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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Fliegen mit Debussy

Sie haben Pelléas et Mélisande vor Kurzem schon an der Zürcher Oper dirigiert. War das Ihr Pelléas-Einstieg?

Alain Altinoglu: Das stimmt, 2016 machte ich in Zürich Pelléas et Mélisande. Aber meine diesbezügliche Vergangenheit reicht sehr viel weiter zurück. Als ich Repetitor war, habe ich zwar keine komplette Produktion der Oper einstudiert, doch sehr viel mit Sängern an diesem Werk gearbeitet. Und meine Pelléas- Geschichte beginnt sogar noch früher, nämlich im Alter von 16 Jahren. Ich begann damals am Pariser Konservatorium zu studieren und wir hatten eine der wichtigsten und bekanntesten Repetitorinnen als Lehrerin, Irène Aïtoff. Sie arbeitete mit Karajan, als er diese Oper machte und war eine fantastische Musikerin, die Lieblingspianistin von Charles Münch. Sie konnte das gesamte Werk auswendig spielen – und brachte uns die Oper näher. Seither habe ich eine besondere Verbindung zu Pelléas et Mélisande, und seither ist sie eine echte Herzensangelegenheit für mich.

Diese Herzensangelegenheit teilen Sie mit vielen, besonders auch in Ihrer Heimat Frankreich. Wieweit ist Pelléas et Mélisande eine französische (National-)Oper?

Alain Altinoglu: Sie ist es – und sie ist es nicht. Einerseits ist Pelléas et Mélisande total französisch, vielleicht die französischste aller Opern, mehr noch als Carmen (und nicht nur, weil Carmen in Spanien spielt). Die Musik ist – auch wenn Maurice Maeterlinck ein Belgier war – engstmöglich an die französische Sprache gebunden, es gibt hier eine Wort-Ton-Einheit, wie sie besser nicht sein kann. Andererseits natürlich: Es ist nicht unbedingt die bekannteste Oper, schon deshalb, weil die Melodien sich nicht so leicht nachsingen lassen wie etwa bei einer Verdi-Oper. Also: Pelléas et Mélisande ist vom Wesen her ein ungemein französisches Werk, aber nicht das populärste in Frankreich.

Es gibt eine berühmte Aussage von Debussy: Das Wesen der Musik ist die Freiheit. Wie frei sind Sie als Dirigent bei Debussy?

Alain Altinoglu: (lacht) Das ist eine grundsätzliche Fragestellung bei jeder Form der Interpretation von Musik. Es ist so, dass jede Musik ihre eigene Agogik hat, ihren eigenen Stil, in dem sie gespielt werden muss – und ihre eigenen Freiheiten. Diese sind aber nicht 1:1 übersetzbar auf andere Werke oder Komponisten. Wenn nun ein italienischer Dirigent deutsche Musik mit den Freiheiten der italienischen Musik interpretiert, wird es nicht richtig klingen. Und umgekehrt genauso. Wagner mit italienischer Agogik zu spielen geht einfach nicht. Die Freiheit, die man als Interpret hat, muss also immer in Bezug zur musikalischen Sprache des Komponisten eingesetzt werden. Wenn man also Pelléas et Mélisande dirigiert, dann muss die Freiheit die Freiheiten der französischen Sprache, der französischen Musik und des Stils von Debussy berücksichtigen. Debussy wird andernfalls italienisch, deutsch oder sonst wie klingen – was falsch ist. Er selbst war verärgert, wenn ein Musiker sich in Bezug auf den Rhythmus und die Dynamik zu viele Freiheiten nahm. Debussy meinte also mit dieser Aussage nicht: Tu was du willst. Sondern: Finde die Freiheit das umzusetzen, was in den Noten steht.

Ein zweiter Gedanke Debussys: Es ist besser, nicht zu viel zu analysieren.

Alain Altinoglu: Es ist wie beim Wozzeck. Alban Berg hat einmal, vor einer Aufführung, all den kompositorischen Hintergrund erklärt: Dieser Teil ist eigentlich eine Passacaglia, dieser Teil wiederum eine Fuge und so weiter. Nach den Erläuterungen sagte er: Und jetzt vergessen Sie alles wieder, was Sie erfahren haben und hören Sie einfach auf die Musik. Dasselbe gilt für Debussy. Als Dirigent muss man natürlich alle Analysen machen, man muss jede Verbindung innerhalb des Stücks kennen, man muss wissen, was warum wo steht und welche Bedeutung es für das Ganze hat. Dann aber muss man all diese Details, die man sich durch die Analyse erworben hat, wieder zu einem Ganzen zusammensetzen.

Ein Leben lang rang Debussy mit der Musik Wagners, die ihn beeinflusste. An welcher Stelle dieses Ringens steht Pelléas et Mélisande?

Alain Altinoglu: Das ist eine interessante Geschichte. Als Debussy jung war, war er stark von Richard Wagner beeinflusst, er schrieb zum Beispiel die sehr wagnerischen Proses Lyriques. Dann aber wollte er sich abkoppeln, es gibt im Vorfeld von Pelléas einen Brief, in dem er schreibt: Das, was ich heute komponiert habe, ist zu wagnerianisch! Er versuchte diesen Einfluss zu unterbinden… Spannend ist aber, dass Debussy in den zusätzlichen Pelléas-Zwischenspielen, die er knapp vor der Uraufführung in sehr kurzer Zeit schreiben musste, – das war ungefähr zehn Jahre nach Beginn der Arbeit an der Oper – sehr stark „wagnerisch“ schreibt. Warum? Weil er wenig Zeit hatte, nicht viel reflektieren konnte und der Wagner-Einfluss aus ihm herausbrach.

Der Premieren-Pelléas Adrian Eröd spricht von einer kathartischen Wirkung der Oper. Empfinden Sie diese emotional-reinigende Wirkung dieses Werkes auch so stark?

Alain Altinoglu: Es liegt eine Reinheit in der Oper, die einen, wenn man sich mit ihr beschäftigt, außerhalb dieser Welt befördert. Man schwebt, fliegt plötzlich.

Gibt es in Pelléas et Mélisande so etwas wie die Haupt-Herausforderung für den Dirigenten?

Alain Altinoglu: Gute Frage. Vielleicht: Die richtigen Farben an der richtigen Stelle zu finden und das gesungene Wort der Sänger klar hervortreten zu lassen. Wobei, ich liebe Pelléas et Mélisande so sehr: da spreche ich gar nicht von Herausforderungen, nur von Chancen!

Man spricht bei Debussy oft von Farben. Welche Farbe hat Pelléas et Mélisande?

Alain Altinoglu: Da eine große Dunkelheit in dem Stück ist, ist es jedenfalls eine eher düstere Farbe. Es sind Zeichen der Angst, der Schatten. Ich finde aber, dass es weniger eine Frage der Farben als eine des Lichts ist. Pelléas et Mélisande erzählt den Weg von der Dunkelheit zum Licht. Menschen mit Nahtoderfahrungen berichten von einem hellen Licht am Ende eines Tunnels. Ich denke, diese Oper zeigt genau diesen Weg.

Wenn Sie jemandem, der die Oper gar nicht kennt, einen Ratschlag geben könnten wie er sich dem Werk annähern kann. Wie lautete dieser?

Alain Altinoglu: Vielleicht wäre es gut, vor dem Vorstellungsbesuch das Libretto der Oper zu lesen. Denn Pelléas et Mélisande enthält so viel Unterschiedliches – das alles auf einmal zu erfahren und zu begreifen ist nicht einfach. Wenn man den Text und die Handlung schon kennt, findet man sich in dieser Opernwelt leichter zurecht.

Das Gespräch führte Oliver Láng