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© Werner Kmetitsch

Drei Fragen an Kirill Serebrennikov

AUSTRAHLUNGSTERMINE DER PREMIERE VON »PARSIFAL« 

→  umfassende Berichterstattung im »Kulturmontag« (12.04., 22.30 Uhr)
→ Gesamtausstrahlung in Radio Ö1 (17.04., 19.30 Uhr)
→ zweistündigen Sondersendung in ORF 2 »Der Fall Parsifal« (17.04., 22.00 Uhr)
→ »Matinee am Sonntag«: Portraits von Jonas Kaufmann & Elīna Garanča (18.04., 9.05 Uhr)
→ Gesamtaufzeichnung der Neuproduktion auf ORF.at (18.04., ab 16.00 Uhr) und via TVthek.ORF.at (sieben Tage lang abrufbar)
→ Gesamtaufzeichnung auf ARTE Concert (18.04., ab 14.00 Uhr, 90 Tage lang abrufbar)


Im April hebt sich der Vorhang für die Neuproduktion von Richard Wagners Parsifal. Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme gestaltet Kirill Serebrennikov, der sich als Theater-, Film- und Opernregisseur gleichermaßen einen Namen machte. Als Musiktheaterregisseur beeindruckte er u.a. mit Der goldene Hahn (Bolschoi Theater Moskau), Salome (Staatsoper Stuttgart), Così fan tutte (Opernhaus Zürich) und Nabucco (Hamburgische Staatsoper). Im Kurzinterview gibt er einen Einblick in seine Sicht auf Wagners komplexes Musiktheaterwerk.

Wie sah Ihre Annäherung an Parsifal aus? Gab es einen spontanen Grundgedanken, ein exemplarisches Bild, eine Keimzelle, von der aus Sie Ihre Arbeit entwickelten?

KIRILL SEREBRENNIKOV: Ich sage manchmal, dass ich mir Inszenierungen nicht ausdenke, sondern sie erinnere. Das heißt, mich beschleicht das Gefühl, dass ich das irgendwo bereits gesehen habe – ich meine, tief in mir drin – und sofort entsteht ein Bild. Es hat aber einige Lücken. Und diese Lücken, diese weißen Flecken, schattiere und male ich im Zuge der Arbeit aus. Das ist mit Besonderheiten meiner Arbeit, meines Gedächtnisses und meiner Wahrnehmung verbunden. Ich habe auch das Gefühl, dass ich eine irgendwie festgelegte Anzahl an Geschichten erzählen werde, wie sie wahrscheinlich jedem Regisseur oder Autor zu erzählen gegeben ist. Und danach schreibe ich meine Memoiren. Ich denke, dass es zwischen Schauspiel und Oper weniger Ähnlichkeit gibt als zwischen den Dreharbeiten zu einem Film und der Inszenierung einer Oper, weil im Schauspiel im Grunde genommen ein Stück aus dem Nichts geschaffen wird. Ein Theaterstück ist nichts anderes als schwarze Buchstaben auf weißem Papier. Du betrittst die Probebühne, du führst nichts mit dir und musst ein Theaterstück aus der Luft gebären. Aber bei einer Operninszenierung beginnst du immer mit einem großen Brocken, der Musik heißt. Und du arbeitest mit dieser Musik, die alles Mögliche, jede beliebige Leerstelle ausfüllen kann.

Wagner war fasziniert vom Budddhismus, auch Sie persönlich setzen sich mit dem Buddhismus auseinander – spielt das bei Ihrer Annäherung an das Stück eine Rolle?

KIRILL SEREBRENNIKOV: Ich denke, dass der Buddhismus, für den sich Wagner interessierte und der Buddhismus, für den ich mich interessiere, ganz verschiedene Dinge sind. Erstens bin ich nicht mit der östlichen Version des Buddhismus vertraut, sondern mit seiner europäischen Version. Wagner, soviel ich weiß, interessierte sich für irgendwelche östliche Ausläufer des Buddhismus. Auch das war eine Nacherzählung der Europäer, die dorthin gereist, etwas gehört, etwas erfahren, irgendwelche Informationen eingeholt und darüber Bücher geschrieben hatten. Und dafür interessierte er sich. Er interessierte sich, mit großer Wahrscheinlichkeit, für die Schaffung irgendeiner Metareligion, die alles vereinigt. Und im Buddhismus, als einer sehr alten Lehre, sah er Quellen anderer Religionen, und all dessen, wovon die Menschheit geistlich zehrt. Zudem, muss man hinzufügen, war der Buddhismus am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht so pazifistisch, er rief zu keinem sogenannten Gewaltverzicht auf. Wir wissen, dass Buddhisten damals über Kampfeinheiten verfügten, dass sie Kriege führten, dass sie Kämpfer waren und dass damals eine große Anzahl an Morden und Schlachten um Territorien stattfanden. Das heißt, Buddhisten waren durchaus kriegerische, blutrünstige Kerle. Es ist nur jetzt so, dass Buddhismus für uns ein Zeichen des absolut friedvollen Aufrufs zur Gewaltlosigkeit, zum Humanismus ist. Damals war es nicht ganz so. Und Wagner interessierte im Grunde genommen die Schaffung einer eigenen Religion. Und ich denke, dass das viel, viel interessanter ist. In der Inszenierung, die ich machen werde, möchte ich reflektieren und verfolgen, wie vor aller Augen in eine geschlossene männlichen Gemeinschaft, in unserem Falle ist das ein Gefängnis, etwas geboren wird, was einem neuen Kult, einer neuen Religion, einer neuen Lehre ähnlich ist. 

Das Stück endet mit der »Heilung« von Amfortas’ Wunde – im 2. Akt singt Kundry: »Nie heile mir die Wunde!« In Ihrem Verständnis: Besteht die Rolle der Kunst in der Heilung von Wunden, oder darin, den Finger in unsere Wunden zu legen?

KIRILL SEREBRENNIKOV: Ich denke, dass die Kunst keine Wunden heilt, aber auch kein Salz in die Wunde streut, nicht den Finger in die Wunde legt, son- dern dass die Kunst die Wunde selbst ist. Diese blutende Wunde ist gerade die Kunst, also die Unruhe, der Schmerz, mit einem Wort: die Wunde.

Kurzbiografie Kirill Serebrennikov

Salome an der Oper Stuttgart sowie Il barbiere di Siviglia an der Komischen Oper Berlin waren erste viel beachtete Arbeiten, die Kirill Serebrennikov einem Publikum außerhalb Russlands präsentieren konnte. Zusammen mit Teodor Currentzis erarbeitete er ferner Mysterion und das Benefiz-Projekt Requiem, bei dem er auch als Autor verantwortlich zeichnete. Weitere Opernproduktionen waren Falstaff am Mariinskij-Theater, Le coq d’or am Moskauer Bolschoi, American Lulu bei den Wiener Festwochen, Così fan tutte an der Oper Zürich, Nabucco an der Staatsoper Hamburg. 2020 inszenierte er am Deutschen Theater Berlin seine Bearbeitung von Boccaccios Decamerone. Für sein Filmschaffen wurde er in Cannes 2016 ausgezeichnet. Seine Filme wurden bei den Filmfestivals in Rom, Locarno und Venedig gezeigt. Kirill Serebrennikov brachte nicht nur zahlreiche Klassiker der russischen Literatur auf die Bühne, sondern auch Werke von Shakespeare über Brecht bis hin zum irischen Dramatiker Martin McDonagh. 2011 gründete er in Moskau ein experimentelles Werkstatt-Projekt »Plattform«. Als Künstlerischer Direktor des Studio Seven inszenierte er u.a. Ein Sommernachtstraum und Carrolls Die Jagd nach dem Schnark. Das Siebte Studio wurde Teil des Gogol Centers, dessen künstlerischer Leiter Kirill Serebrennikov von 2012 bis vor Kurzem war. Kirill Serebrennikov wurde 2019 mit der Goldenen Maske für seine Inszenierung des Balletts Nureyew am Bolschoi Theater und für die Inszenierung von Puschkins Kleine Tragödien am Gogol Center ausgezeichnet.