Freiheit & Anarchie

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Nach mehr als zehn Jahren erklingt Richard Wagners Tannhäuser als letzte Premiere der Saison an der Wiener Staatsoper.

Man stelle sich nur diesen Beginn vor! Da ist einer am Ziel aller sinnlichen Wünsche, überall Glückseligkeit und Überfluss, das Orchester kocht, man erlebt »ein verführerisch wildes und hinreißendes Chaos« (© Wagner) – und dann die gewollte Vollbremsung: Abschied von allem Überfluss: hin zu Wahrheit, Askese – und Tod. Tannhäuser, uraufgeführt 1845, erzählt vom gespaltenen Menschen – und von der Liebe. Nach dieser fragt die Wartburger Sängergemeinschaft, nach dieser sucht auch Tannhäuser: Bei der Liebesgöttin Venus findet er schier endlose Lust, bei der »reinen« Elisabeth hofft er Seligkeit zu finden. Doch das (erlebt) Erotische wird zur Zentrifugalkraft, die ihn an die Ränder der Gesellschaft – und darüber hinaus – treibt. Aber er ist nicht allein: In seinem Schlingern zwischen Lust und Entsagung, zwischen Schuldgefühl und Protest, im Hin- und Hergerissensein zwischen sinnlicher Erfüllung und Erhöhung entspricht er ganz der Grammatik des romantischen Zeitalters – und spricht uns auch heute noch direkt an.

Tannhäuser stellt, nach Rienzi und Der fliegende Holländer, den nächsten großen Schritt in Richard Wagners Entwicklung dar. Mehr noch, vieles verweist bereits auf spätere Werke: »Die Pilger- und Rom-Musik deutet, was das Religiöse betrifft, auf seine letzte Oper, Parsifal, hin. Und die Venus-Musik auf Tristan und Isolde – selbst in der ersten, der Dresdner Fassung«, erläutert Premierendirigent Philippe Jordan.

In Tannhäuser erkennt man freilich auch Wagners fortan mehrfach wiederholte stoffliche Hinwendung zum Mittelalter wie auch die Fortspinnung des ihn umtreibenden Erlösungs- und Vergebungsgedankens. Und natürlich kann Tannhäuser auch als Künstlerdrama gelesen werden: »Er ist einer, der schaffen möchte. Aber um zu schaffen, muss er erleben. Das reine Können, das hat er längst überwunden, es bringt ihn nicht weiter und langweilt ihn. Deswegen muss er die Grenzen sprengen, um in seiner Kunst weiter zu wachsen«, so Jordan. Mehr noch, Tannhäusers Suche kann als Modell der gesamten Kunst dienen, wie Bühnenbildner Momme Hinrichs es sieht:

»Die gleiche Entwicklung, die der Protagonist durchlebt, dieselbe Suche macht jede Künstlerin, jeder Künstler durch. Der Wunsch nach Freiheit und Anarchie steckt in jeder und jedem von uns.«

Nach den Neuproduktionen von Parsifal, Tristan und Isolde, Die Meistersinger von Nürnberg und Lohengrin in den letzten vier Spielzeiten steht nun also Tannhäuser auf dem Premierenplan der Wiener Staatsoper. Mit diesem Werk lernten die Wienerinnen und Wiener 1857 erstmals eine vollständige Oper Wagners kennen – zwar nicht an der Hofoper, dafür aber im großen Thalia-Theater, das 4.000 Personen fasste. Bereits zwei Jahre später erlebte man Tannhäuser auch im führenden Wiener Opernhaus, und selbst der gefürchtete Kritikerpapst Eduard Hanslick zeigte sich dem Werk gewogen. Diesmal wird eine Mischung aus der früheren Dresdner und der späteren Pariser bzw. Wiener Fassung der Oper gegeben. Diese inszeniert die zwischen Paris, Salzburg, Dresden, Berlin und Wien reüssierende Regisseurin Lydia Steier, deren Debüt im Haus am Ring mit großer Spannung erwartet wird.

Es singen u. a. Günther Groissböck (Landgraf Hermann), Clay Hilley (Tannhäuser), Martin Gantner (Wolfram von Eschenbach), Malin Byström (Elisabeth) und Ekaterina Gubanova (Venus).