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© Peter Gwiazda
Christoph Altstaedt

»Ich interessiere mich für den Menschen«

Ab dem 5. Juni sind Die Jahreszeiten zurück im Spielplan des Wiener Staatsballetts – Martin Schläpfers monumentales Ballett zu Joseph Haydns gleichnamigem Oratorium: ein Fest für Auge und Ohr voller Farben, Glanz und großer rhetorischer Wucht. Sein Debüt am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper gibt Christoph Altstaedt. Anne do Paço sprach mit dem Dirigenten.

Haydn stand lange in den Konzertprogrammen eher im Schatten von Mozart oder wurde gerne als »Aufwärmer« für eine Bruckner- oder Mahler-Symphonie gespielt. Dieses Image hat sich heute zum Glück geändert. Was bedeutet Ihnen der Komponist Haydn, seine Musik?

CHRISTOPH ALTSTAEDT Das ist eine interessante Einschätzung. Ich habe immer nur davon gelesen, dass Haydn früher als »Papa Haydn« belächelt worden sei. In meinem Umfeld hatte Haydn immer schon ein anderes Image. Er galt als ein innovativer, geistreicher Komponist von geradezu grenzenloser Fantasie, der die wichtigsten Gattungen der klassischen Musik wie Streichquartett oder Symphonie maßgeblich entwickelt und zu ersten Höhepunkten geführt hat. Ich liebe an Haydn die Virtuosität und Leichtigkeit, mit der er die Hörer*innen immer wieder überrascht und berührt. Seine inspirierenden Einfälle haben auch über 200 Jahre nach ihrer Entstehung nichts an ihrer Frische und Originalität verloren.

Die Idee zur Komposition der Jahreszeiten hatte Gottfried van Swieten. Er wollte an den großen – auch finanziellen – Erfolg der Schöpfung mit einem zweiten Werk anknüpfen, in dem sich das in der Schöpfung Erschaffene nun im Kreislauf der Natur manifestiert. Haydn selbst war zunächst skeptisch, kämpfte bei der Arbeit mit dem eher naiven Tonfall des Librettos und bezeichnete schließlich die Schöpfung als sein besseres Werk. Das kann man heute so nicht mehr stehenlassen!

CHRISTOPH ALTSTAEDT Die Schöpfung und Die Jahreszeiten sind sehr aktuelle Werke. Wir erfahren jeden Tag, wie sehr der Klimawandel unsere Gegenwart bestimmt. Beide Werke beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur, vom Rhythmus der Jahreszeiten, von der Demut, mit der wir Menschen der Natur und den Naturgewalten begegnen sollten. Sie stellen die großen Fragen nach einem sinnvollen Leben im Angesicht der Vergänglichkeit. In beiden Werken spüre ich einen besonders eindringlichen, persönlichen Ausdruck in der Musik. Beide Werke weisen in ihrem Anspruch, allgemein gültige gesellschaftlich-religiöse Themen durch die Perspektive eines Individuums zu schildern, schon weit in die Romantik hinein.

Sie haben in der Volksoper Wien die Premierenserie von Martin Schläpfers Choreographie zu Brahms’ Ein Deutsches Requiem dirigiert. Nun folgen Die Jahreszeiten in der Wiener Staatsoper und damit auch Ihr Debüt am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Was bedeutet Ihnen dieses Projekt?

CHRISTOPH ALTSTAEDT Dieses Projekt bedeutet mir aus mehreren Gründen sehr viel. Jede Zusammenarbeit mit Martin Schläpfer war bisher eine sehr inspirierende und erfüllende. Ich bin sehr dankbar, erneut mit ihm zusammenzuarbeiten. Und natürlich ist es für jede Dirigentin und jeden Dirigenten ein besonderer Moment, zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper dirigieren zu dürfen. Alle, die mit klassischer Musik aufgewachsen sind, verbinden mit diesem Ort eine persönliche Erinnerung und Erfahrung: eine Lieblingsaufnahme, einen Probenmitschnitt oder Anekdoten, die uns geprägt haben. Es geht tatsächlich ein Traum in Erfüllung, hier einmal selber zu musizieren. Als ich zum ersten Mal gelesen habe, dass Martin Schläpfer Brahms’ Ein deutsches Requiem choreographieren möchte, war meine spontane Reaktion eher eine ablehnende. Dieses Werk bedeutet mir so viel und ist in meinen Augen so persönlich, intim und vollkommen, dass ich mich erst mit dem Gedanken anfreunden musste, dass dieses Werk vertanzt werden kann. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Der Tanz vermag den Klang auf eine physische Ebene zu übertragen und die Musik im wahrsten Sinne zu »verkörpern«. Die Kraft und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers sind für das Publikum sichtbarer und konkreter als der Klang und sie eröffnen eine neue Perspektive auf die Musik, die ich als sehr bereichernd empfinde. Auch die Choreographie zu Haydns Die Jahreszeiten hat mich sehr angesprochen. Martin Schläpfer findet auf faszinierende Weise immer ein körperliches Korrelat für die vielen unterschiedlichen musikalischen Einfälle von Haydn.

Ihre Karriere spannt sich zwischen Opernproduktionen, Konzerten bei vielen großen Orchestern, und nicht zuletzt der Arbeit mit jungen Menschen, wie sie sich u.a. in Ihren Projekten mit dem deutschen Bundesjugendorchester zeigt, auf. Außerdem sind Sie aber auch als Anästhesist an den Kliniken Essen tätig.

CHRISTOPH ALTSTAEDT Meine Eltern sind beide Mediziner – und lieben leidenschaftlich die Musik. Vielleicht sind mir so beide Dinge in die Wiege gelegt worden. Diese Zweiseitigkeit hat für mich eine sehr grundsätzliche Dimension: Als ich Stipendiat in Tanglewood war, durften wir einen Nachmittag lang mit Yo-Yo Ma diskutieren. Als er gefragt wurde, warum er Musiker geworden sei, hat er geantwortet: »Ich interessiere mich für Menschen.« Das ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Ich habe das zu meinem eigenen Leitmotiv gemacht. Ich interessiere mich für den Menschen, gleichermaßen für die physiologischen und körperlichen Aspekte wie für die metaphysischen, geistigen. Und ich möchte gerne für die Menschen da sein. Zu Hause, im Krankenhaus und im Konzertsaal. Meinen Kolleg*innen im Krankenhaus sage ich gerne: »Wir bemühen uns, den Menschen zu helfen, damit sie wieder ins Konzert gehen können.«