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© Petra Hajska / Czech Philharmonic

OPER ALS Lehre des Lebens

Jenůfa ist die international bekannteste Oper von Leoš Janáček. Woran liegt das? Was macht die Oper so populär?

TOMÁŠ HANUS Unter anderem wahrscheinlich die Tatsache, dass Janáček bei diesem Werk im Vergleich zu späteren Opern noch am ehesten traditionelle Wege beschritten hat. Im ersten Akt der Jenůfa gibt es bekannte, klare Formen wie Arie oder Duett – diese finde man in dieser Form in nachfolgenden Werken nicht mehr. Wichtig scheint mir aber, dass man Janáčeks Musiksprache in der Jenůfa ganz klar erkennt und sein Gefühl für das Drama bereits bei dieser Oper spürt.

Janáčeks Klangsprache leitete sich kompositionstechnisch von der Sprachmelodie seiner Heimat ab. Wenn Sie nun jemandem, der über kein musiktheoretisches Wissen verfügt, seine Musik erläutern
wollten: Wie lautete die Erklärung? 

TH Wenn wir nicht über Kompositionstechnik, sondern nur über Inhalte sprechen wollten, dann lautete die Antwort wie folgt: Janáček hatte eine fantastische Intuition, die innere Melodie und die emotionale Spannung der menschlichen Sprache genau zu erkennen und sie in idealer Weise in Musik zu fassen. Es gibt in Jenůfa Phrasen, die einem so wahrhaftig, so ohne jegliche Künstlichkeit erscheinen, als ob sie ganz aus menschlichem Fleisch und Blut wären. Hier wirkt nichts gebaut oder konstruiert, alles zutiefst lebensnah!

Während der Arbeit an der Oper starb Janáčeks Tochter Olga. Inwiefern ist der Schmerz darüber in das Werk eingegangen?

TH Ohne Zweifel trägt die Oper Spuren dieses tragischen Todes. Es gibt eine Beschreibung der Szene, in der Olga ihren Vater bittet, ihr am Klavier Jenůfa vorzuspielen – weil sie wusste, dass sie die Uraufführung nicht mehr erleben würde. In diesem Zusammenhang würde ich fast sagen, dass ihm in der Verarbeitung des persönlichen Leides die Kälte der Küsterin auf eine gewisse Art und Weise geholfen hat: natürlich nicht in einem Verständnis ihrer grausamen Taten, sondern in der Härte, die sie an den Tag legt. 

International wird die Oper – entgegen ihres Originaltitels Její pastorkyňa (Ihre Ziehtochter) – zumeist Jenůfa genannt. Damit wird der Fokus verstärkt nur auf die jung Frau und nicht die Küsterin gelegt. Wer ist Ihrer Meinung nach die eigentliche Hauptfigur?

TH Ich könnte schlau antworten: das Orchester. Aber wie so oft bei Janáček lässt er uns nicht wissen, wer wirklich die zentrale Figur ist. Beide – Jenůfa und die Küsterin – haben ihre starken Momente. Im zweiten Akt bei der Jenůfa-Szene mit dem Violinsolo, denkt man: es kann nichts Besseres geben! Und wenn die Küsterin am Ende um Verzeihung bittet, denkt man wiederum: das ist die eigentliche Hauptdarstellerin! Daher würde ich fast sagen, dass Janáček gar keine einzelne Hauptfigur, sondern die Geschichte an sich ins Zentrum rücken wollte. 

Sie meinten: »Ich könnte schlau antworten: das Orchester«. Wie war das gemeint? Was ist die Funktion des Orchesters? Ein Kommentar? Atmosphäre? 

TH Bei Janáček gibt es keine Trennung in Orchester und Gesang. Für ihn ist es eine Einheit. Das Orchester steht also nicht am Rand, sondern befindet sich in der Mitte des Feuers, ja ist oftmals sogar die Flamme, die alles entzündet. Man könnte fast sagen, dass darin die Janáček’sche Version eines klanglichen Gesamtkunstwerks liegt. Das ist übrigens ein Aspekt, den er von Tschaikowski, von dessen Pique Dame er fasziniert war, übernommen hat: das Orchester trägt das Drama.

Am Beginn der Oper sticht der Klang des Xylophons ins Ohr. Was soll damit ausgedrückt werden? Ist es das Mühlrad, das sich ewig weiterdreht? Oder drückt es das das Bedrohliche aus?

TH Man hört natürlich die Mühle, aber wir spüren auch das Drängen der Zeit: Jenůfa ist schwanger, und in ihrer Welt bleibt nicht viel Zeit, um ihre und Štewas Reputation zu »retten«. Wenn man sich aber in die Musik einhört, merkt man, dass alle äußerlichen Beschreibungen wie »Mühle« immer mehr an Bedeutung verlieren und es um die unglaublich gezeichnete Atmosphäre geht, in der man von Anfang an spürt, dass das heute kein Entertainment-Abend wird. 

Gleich beim ersten Auftritt von Štewa spürt man dessen Aggressivität. Ein schönes Beispiel für eine musikalische Beschreibung eines Figuren-Charakters.

TH Ja, bei Štewa ist die musikalische Charakterisierung sehr klar, bei der Küsterin auch. Ebenso bei Laca: da dauert es nämlich ein bisschen mit den präzisen Umrissen, weil er selber nicht genau weiß, wer er ist. Im Falle von Jenůfa ist es so, dass man am Anfang der Oper eine gänzlich andere Figur erlebt – und hört – als am Ende: durch ihr Leid wird sie zu einer reifen Frau, die in der Lage ist, zu verzeihen. Und mit Laca weiterzumachen. Diese Wandlung wird auch in der Musik gezeigt.

Worum geht es aber in der Oper eigentlich? Um die Bitterkeit des Lebens? Deren Überwindung?

TH Ich glaube, dass Janáček uns da keine definitive Antwort geben wollte. Er zeigt uns ein Stück des menschlichen Lebens, ohne dieses zu »lackieren« oder schöner dazustellen, als es ist. Das war nie seine Sache, das Übertünchen und Glätten – auch nicht in der Instrumentation, übrigens. Natürlich kann man sagen, dass es Aspekte eines halbwegs guten Endes gibt, aber auch der Verzweiflung. Wir haben keine Ahnung, wie es mit Jenůfa und Laca weitergehen wird. Und mit der Küsterin? Janáčeks Musik zeigt uns den Menschen in all seiner Farbigkeit und nicht nur in einem Schwarz-Weiß-Denken. Ihm gelingt es, Mitgefühl zu erzeugen, allerdings nicht auf die süßliche Art, sondern im Sinne einer Identifikation. Ich würde daher sagen, dass diese Oper eine tiefe Lehre des Lebens sein kann – zumindest mein Leben hat der Kontakt mit seiner Musik absolut verändert.