don Alfonso die hundert Zechinen gewonnen – die Folgen der Lektion, die seine »Schule der Liebenden« gelehrt
haben will, wird ihre Wirkung in der Zukunft zeigen müssen, die jenseits des lieto fine der Oper liegt, in dem die die vier Liebenden die »bella calma« beschwören, die schöne Gelassenheit.