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Informationen & Karten »Il ritorno d’Ulisse in patria«
 

Im Zuge des Monteverdi-Zyklus bildete sich an der Wiener Staatsoper innerhalb kürzester Zeit eine Art Monteverdi-Ensemble heraus: Beliebte Sängerinnen und Sänger, die man regelmäßig in einem ganz anderen Repertoire erlebt, finden sich immer wieder zusammen, um gemeinsam mit dem Concentus Musicus Wien und Pablo Heras-Casado diese frühen Kostbarkeiten der Operngeschichte auch im Haus am Ring lebendig werden zu lassen. So wird auch Georg Nigl, der schon im Vorjahr für seine Interpretation der Hauptrolle in der L’Orfeo-Erstaufführung gefeiert wurde, in der Titelpartie des Ulisse erneut auf dieser Bühne stehen. Anlässlich dieser wichtigen Staatsopern-Erstaufführung baten wir ihn zu einem Gespräch.
 

Herr Nigl, wahrscheinlich haben Sie allein den Monteverdi’schen Orfeo von allen heutigen Sängern am häufigsten an den großen Opernhäusern gesungen – Amsterdam, Wiener und Berliner Staatsoper, Mailänder Scala, Teatro Real Madrid, Baden-Baden. Aber auch sonst nimmt Monteverdi immer wieder einen Platz in Ihrem Wirken ein. Wie wird man zum Monteverdi-Experten?

GEORG NIGL Ich muss 19 oder 20 gewesen sein, als ich ein Interview mit dem Dirigenten György Solti hörte, in dem er auf die Frage, was seine Lieblingsmusik wäre, nicht die von ihm erwartete Antwort »Wagner« oder »Mozart« gab, sondern von den rund 200 erhaltenen Bach-Kantaten sprach. Von dieser Antwort angeregt, habe ich die mir damals zum Großteil unbekannten Bach-Kantaten gekauft, mehrfach angehört und eine neue, großartige Welt entdeckt, die dann nach und nach mein eigenes Repertoire ergänzte. Was ich damals verstand, war, dass es sehr viele Werke gibt, die zwar nicht zum allgemein bekannten Kanon gehören, aber dennoch großartig und wunderbar sind. Und so begann ich, meine Fühler auszustrecken. Meine erste aktive Sänger-Erfahrung mit Monteverdi hatte ich dann Ende der 90er-Jahre bei der Styriarte in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Il Giardino Armonico. Heute zähle ich Monteverdi neben Bach und Mozart zu den vielseitigsten und interessantesten Komponisten, er ist mir persönlich ganz nah.

Wie würden Sie jemandem, der noch nie Monteverdi gehört hat, die Besonderheiten seiner Opernmusik beschreiben?

GN Die Deklamation ist äußerst wichtig. Es handelt sich gewissermaßen um ein aus dem Sprechen geborenes Singen mit viel Improvisationsspielraum. Ganz besonders in den Rezitativen, die vom intensiven Aufeinander-Reagieren zwischen dem Sänger und der Basso-Continuo-Gruppe, also den begleitenden Instrumentalisten, leben. Man darf bei diesen Rezitativen nicht an jene von Händel oder Mozart denken, sondern eher an einen Schauspieler, der einen Monolog von Shakespeare spricht. Aber auch in den Arien ermöglicht das tempo rubato sehr viel gestalterische Freiheiten. Man muss sich außerdem darüber im Klaren sein, dass es – anders als etwa in der Klassik oder Romantik – bei Monteverdi nichts hundertprozentig Fixes gibt. Weder hinsichtlich des Instrumentariums, noch der konkreten Ausgestaltung der Gesangsstimmen. Vieles wird zum Beispiel von der Art und der Größe des Aufführungsraumes bestimmt. Ich werde in der großen Wiener Staatsoper bestimmte Dinge, die im kleinen Uraufführungstheater möglich waren, nicht machen, weil sie akustisch untergehen würden, dafür aber anderes, stilistisch Zulässiges einsetzen.
 

Wie werden in dieser Musik Emotionen – etwa jene von Ulisse – vermittelt?

GN Zum Beispiel durch auskomponierte Accelerandi, Ritenuti, ausgewiesene Fermaten und – ganz wichtig – durch Pausen. Die vielen Pausen beim ersten Auftritt Ulisses sollen etwa sein Zögern, seine sich langsam entwickelnden Gedankengänge vergegenwärtigen. Wenn in einem Vierertakt auf die ersten drei Schläge eine Pause steht und erst auf den Auftakt zum nächsten Takt eine zu singende Note, heißt das: Ulisse überlegt, und aus diesem Nachdenken – den Pausen eben – entsteht die nächste Phrase. Diese Pausen sind also nicht einfach Stille, sondern gehören zum dem, was danach kommt, dazu, sie müssen vom Sänger in die Gestaltung einbezogen werden.
 

Worin besteht der Unterschied zwischen Ulisse und L’Orfeo?

GN Zwischen den beiden Werken liegen mehr als 30 Jahre. 30 Jahre Erfahrung eines Komponistengenies. Im früheren Orfeo hat man das Gefühl, dass Monteverdi möglichst viel und Unterschiedliches in die Komposition hineinpacken wollte. Beim Ulisse ging es ihm nicht mehr darum, alles ihm Mögliche präsentieren zu wollen. Ulisse ist radikaler, filigraner und den heutigen Hörgewohnheiten weniger schmeichelnd. Und das, obwohl der Orfeo einem fürstlichen Gönner gewidmet war, einer kleinen Hörerschaft von Kennern, Ulisse hingegen einem allgemeinen Theaterpublikum.
 

Kommen wir nun zur Titelfigur Ulisse selbst. Was ist das für ein Mensch?

GN Da bewegen wir uns auf einem intimen Terrain. Ich interpretiere meine Rolle ja nicht oder deute sie gar. Meine Aufgabe ist ja, sie zu sein, oder eleganter gesagt, auszufüllen. Um es vielleicht klarer auszudrücken: mein Ulisse kommt nicht auf die Couch bei Sigmund Freud, meine Aufgabe ist es nicht, seine Handlungen zu interpretieren, sondern glaubhaft zu machen, warum er so handelt, wie er es eben im Stück macht. Dazu bedarf es der Arbeit am Text, bei dem es sich einerseits um die niedergeschriebenen Worte und zusätzlich – anders als beim Schauspieler – um die vom Komponisten vorgegebenen Noten handelt. Sicher kann ich von ihm sagen, dass er ein gebrochener Held ist, der 20 Jahre lang vom Sehnen nach der Heimat getrieben wurde. Aber als er endlich in Ithaka ankommt, erlebt er eine existenzielle Krise. Denn er ist nicht mehr derselbe, der ausgezogen ist. Seine Erlebnisse haben ihn verändert, und nun geht es darum, ob er die wahre Heimkehr in das früher Gewohnte tatsächlich schafft.
 

IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA
2. (Premiere) / 4. / 8. / 11. / 14. April 2023

Das Gespräch führte Andreas Láng