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© Rita Antonioli

Geometrie und Minimalismus

Lucinda Childs gilt als »Queen of Minimalism«. Seit den 1970er Jahren hat die Amerikanerin ein bahnbrechendes Œuvre vorgelegt – zunächst als Mitglied des New Yorker Judson Dance Theater, jenem längst legendären, Grenzen überschreitenden Künstlerkollektiv, später dann mit ihrer eigenen Compagnie sowie als freie Choreographin für renommierte Ensembles weltweit arbeitend. Mit Concerto zeigt das Wiener Staatsballett erstmals ein Werk der bedeutenden Vertreterin der Postmoderne. Mit Nastasja Fischer spricht sie über ihre Arbeit.

Sie verfolgen in Ihrer choreographischen Arbeit zwei Richtungen. Zum einen haben Sie Stücke kreiert, die sich mit der puren Bewegung auseinandersetzen, zum anderen finden sich in Ihrem Œuvre aber auch Werke, die Musik, Bild, Video und Tanz vereinen.

Lucinda Childs Meine Arbeiten sind nicht an den einseitigen Blick auf die traditionelle Theaterbühne gebunden. In den frühen 70er Jahren habe ich Tanzstücke ohne musikalische Begleitung entwickelt und an Orten wie Kirchen, Galerien oder Dachterrassen meistens in der Stille aufgeführt. Nachdem ich 1976 aber in Philip Glass’ und Robert Wilsons Oper Einstein on the Beach nicht nur choreographiert, sondern auch mitgewirkt habe, wollte ich unbedingt ein abendfüllendes Stück zu Musik von Philip Glass kreieren. So entstand 1979 Dance. Der Konzeptkünstler Sol LeWitt brach hierfür mit einem Film und seinem Bühnenbild die klassische Bühnensituation auf, und da wir alle die gleiche minimalistische Ästhetik teilen, konnte sich diese Kooperation zwischen einer Choreographin, einem Komponisten und einem Visual Artist voll entfalten. Dance wird immer noch von meiner Compagnie gezeigt und ist auch im Repertoire des Ballet de l‘Opéra de Lyon.

In Beschreibungen Ihrer Arbeit fällt oftmals der Begriff »Wahrnehmung«. Ihre Auseinandersetzung mit sich wiederholenden, geometrischen Bewegungsmustern ist auch ein Auftrag an das Publikum, die eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten zu überprüfen.

LC Ja, die Wahrnehmung ist ein wichtiges Element der minimalistischen Ästhetik. Variation wird durch die Wiederholung von thematischem Material in verschiedenen sequenziellen Mustern erreicht. Ich denke nicht an das Publikum während ich choreographiere, aber mir wurde gesagt, dass ich die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Denken anrege. Es ist wichtig, sich auf intellektueller Ebene mit einem Werk auseinanderzusetzen, um zu verstehen, dass die Betrachtung des Inhalts genauso wesentlich ist wie der Inhalt selbst. Es geht nicht nur um Wiederholung um der Wiederholung willen, sondern um ein subtiles Abenteuer in der abstrakten Welt von Thema und Variation.

Woher kommt Ihr Interesse für Geometrie und Struktur?

LC Für meine Choreographien bin ich an einer exakten Nutzung des Raumes interessiert. Ich verlasse mich dabei auf geometrische Strukturen, um für die Tänzerinnen und Tänzer räumliche Muster, die aus verschiedenen Perspektiven angeordnet werden können, zu schaffen.

Das Wiener Staatsballett zeigt mit Concerto aus dem Jahr 1993 erstmals eines Ihrer Werke. Wiederholung und Geometrie sind in dieser Arbeit der Ausgangspunkt, aber sie besticht auch durch Balletttechnik und klassische Bewegungsfolgen.

LC Es gibt nicht wirklich ein »Lucinda Childs-Vokabular«. Ich nutze Bewegungsmaterial des akademischen Balletts, aber wandle es ab und vereinfache es. Zentral für meine Arbeiten ist die Frage, wie das Material verwendet wird und welcher Stil dabei entsteht. Henryk M. Góreckis Concerto für Cembalo und Streicher ist der polnischen Cembalistin Elisabeth Chojnacka gewidmet. Nachdem ich die Musik gemeinsam mit ihr gehört hatte, wollte ich mich unbedingt choreographisch mit ihr auseinandersetzen. Elisabeth Chojnacka hat freundlicherweise den Kontakt zu Górecki hergestellt.

Was hat Sie an dieser Musik so sehr gereizt?

LC Ganz einfach: Ich finde sie wunderschön.

In Concerto begegnen und verlieren sich die Tänzerinnen und Tänzer und erscheinen dabei wie in »Wellen«. Welche visuelle Form wollten Sie der Choreographie geben?

LC In Concerto ist der Tanz die Musik.

Sie haben einmal gesagt, Ballett sei unabhängig vom künstlerischen Profil einer Compagnie die beste Trainingsmethode.

LC Balletttraining ist für alle Tänzerinnen und Tänzer, die meine Stücke tanzen, essentiell. Es ist die effizienteste und effektivste Möglichkeit, sich vorzubereiten.

In Wien wird Concerto zwischen Werken von Jerome Robbins und George Balanchine gezeigt. Haben Sie eine künstlerische Beziehung zu diesen beiden Choreographen?

LC Die Arbeiten von George Balanchine und Jerome Robbins haben mich immer inspiriert und ich kann mich glücklich schätzen, als gebürtige New Yorkerin so nah am Zuhause des New York City Ballet aufgewachsen zu sein.

Welche Beziehung haben Sie zu Wien und was bedeutet es Ihnen, Concerto mit dem Wiener Staatsballett einzustudieren?

LC 1997 habe ich gemeinsam mit Michel Piccoli Robert Wilsons Inszenierung von Marguerite Duras’ La Maladie de la Mort in Wien aufgeführt. 2010 war ich mit meiner Compagnie und Dance im Tanzquartier zu Gast. Concerto wiederum ist eines der Werke, die am häufigsten auch von anderen Compagnien einstudiert werden. Dass das Wiener Staatsballett es nun in einem solchen Programm zeigt, ist für mich etwas wirklich Besonderes und ich freue mich sehr darauf.

Ihre Kreationen fordern viel von den Tanzenden in Bezug auf Konzentration, Ausdauer und Energie. Was braucht ein Childs-Tänzer?

LC Konzentration spielt eine große Rolle und die Fähigkeit, ein gewisses Energie-Level aufrechtzuerhalten. Der Ausdruck der Tänzerinnen und Tänzer entsteht für mich aus ihrer intensiven Konzentration, weshalb sie in meinen Stücken auch keine Gesichtsmimik haben. Ich würde aber auch sagen, dass ein starkes musikalisches Empfinden von größter Wichtigkeit für mich ist.

Sie dokumentieren Ihre Stücke in Partituren. Können Sie Ihr Notationssystem erläutern?

Meine Partituren sind eine Serie von Übersichtsplänen, die die Wege der Tänzerinnen und Tänzer im Raum genauso wie ihre Beziehung zueinander und zu der Musik zeigen.

Sie führen auch bei Opernproduktionen Regie.

LC Tatsächlich habe ich einen anderen Zugang, wenn ich eine Oper inszeniere. Als Performerin bin ich in Produktionen von Robert Wilson und Luc Bondy aufgetreten und habe viel von ihnen gelernt. Mit Tänzerinnen und Tänzern spreche ich dieselbe Sprache. Mit Sängerinnen und Sängern ist es das Libretto, das uns verbindet und in einen Dialog bringt, mit dem wir nach Gründen für ihre Bewegungen suchen.