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© Decca – Uli Weber

ROSSINI als Mission

Schon als junges Mädchen verlor sie, so erzählt die unvergleichliche Cecilia Bartoli, bei einer Aufführung von Il barbiere di Siviglia ihr Herz an Gioachino Rossini. Ihr Herz hat sie – glücklicherweise – nicht wiedergewonnen, doch führte diese Liebe zu Rossini zu einer der ganz großen Weltkarrieren der Gegenwart. Bartoli ist eine der wichtigsten Interpretinnen gerade auch des Rossini-Fachs, sie fasziniert immer wieder und stets aufs Neue. Die unnachahmliche Interpretationskunst, die geradezu magnetische Bühnenpräsenz, das Voranstellen höchster fachlicher Seriosität, das Brennen für die Sache und nicht zuletzt eine gleichermaßen stupende Musikalität und Technik lösen Begeisterung aus, wo immer sie die Bühne betritt. Dass sie zusätzlich zum Gesang in geradezu wissenschaftlicher Detailtiefe über Rossini und seine Musik Bescheid weiß, stellt sie im nachfolgenden Gespräch unter Beweis.


Eine Ihrer großen musikwissenschaftlichen Interessen ist der gefeierte Belcanto-Star des 19. Jahrhunderts: Maria Malibran. Inwieweit war sie für Sie ausschlaggebend, sich intensiver mit Belcanto und Rossini zu beschäftigen?

CECILIA BARTOLI Es lief umgekehrt ab, es war Rossini, der mich zum Belcanto und zur Malibran brachte! Seine Musik und der Belcanto standen am Anfang meiner musikalischen Laufbahn, gefolgt von Mozart, Haydn und später den großen Meistern der Barockmusik. Wie die meisten jungen italienischen Mezzosoprane gab ich mein Bühnendebüt als Rosina in Il barbiere di Siviglia – in Rom, im Alter von 19 Jahren. Mein Vater sang damals übrigens, im letzten Jahr vor seiner Pensionierung, als Mitglied des Chors des Teatro dellʼOpera di Roma. Und wenn man sich mit Rossini beschäftigt, stolpert man bald über die legendäre Familie García mit den unglaublich begabten Töchtern: Maria Malibran und Pauline Viardot, die gemeinsam mit ihrem Vater, Manuel García, zweifellos zu den größten Rossini-Sängern aller Zeiten gehören. Oder, wie Rossini in einem Brief schreibt, der sich in meiner Autographen- und Musikmanuskripten-Sammlung des Komponisten befindet: »... es freut mich zu bekennen, dass ich, wenn ich Ihrem Vater viel, seinen Töchtern noch mehr verdanke, und dass meine Dankbarkeit für dieses himmlische Triumvirat meiner Bewunderung gleichkommt...«


Nach welchen Kriterien haben Sie die einzelnen Rossini-Werke in Ihr Repertoire aufgenommen? Näherten Sie sich ihnen zunächst über einzelne Arien an? Oder haben Sie sich jeweils gleich auf ein gesamtes Werk konzentriert?

CECILIA BARTOLI In den ersten Jahren meiner Karriere war die Rosina jene Rolle, die mir die Türen vieler internationaler Opernhäuser öffnete, wie auch der Barbier meine erste Studioaufnahme war. Bald darauf folgten Cenerentola und eine Einspielung von Il turco in Italia. Die Veröffentlichung eines Rossini-Arien-Albums und eines weiteren mit neunzehn seiner wenig bekannten Lieder verpassten meiner Karriere einen echten Schub, zunächst in den USA, dann in Europa. Im weiteren Verlauf begann ich weitere seiner Opern zu studieren wie auch das Repertoire von Maria Malibran, Giuditta Pasta, Isabel Colbran (Rossinis Ehefrau), Pauline Viardot und anderer. Und immer ist es ein anderer Aspekt, der zuerst die Aufmerksamkeit auf sich lenkt: die Handlung, die Rolle, die vokale Gestaltung, die Gesamtstruktur des Stücks.


Für Ihr Wien-Gastspiel haben Sie La cenerentola und Il turco in Italia ausgewählt: Zwei eher frühe Opern Rossinis, beide im Wesentlichen dem Buffo-Genre zuzuordnen, beide gehören zu den bekannteren Werken des Komponisten. Wie kam es zu dieser Auswahl?

CECILIA BARTOLI Als Bogdan Roščić mich fragte, ob ich Interesse hätte, 2022 eine Art Carte blanche an der Staatsoper anzunehmen, verband ich diese ehrenvolle Einladung sofort mit dem »Rossini-Fieber«, das Wien 1822 überkam – und die Idee war geboren, ein wenig an diesen musikalischen Erdrutsch zu erinnern, der Wien mitriss, als Rossini in dieser Stadt ankam und seine besten Werke präsentierte. Die Wahl der beiden Operntitel und des Galakonzerts sind also weniger mit einem musikwissenschaftlichen Leitmotiv verbunden als dass sie einfach dazu dienen sollen, Rossini und das Rossini-Fieber vor 200 Jahren zu feiern. La cenerentola war lange Zeit nicht sehr populär, aber jetzt ist sie es. Für mich ist das Werk definitiv eine von Rossinis schönsten Opern und eine der zum Singen und Spielen befriedigendsten. Sie ist sehr unterhaltsam, bietet aber auch melancholische und poetische Seiten – daher würde ich La cenerentola nicht unbedingt als »typische« Buffo-Oper betrachten. Dennoch wurde sie an der Wiener Staatsoper seit 1930 kaum 130mal gespielt, wenig, im Vergleich zu Barbier, den die Staatsoper seit 1876 über 800mal gegeben hat. Obwohl zuletzt häufiger gespielt, würde ich im Falle von Il turco in Italia sagen, dass es sich dabei um kein Repertoirestück handelt. An der Wiener Staatsoper gab es überhaupt nur drei Vorstellungen – im Jahr 1962! Seine Schönheiten sind weit weniger offensichtlich und die Art und Weise, wie sich die Geschichte vor uns entfaltet – sie wird zum Beispiel von einem Dichter erzählt, der die Handlung in Echtzeit laufend anpasst –, ist ausgesprochen ungewöhnlich und modern. Die Oper erfordert einen exzellenten Regisseur, um sie überzeugend zu zeigen, abgesehen davon sind die Partien für die Sängerinnen und Sänger enorm herausfordernd.


Weder La cenerentola noch Il turco in Italia waren anfangs ein durchschlagender Erfolg. Was hat das Publikum von Rossini erwartet, was er nicht erfüllen wollte? Im Fall von Turco: War es die zu illusionslose Sicht auf Beziehungen?

CECILIA BARTOL Wahrscheinlich dachten die Menschen – wie so oft – in Schubladen: Sie waren von Rossini Farcen, Komödien oder heroische Opern gewohnt. Aber plötzlich begann er die einzelnen Genres zu mischen, im Turco stärker als in der Cenerentola. Und vielleicht war die Handlung vom Turco in Italia, in der es um Flirt, Betrug und Scheidung geht, nicht das, was ein traditionelles Opernpublikum zu sehen gewohnt war, und viele Zuschauer haben das wohl nicht geschätzt. Heute sind es aber genau diese Merkmale, die unser Interesse wecken. Man könnte noch darauf hinweisen, dass Rossini Il turco in Italia ein »dramma buffo« nannte, während Werke wie La cenerentola oder L’italiana in Algeri als »dramma giocoso« bezeichnet werden: Es ging ihm also eindeutig um einen Unterschied in Genre und Stil.


Inwiefern hat Rossini einen neuen Gesangsstil etabliert? Oder beeinflusste er nur den bestehenden Stil und lenkte ihn in eine neue Richtung?

CECILIA BARTOL Erst als ich anfing, die Kunst der Kastraten genau zu studieren, verstand ich, dass das, was Rossini am meisten bewunderte, die Art war, wie Kastraten sangen. Stimmlich und stilistisch. Über diese – seine – Meinung macht er sich amü- santer Weise in Il barbiere di Siviglia lustig, indem er Bartolo behaupten lässt, dass früher alles besser gewesen wäre – und dieser den berühmten Kastraten Caffarelli imitiert: ein Beispiel für die Selbstironie Rossinis. Es gibt auch weitere bekannte Geschichten, wie etwa jene, dass Rossini einen Tenor bat, bevor er in seinen Salon einträte, das hohe C an der Garderobe abzugeben, denn dieser Sänger hatte eine Mode initiiert, für das hohe C das Brustregister statt das gemischte oder Kopfregister, wie bis dahin üblich, zu verwenden. 


Kommen wir zu den Koloraturen. Für Rossini waren sie kein Beiwerk, sondern letztlich die reinste, ideale Form der Kunst: absoluter, vollkommener Ausdruck, keine Nachahmung der Wirklichkeit, sondern deren Interpretation.

CECILIA BARTOL Koloraturen sind niemals Beiwerk, sie sind ein grundlegendes Mittel, um einen Text zu illustrieren, ihn hervorzuheben, zu färben und zu intensivieren. Ich denke, dass sie als eine Art Subtext gesehen werden sollen, dessen Sinn man beim Studium der Partitur erkennen muss. Spricht man also von Ausschmückung oder Verzierung, so sind das irreführende Begriffe, denn es geht ja nicht darum, eine Phrase zu verschönern oder, was noch schlimmer wäre, die eigene Gesangstechnik beeindruckender erscheinen zu lassen.


Welche Innovationen gehen vom Belcanto aus, die für die weitere Entwicklung der Gattung Oper wesentlich waren? Und an welche Traditionen knüpfte Rossini an, welche Aspekte der Klassik hat er bewusst nicht fortgeführt, wo beschritt er neue Wege?

CECILIA BARTOL Vielleicht ist Belcanto im Zusammenhang mit Ihrer Frage der falsche Begriff: Im Italienischen bezeichnet er einen bestimmten Gesangsstil. Rossini und noch stärker Donizetti und Bellini gehören zur Epoche der – italienischen – Romantik, die in den nördlichen Ländern oft vergessen wird, weil man den Begriff eher mit Komponisten wie Weber, Schumann, Schubert, Marschner oder sogar dem frühen Wagner verbindet. Wenn ich das Wort Romantik höre, denke ich eher an eine spezifische Thematik und Handlungsstruktur, an die wilden und verlassenen Schauplätze und an einen neuen Charaktertypus, der sehr weit von jenen der klassischen Periode entfernt liegt. Rossini und andere Komponisten seiner Zeit waren in vielerlei Hinsicht Dreh- und Angelpunkt zwischen klassischen Modellen und romantischen Experimenten. Natürlich ist eine Kategorisierung stets problematisch, weil sich in Wirklichkeit alles überlappt. Es ist zum Beispiel bekannt, wie sehr Wagner Bellinis Norma bewunderte, man kann eine Partitur in seiner Bibliothek in Wahnfried sehen. Und in Zürich kann man eine Norma-Partitur mit Eintragungen sehen, die Wagner vornahm, als er diese Oper am dortigen Theater dirigierte.


Mit einem zum Teil eher unbekannten Repertoire erreichen Sie ein großes Publikum, das weit über die üblichen Opernliebhaber hinausgeht. Sehen Sie sich als eine Art Musik-Missionarin?

CECILIA BARTOL Ja, das Leben hat mich mit einer solchen Position beschenkt. Obwohl ich, wenn ich auf meine Ausgangslage zurückblicke, mich durchaus auch in einer viel bescheideneren Lage hätte wiederfinden können. Jedenfalls hätte ich nie erwartet, in eine so internationale und glamouröse Stellung hineingetragen zu werden! Aber ich bin dem Schicksal, das mich hierher führte, sehr dankbar. Vor allem aber mache ich das, was ich mache, weil es mir so viel Freude bereitet und weil es noch viel schöner ist, wenn man es mit jemandem teilen kann. Und ich glaube an eine Mission der Musik, der Musikerinnen und Musiker. 


Das Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco wurde auf Ihre Initiative hin gegründet. Könnte man dieses Ensemble – neben Ihrer Stimme – als Ihr zweites »Instrument« bezeichnen?

CECILIA BARTOL Man könnte es tatsächlich so nennen. Wenn ich ein bestimmtes Repertoire oder ein neues Programm vorbereite, studiere ich niemals einfach nur meinen eigenen Part ein, ohne mich um das zu kümmern, was rings um mich herum passiert. Für mich besteht der spannendste Teil der Arbeit darin, herauszufinden, wie die Gesangslinie mit dem Orchester interagiert und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Außerdem achte ich bei einer Opernproduktion auf alle Aspekte der Inszenierung und wie sie mit der Musik zusammenwirken. Diese Wechselwirkungen sind vielleicht das wichtigste Element einer erfolgreichen musikalischen Aufführung. Daher bin ich sehr glücklich, dass ich die Chance bekommen habe, dies mit einem eigenen Ensemble zu tun – denn das garantiert eine besondere Kontinuität. Wir entwickeln uns laufend weiter anstatt jedes Mal bei null anfangen zu müssen. In der relativ kurzen Zeit seit der Gründung von Les Musiciens du Prince haben wir gemeinsam schon einen beachtlichen stilistischen und künstlerischen Weg zurückgelegt – und das sehr erfolgreich!


Wie die Malibran beschränken Sie sich nicht nur auf das Singen: Sie sind die künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, Sie sind die künstlerische Leiterin des Ensembles Les Musiciens du Prince-Monaco, und ab 2023 werden Sie als erste Frau in der Geschichte die künstlerische Leiterin der Opéra de Monte-Carlo sein: Sie machen das nicht, weil Sie sich langweilen?

CECILIA BARTOL Ich bin nie gelangweilt! Es gibt noch so viel Musik zu entdecken und dem Publikum zu präsentieren! Es geht mir mehr darum, kreativ zu sein, meine Erfahrung und meine Position in der Branche zu nutzen, um jungen Musikerinnen und Musikern zu helfen, neues Repertoire zu entdecken oder sich mit bestimmten Aufführungstraditionen auseinanderzusetzen und sie zu überdenken. Natürlich, die Wiener Staatsoper ist vielleicht das berühmteste und bedeutendste Opernhaus der Welt, aber Direktorin eines der schönsten Opernhäuser der Welt mit einem atemberaubenden Meerblick und einer bedeutenden Geschichte (zum Beispiel komponierte Berlioz La damnation de Faust, Massenet Don Quichotte und viele andere seiner Opern und Ravel Lʼenfant et les sortilèges für »mein« Opernhaus) zu sein, macht mich sehr glücklich, und die Entscheidung, diese neue Herausforderung anzunehmen, war eine leichte. Ich hoffe, Sie alle bald in Monaco zu sehen und dass dies nur der Beginn einer Partnerschaft zwischen dem wichtigsten und dem schönsten Opernhaus der Welt sein wird.