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© Peter Mayr
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
»Capriccio«
© Peter Mayr

EMOTION ist die Basis jeder Inspiration

Die aktuelle, hochgelobte, kluge wie feine Produktion von Richard Strauss’ Capriccio kam 2008 heraus und gehört zu den ganz besonderen Schätzen des Repertoires. Am Pult seiner damals dritten Staatsopernpremiere stand der heutige Musikdirektor des Hauses, Philippe Jordan, für den Capriccio seit jeher ein ganz besonderes Anliegen ist. Anlässlich der ebenfalls von ihm geleiteten Musikalischen Neueinstudierung am 20. Juni gab er Andreas Láng das nachfolgende Interview.


Sie haben Capriccio schon in ihrer Jugendzeit außerordentlich schätzen gelernt. Welcher Aspekt des Werks hat in Ihnen dieses Feuer entzündet?

PHILIPPE JORDAN Mich hat dieses durch und durch Vollendete gepackt, das dieses Stück ausstrahlt und in vielen namhafteren Werken nicht in dieser Ausprägung zu finden ist. Alles wirkt wie aus einem Guss, man spürt förmlich, dass es beim Entstehungsprozess keinerlei künstlerische Geburtswehen gegeben hat, sondern das Ergebnis eines langen, reifen und erfahrenen Komponistendaseins darstellt, das hier seine Conclusio gefunden hat. Capriccio ist das wunderschöne Beispiel eines überreichen, abgeklärten Spätstils – ähnlich wie er dann auch in Strauss’ Vier letzte Lieder zu finden ist. Dazu der kammermusikalische Aspekt, der bereits mit dem Vorspiel besondere Bedeutung erhält und sich dann über verschiedenste Weise durch das Stück zieht. Auch der Umgang mit dem Text ist in diesem Konversationsstück besonders liebevoll, geistreich und auch humorvoll gestaltet. Es ist sicher in dieser Hinsicht das am feinsten ausgearbeitete Werk von Strauss. Nicht zuletzt auch die großartige Kunst, Ensembles zu schreiben, spätestens seit der Schweigsamen Frau ist Strauss für mich der große Erbe Mozarts in dieser Kunst. Urkomisch sind natürlich die beiden großen Ensembles, das Lach- und Streitensemble, die nicht nur textlich und charakterlich, sondern auch klanglich einen bestimmten Geist verkörpern; dann der Dienerchor als Reminiszenz an die Commedia dell’arte in der Ariadne auf Naxos und auch die ungewöhnliche Art, eine Diskussion über den Vorrang von Wort und Ton in die Form einer Fuge unterzubringen.


Marco Arturo Marelli hat diesen Umstand humor- voll mit der Bemerkung umrissen, dass Capriccio nicht schwitzen würde. Auf jeden Fall sah er in dem Werk eine Art Abschluss, Zäsur, einen Rückblick auf eine Tradition, die letzte Oper an sich.

PHILIPPE JORDAN Zweifelsohne ist Capriccio eine Musik gewordene, wehmütige Reminiszenz. Das gesamte Genre Oper, ihre Geschichte, wichtige Etappen, Formen, Gattungen sowie Beispiele von der Barockmusik, über Gluck, Mozart, Rossini und Bellini bis hin zu Strauss selbst, werden thematisiert, ironisch ins Scheinwerferlicht gerückt, durch Zitate und Scheinzitate in Erinnerung gerufen. Lustigerweise bezeichneten Strauss und sein Co-Librettist Clemens Krauss das Ganze dennoch nicht als Oper, sondern als »Konversationsstück für Musik«.


Weshalb eigentlich? Wieso nannten sie es nicht ebenfalls »Komödie« wie den Rosenkavalier?

PHILIPPE JORDAN Der Rosenkavalier war eine Komödie im Sinne von Mozarts Le nozze di Figaro, stand also bewusst in einer ganz bestimmten Tradition. Capriccio beschäftigt sich hingegen – so wie übrigens auch Wagner Meistersinger – auf vielsinnige, reflexiv-humorvolle Art und Weise mit dem Wesen der Kunst an sich und ihren Ausprägungen. All die zahllosen ironischen Gemeinplätze, die in Capriccio angesprochen werden, von den angeblich schlechten Libretti der italienischen Opern bis hin zum lauten Orchesterapparat, der die Sänger zudeckt, dem gelangweilten Publikum, das nur auf die hohen Töne des beliebten Tenors wartet und dass man bei sanfter Musik am besten schlafen würde, sind ein satirischer Blick auf das gesamte Operngeschehen. In der Hölle des Zweiten Weltkriegs und des NS-Terrors, aber auch in einer Zeit, in der stilistisch andere Tendenzen in der Musik längst Überhand gewonnen haben, vollzog Strauss mit Capriccio eine Art innere Emigration und widmete sich Opern-Themen, die komplett anachronistisch schienen. Vordergründig behandelt Capriccio den Pariser Opernstreit des 18. Jahrhunderts und die Diskussion, ob dem Wort oder der Musik der Primat zukommt. In Wahrheit geht es aber vielmehr um die Frage, was die immer wieder totgesagte Gattung Oper grundsätzlich für eine Aufgabe hat, wofür sie steht, warum man so etwas scheinbar Absurdes wie Musiktheater überhaupt betreibt. Es geht also um jene Themen, die die Komponisten und Librettisten aller Epochen ebenso umtreiben, wie die Interpreten und das Publikum. Die ewigen Themen, die sich aber in immer neuen Erscheinungsformen präsentieren. Konnte man sich früher pro oder contra Gluck bzw. Piccinni ereifern, so entfacht heute zum Beispiel die Frage nach dem sogenannten Regietheater hitzige Diskussionen! Capriccio ist ein Stück über diese unentwegt geführte Standortbestimmung von Oper – allerdings ohne dabei zu einem reinen Diskursstück zu verkommen, denn dann wäre das Werk von den Spielplänen natürlich schon längst dauerhaft verschwunden. Oper kann nämlich nur über Emotionen funktionieren, sie sind ihre Basis, Triebfeder und Daseinsberechtigung. Und genau das unterstreicht Capriccio. Wie bei den schon erwähnten Meistersingern sind persönliche Gefühle, Nöte, Ängste, Bedürfnisse, Zuneigungen der Akteure, in Musik verwandelte und mit Emotionen aufgeladene Träger jener Gedanken, die verhandelt werden sollen: Über die Liebe Flamands respektive Oliviers zur Gräfin Madeleine, und deren Unentschlossenheit in dieser sonderbaren Dreiecksbeziehung wird beispielsweise der Frage nach dem Vorrang von Musik oder Dichtung nachgegangen. Madeleine ist also die Muse für den Komponisten und den Dichter. Und jede Muse ist letztlich eine aus Emotionen, aus Leidenschaften gespeiste Inspiration.


Nun sagten Sie, dass in Capriccio Teile der Operngeschichte hörbar gemacht werden: Das Cembalo ist etwa Teil des Instrumentariums, Barockmusik und Vorklassik werden in Erinnerung gerufen – allerdings durch die Brille des Komponisten Richard Strauss.

PHILIPPE JORDAN Man darf nicht vergessen, dass der Neoklassizismus eine überaus wichtige Strömung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Eine bewusste Gegenbewegung zur Wagner-Tradition und zugleich eine Alternative zur Dodekaphonie, zu allen freitonalen und seriellen Bestrebungen. Denken wir nur an Strawinski, wie er nach Sacre du Printemps eine Kehrtwendung machte zu Rake’s Progress oder zum Pulcinella-Ballett, denken wir an Prokofjews Symphonie classique, selbst Gustav Mahler zeigt schon entsprechende Aufbrüche in seiner 4. Symphonie. Genau genommen sind Strauss’ Rosenkavalier, Ariadne auf Naxos und Capriccio ebenfalls Bekenntnisse zum Neoklassizismus. Es handelte sich um eine Rückkehr zu den Wurzeln, einen Versuch, die Essenz des musikalischen Ausdrucks im klassischen Erbe wiederzuentdecken und neu durchzustarten. In diesem Wissen hat der Interpret auch in Capriccio den Rahmen abzustecken, durchaus zu unterscheiden zwischen den einzelnen Stilelementen. Denn neben diesen neoklassizistischen Teilen rauscht es dann wieder tiefromantisch auf, wie in der Mondscheinmusik.


Es gibt die These, dass Strauss schon bei der Frau ohne Schatten all seine kompositionstechnischen Errungenschaften beisammenhatte.

PHILIPPE JORDAN Das stimmt. Alles, was nach Frau ohne Schatten kam, waren Variationen des bereits von ihm Gefundenen, allerdings durchaus immer auf sehr kreative Weise neu gestaltet: Arabella sollte beispielsweise ein neuer Rosenkavalier werden, die Schweigsame Frau knüpfte wieder einmal an den von Strauss so hochgehaltenen Mozart an, Daphne griff das Antikenthema wieder auf, wenn auch deutlich abgeklärter als in Elektra. Aber durch den bereits angesprochene Spätstil mit der klugen Reduktion der Ausdrucksmittel bekommt Capriccio dann doch einen ganz eigenen Stellenwert innerhalb von Strauss’ Schaffen.


Sie haben einmal erwähnt, dass die Strauss’schen Werke vom Interpreten eine gewisse Distanz erfordern. Was bedeutet das konkret?

PHILIPPE JORDAN Strauss’ Schaffensprozess, sein Zugang zu den eigenen Werken hat, ganz anders als dies bei Wagner oder Mahler der Fall war, immer etwas sehr Objektives. Schon in seinen symphonischen Dichtungen, in einer Zeit also als er als Enfant terrible galt, bediente sich Strauss zum Beispiel der Ironie, um vom allzu romantisch Subjektiven wegzukommen. Selbst in der Elektra, die vor Leidenschaften förmlich glüht, merkt man in der musikalisch kommentierenden Nachzeichnung des Textes diesen objektiven Zugang. Dadurch erhält bei Strauss alles etwas Erzählerisches, liebevoll Humorvolles, Distanziertes. Es scheint, als ob sich Strauss im Bad der Emotionen suhlen wollte, ohne sich dabei dreckig zu machen. Die lyrischen und dramatischen Momente, diese einzigartigen musikalischen Katharsismomente wie der Schluss vom Rosenkavalier, der jedem im Publikum zuverlässig ein, zwei Tränen abfordert oder die erwähnte Mondscheinmusik in Capriccio sind hervorragend geschaffener Theaterzauber feinster Güte. Sie überwältigen uns, haben aber zugleich etwas bewusst Artifizielles, das offen lässt, auf welcher Seite Strauss selbst steht: Lässt er sich doch auch emotional fortreißen oder beobachtet er lediglich aus einer gewissen Distanz die Wirkung seiner Musik? Dessen sollte sich der Interpret stets bewusst sein.


Der letzte Satz in Capriccio, »Frau Gräfin, das Souper ist serviert«, ist bewusst trivial gehalten.

PHILIPPE JORDAN Und die abschließende Hornfigur symbolisiert ein großes Fragezeichen. Warum? Weil eine Antwort auf die großen Streitfragen des Theaters – hier nach der Rangstellung Musik-Dichtung – offenbleibt, offenbleiben muss. Weil jede diesbezügliche Antwort wiederum von Emotionen genährt wird und daher von Moment zu Moment unterschiedlich ausfallen wird. Das ist auch eine Aussage von Capriccio: Dass wir die Antwort nicht wissen.


CAPRICCIO
20. (Musikalische Neueinstudierung),
23. / 27. & 30. Juni 2022
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung, Bühne & Licht Marco Arturo Marelli
Kostüme Dagmar Niefind
Choreographie Lukas Gaudernak
Mit u.a. Maria Bengtsson / Michaela Schuster –
Adrian Eröd / Daniel Behle / Andrè Schuen /
Christof Fischesser