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© Jan Bosch
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Die Musiktheater-Regisseurin MAGDALENA FUCHSBERGER

Sergio Morabito, Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, hat die Arbeit der Regisseurin Magdalena Fuchsberger über mehrere Jahre hinweg verfolgt. Wir veröffentlichen hier eine Reihe von Aufführungsberichten, die in zeitlicher Folge entstanden sind.
 

»SIMON BOCCANEGRA« AM THEATER HAGEN

Die junge österreichische Regisseurin Magdalena Fuchsberger macht derzeit an kleineren und kleinsten Bühnen mit mutigen, dabei handwerklich perfekt gearbeiteten Inszenierungen auf sich aufmerksam (ich hatte 2018 Gelegenheit, ihren klugen Don Pasquale im kleinsten Stadttheater Deutschlands in Neustrelitz zu sehen). Nun also Boccanegra in dem von Budgetkürzungen in seiner Existenz in Frage gestellten Theater Hagen, dem es gleichwohl gelungen ist, eine wackere Sängerriege aufzustellen. Nicht unerwähnt sei, dass ich am 2. Mai 2019 die letzte Vorstellung einer über ein halbes Jahr gestreckten Serie von zehn Vorstellungen sah, mit z.T. monatelangen »Liegezeiten« und ohne Proben dazwischen. Aber Fuchsbergers Engagement, Fantasie und Überzeugungskraft hat die Sänger nicht losgelassen, das war ganz deutlich zu spüren.

Fuchsberger erzählt das Stück als universelle Parabel auf patriarchale Gewaltstrukturen. Die Drehbühne wird zum Machtlabyrinth, das uns mit den vom Stück obsessiv variierten traumatischen Situationen immer wieder neu und immer wieder anders konfrontiert. Maria trägt nicht nur den Namen ihrer verstorbenen Mutter, sie ist deren Wiedergängerin, und ein Marien-Andachtsbild ist es, das zu ihrer Identifikation durch den Vater führt. Als einzige Frau in dieser ausschließlich von Männern bestimmten und handelnden Welt wird sie zum Symbol der Utopie. Maria, das wiedergefundene Kind des Meeres, inspiriert und befähigt Boccanegra allererst zu seiner Friedens-Vision, die er im Finale des 1. Aktes entwirft. Das große »Pace«-Concertato wird mit einfachsten theatralischen Mitteln zum magischen Moment: Der video-animierte Meeres-Wellenschlag, den wir bisher nur durch eine Luke in der Täfelung erblicken konnten, wird auf die gesamte Bühnenfläche projiziert, und der herausgeleuchtete Boccanegra scheint wie vom Kamm der Woge getragen: »... e vo gridando pace, e vo gridando amor!«. Ein Moment des utopischen Transzendierens, ohne den keine Verdi-Aufführung dem Komponisten gerecht wird – in Hagen war er zu erleben.

Furchsberger hat den Mut zu Brüchen und entgeht so den Fallstricken vereinheitlichender narrativer und psychologisierender Lesarten. Ihr gelingt es, jede Situation neu anzusetzen, diese aus sich selbst heraus zu erzählen und die jeweils stimmige theatralische Übersetzung zu finden. Darin ist sie dann sehr subtil, etwa wenn sie den Small Talk, der das einander Erkennen von Vater und Tochter anbahnt (»Dinne, perchè in quest’eremo«) als erotischen Flirt zeigt.

Genau durch diese Kraft, Dinge auch unverbunden nebeneinander stehen zu lassen, gewinnt Fuchsbergers Aufführung eine – bei diesem Stück ja alles andere als selbstverständliche – Stringenz und Kohärenz, die nicht mehr bieder erklären und bebildern muss, weil Stück und Partitur von innen heraus verstanden sind. Ihre von außen gesehen größte Kühnheit, nämlich nicht mit dem Prolog zu beginnen, sondern mit dem dritten, dem Schlussakt, löst sich ganz unspektakulär ein: Nach der Versöhnung der beiden Todfeinde Fiesco und Boccanegra und dem Tod des jüngeren, erfahren wir in einer Rückblende, was vierundzwanzig Jahre zuvor, in der Nacht vor der Wahl Boccanegras zum Dogen von Genua geschah.


»GERADE SEIN UND MENSCH WERDEN: SOPHIE SCHOLL« AM THEATER HEIDELBERG

Am 10. Oktober 2021 konnte ich eine Aufführung dieser Kreation erleben: Ein von Karola Obermüller komponiertes und in Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Ulrike Schumann entwickeltes Stück über die 1943 nach einer Flugblattaktion in der Uni München zweiundzwanzigjährig hingerichtete Widerstandskämpferin. Äußerer Anlass, Sophie Scholls Geschichte ins Heute zurückzuholen, ist ihr hundertster Geburtstag, als Rahmung benutzen die Autorinnen das von Gesinnungsgenossen bejubelte Statement einer »Querdenkerin«, die sich aufgrund ihres aktiven Protests gegen die Corona-Maßnahmen »wie Sophie Scholl« zu fühlen vermeinte. Dieser Vorfall führt eine junge Frau von heute dazu, sich mit der historischen Gestalt zu befassen, in deren Rolle sie dann auch schlüpft. Historische Materialien – Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, Zeitgenossenberichte, Gerichtsakten – werden geschickt collagiert. Die Prägung durch das Elternhaus, den freigeistigen, liberalen Vater und die gläubige Mutter, wird ebenso deutlich wie die Entwicklung der zunächst HJ-und BDM-begeisterten Geschwister Scholl zu bewusst denkenden und dann auch furchtlos handelnden Menschen.

Die Komposition nutzt als wichtige thematische Materialien Schuberts Forellenquintett (über das Sophie Scholl in einem Brief schreibt), das Volkslied »Die Gedanken sind frei« (dessen Melodie die historische Sophie Scholl auf der Blockflöte für ihren wegen regimekritischer Äußerungen inhaftierten Vater an der Gefängnismauer spielte), sowie Luthers »Märtyrerchoral« (als Reminiszenz an das christlich-protestantische Milieu der Mutter, einer ehemaligen Diakonisse). Auch auf textlicher Ebene gibt es einen mit der Mutter verknüpften »Cantus firmus«: die alttestamentarische Episode einer unbeugsamen Mutter, die ihre Kinder an den Tyrannen verliert. Darüber hinaus gibt es in der freitonalen, auch Geräuschklänge integrierenden Partitur Anklänge an den im Nationalsozialismus verpönten Swing. Die Komponistin hat die jeweiligen stimmlichen Vorzüge des Ensembles zu nutzen gewusst, alle fühlen sich vokal ebenso wie szenisch spürbar wohl und agieren entsprechend befreit und engagiert.

Karola Obermüller hat für ein Kammerorchester komponiert, dessen Aufstellung in die Bühnenkonstruktion, die den Orchestergraben überbaut, integriert wurde. Monika Biegler (die auch die Kostüme schuf ) hat Versatzstücke des bürgerlichen Heims der Familie Scholl aufeinandergestapelt, der so geschaffene Bühnen-Turm wird von einem Gipfelkreuz gekrönt und kann bei den Gebirgsausflügen der Familie entsprechend »beklettert« werden; ganz unaufwendig werden weitere Spielräume markiert, z.B. die Gefängniszelle durch eine Kellerleuchte. Ein rechteckiger, aufrecht in den Bühnenraum gehängter Video-Bildschirm dient dazu, das »Heute« einzufangen.

»Ich hatte eine grandiose Zeit dort mit einem Hammerensemble!« schreibt mir die Regisseurin, und in der Tat: Alle sind mit Leichtigkeit, Hingabe und großem Körpereinsatz bei der Sache. Nächstens steht für die junge Österreicherin wieder Hagen an (wo sie ihren vielbeachteten Simon Boccanegra realisierte), mit einer Kombination von Puccinis Suor Angelica und einer Uraufführung. Man sollte sie im Auge behalten. 
 

»SUOR ANGELICA« / URAUFFÜHRUNG
»A ROOM OF ONE’S OWN«, THEATER HAGEN

Beeindruckend, was diesem kleinen Stadttheater am 14. Mai 2022 gelingt: die veritable Uraufführung einer am Haus entwickelten Auftragskomposition in sinnvoller dramaturgischer Koppelung mit einem Puccini-Einakter, beides auf gleich hohem orchestralen, vokalen und szenischen Niveau. Intendant Francis Hüser hat aus Virginia Woolfs gleichnamigem Essay mit Geschick und Leichtigkeit ein dreiteiliges Szenarium extrahiert, indem zunächst »die drei Marys« das Postulat der materiellen Unabhängigkeit der Frau diskutieren, dann mit einem Hochschul-Professor anhand des erfundenen Schicksals von Shakespeares Schwester Judith die Frage erörtern, ob Shakespeares Werke auch von einer Frau hätten geschrieben werden können, und schließlich das Konzept der Androgynität entwerfen, als Voraussetzung eines jeden befreiten künstlerischen Schaffens. Gerahmt werden die drei kurzen Akte durch die in Text und Musik zitierte schottische Ballade The Four Marys über die (fiktive) Hinrichtung der Lady Mary Hamilton, einer königlichen Mätresse, die zur Kindsmörderin wurde. Die 1985 im finnischen Teil Lapplands geborene Komponistin Outi Tarkiainen hat eine handwerklich souveräne Partitur geschaffen, die bei allem unprätentiösem Wohllaut ihrer traditionell eingesetzten Klangmittel erstaunlicherweise niemals anbiedernd, geschweige denn effekthascherisch, sondern in ihrer Luzidität der Transparenz von Woolfs Gedanken- und Phantasieräumen angemessen wirkt. Magdalena Fuchsberger und ihr Team haben im Umgang mit den sehr begrenzten Ressourcen des Hauses einen erstaunlichen Grad szenischer Perfektion erreicht. Die Ausstattung von Monika Biegler, Aron Kitzigs Video-Projektionen, vor allem auch das magische Licht von Martin Gehrke schaffen eine geschliffene szenische Optik, die in ihrer programmatischen Abwendung von allem Trashigen etwas »aus der Zeit gefallen« wirken könnte. Dass dieser Konservatismus aber zukunftsweisende Aspekte aufweist, bewies dann vor allem der zweite Teil des Abends, die Uraufführung. Der Angelica-Einakter hingegen wurde aufgrund seiner dramaturgischen Verknüpfung mit dem Auftragswerk vielleicht ein Stück weit verfehlt. Die Nebeneinanderstellung von Kloster – als Ort des Einschlusses von Frauen – und Woolf’schem »Oxbridge« – als Ort des Ausschlusses von Frauen – ist bestechend, aber sie hat dazu geführt, dass die Suor Angelica als im doppelten Wortsinn »hermetische« Reminiszenz an die Internierung von Frauen im Patriarchat, in einem stilisierten Klosterhof traditionell, ja geradezu historistisch inszeniert wurde. Alle Besonderheiten von Fuchsberger Personenführung sind auch unter den Nonnenkutten, in die das ausgezeichnete Frauenensemble gewandet ist, noch spürbar, aber ausgreifen können sie erst im zweiten Teil, in dem alle Darsteller, auch der außerordentlich engagiert, ja virtuos agierende zwanzigköpfige Chor des Theaters Hagen, in eine befreite szenische Präsenz geführt sind. Nun könnte man sagen: Genau das war die Absicht – nur: die Herausforderung, den Puccini von innen heraus szenisch zu verwandeln und ihn damit der Herrschaft patriarchaler Lesarten zu entziehen (statt diese implizit zu bestätigen) wurde versäumt. Das ästhetische Fragezeichen, das der erste Teil hinterlässt, wurde im zweiten freilich aufgelöst: Die emporgefahrenen Klostermauern geben den Blick auf einen blauen Meeres-Horizont frei, mit ihm werden nach der schwarz-weißen Strenge des Puccini-Einakters weitere Farbakzente gesetzt, die drei Marys sind als Woolf’sche Alter Egos in die Farben von Gisèle Freuds Porträtfotografien der Autorin gewandet, alle Frauen, auch Shakespeares Schwester und die Damen des Chores haben nasse Haare, sicher ein Hinweis auf den Selbstmord der Autorin: Mit Steinen in den Manteltaschen stürzte sich die gute Schwimmerin 1941 in den Fluss vor ihrem Landhaus. Bewundernswert mit welchem Witz und welcher spielerischen Sinnlichkeit die szenische Auflösung des »Opern-Essays« gelingt, wie etwa die Woolf’sche Metapher über die Bergung eines »Gedanken-Fischleins« zu einem brillanten Spiel mit einem schillernden Fisch führt, den eine der drei Marys aus ihrer Aktentasche zieht, und der sich dann im Chor zu einem Fisch-Gedanken-Schwarm vervielfacht.


BRITTENS »SOMMERNACHTSTRAUM« IM STADTTHEATER GIESSEN

Bereits in der Klavierhauptprobe am 6. Februar 2023 kündigte sich ein kleines großes Theaterwunder an: Was Fuchsberger im Verein mit ihrer Bühnen- und Kostümbildnerin Monika Biegler hier geschaffen hat, zeugt von höchstem Stil- und Fingerspitzengefühl: eine wahrhaft traumwandlerisch gewahrte Balance zwischen Abstraktion und Konkretion, stupendem Form- und inhaltlichem Feingefühl, Verzauberung und Verfremdung, Rätselhaftigkeit und zutiefst humaner Bodenhaftung. Hier folgt der ausführliche Premierenbericht vom 11. Februar: Fuchsberger und Biegler haben die Bühne des Stadttheaters Gießen als magischen Raum »ausgespart«: Wenn sich der Eiserne hebt – nachdem sich zu Brittens eröffnenden Streicherglissandi an seiner Tür bereits ein weißes Kaninchen hatte blicken lassen – senkt sich ein schwarzer Fransenvorhang aus dem Schnürboden und begrenzt das Geviert der Bühne. Er reicht seitlich nicht ganz an den Portalrahmen heran, man sieht also die Schar der Elfen, die hinter ihm aufgereiht ist, im Anschnitt, und man sieht auch weiterhin alle auftretenden Akteure stets »wie durchs Unterholz« sich nähern. Die Fransen des Vorhangs können auf die unterschiedlichste Art und Weise gerafft werden, sie stellen eine zugleich spinnwebhaft-fragile wie bedeutungsvolle Schleuse dar, in der sich die Akteure freilich auch verfangen können. An außerhalb des Spielfeldes gestaffelten Gassen sind vertikale »Licht-Ampeln« angebracht, die – einem ebenso schlichten wie raffinierten Beleuchtungskonzept gemäß – unsere Wahrnehmung des anthrazitfarbenen »Nichtraums« immer wieder verzaubern. Die Bühne selbst ist und bleibt leer. Nur gelegentlich rieselt ein sparsamer Goldstaub von oben herab oder eine kleine Dusche aus Seifenblasen (immer, wenn den Akteuren der Saft von Oberons Wunderblume in die Augen geträufelt wird), ganz am Ende ein sanfter Konfettiregen, der angesichts der klug-sparsamen Dosierung aller Mittel zum Ereignis wird. Oder es schwebt ein Stein herab und verharrt auf halber Bühnenhöhe, um wieder zu entschwinden. Weiters spielen fünf schwarze Liegesäcke eine Rolle, deren erster vom Kaninchen für Oberon hereingezogen wird, die andern vier aus dem Schnürboden fallen, wenn Puck am Ende des 2. Aktes den Spuk enden lässt und die vier abgekämpft-übermüdeten Athener – wie auch Titania und ihren Esel – in Schlaf versenkt. Die Handwerker führen für ihre Probe im Athenerwald noch unterschiedliche Klappstuhl-Modelle mit sich, auf denen im 3. Akt das herrschaftliche Publikum Platz nimmt. Damit sind schon fast alle materiellen Koordinaten von Fuchsbergers Spiel aufgezählt, doch halt: Es gibt noch einen Neonschriftzug, άγιον, der wie ein Himmelskörper das Geschehen bescheint (das griechische Wort bedeutet »heilig« und »unrein/verfemt«). Monika Biegler schließt jede naturalistisch-illustrative Reminiszenz an einen Wald aus, kreiert stattdessen eine hermetische »zweite Natur«, die in unserer Fantasie die »erste Natur« des Athener Walds erschafft. Und ja: natürlich ist es die Souveränität, mit der Fuchsberger mit Bieglers Bühnenelementen ebenso wie mit ihren Akteuren und last but not least mit Brittens Partitur im eigentlichen Wortsinne geistreich musiziert, die das Ereignis schafft.

Oberon und Titania treten mit ihrer Elfenschar zunächst in schwarz-elegant-legerer Künstler-Auftrittskleidung auf, später sind sie in paillettenbesetzte Anzüge gewandet, die von Ferne an Eiskunstlaufroben erinnern. Die beiden Liebespaare erscheinen im Seidenhemd unter grünen Unisex-Hosenanzügen, alle tragen auch die gleichen blau-grün schimmernden Absatzschuhe und die gleiche rotbraun-flatternde Haarmähne. Dass Puck mit seinen Liebestropfen den Falschen verarztet, ist nachvollziehbar, die »Athener Tracht« ganz offenkundig kein Alleinstellungsmerkmal. Die Liebesschwüre, die Rivalitäts- und Eifersuchtskämpfe werden durch diese Kostümsetzung wunderbar konterkariert und auf den je eigenen Narzissmus der Verliebten zurückgeführt, der – wir wissen es seit Freud – seinem Spiegelbild ambivalent verhaftet bleibt und sein jeweils Begehrtes oder Verworfenes wahllos projiziert (άγιον!). Verblüffender Weise können wir die Klone aber sehr wohl unterscheiden, denn Körper und Physiognomie der Darsteller treten durch ihre Uniformierung nur umso deutlicher hervor. Die Devise der Verliebten scheint zu lauten: »No sex, please, we are British!« Das Quartett kultiviert statt physischer Annäherung lieber seine blasiert-preziöse Liebesdiktion, ohne dass die Regie sie zur Karikatur werden lässt, ohne je die zugrundeliegenden Nöte der Figuren zu verraten. Überhaupt begeistert, wie Fuchsberger, anders als es heute fast schon selbstverständlich scheint, ihre Ideen nie zu Tode reitet, nie »noch komischer« werden, noch heftiger »aufdrehen«, noch einen blöden Lacher setzen will, sondern ihr innerer Kompass bleibt »connected« mit den Figuren, versteht und erzählt sie in jedem Moment von innen heraus. Mit welchem Geschmack und Witz ist das Sich-Verfehlen von Bottom (mit Esels-Ohren-Kappe und -Gemächt) und Titania erzählt: Leider gelingt kein synchroner Orgasmus, so dass die aphrodisierte Titania selber Hand anlegt, als Bottom schon wieder eingeschlafen ist.

Britten hat den Puck als Schauspielerrolle angelegt. Bei Fuchsberger irrlichtert nun sein Wesen durch alle Figuren hindurch, er kann überall und nirgends sein, mal ist er ein Lüftchen, das im Fransenvorhang spielt, mal meinen wir, ihn im – mit tänzerischer Präzision geführten – weißen Kaninchen zu identifizieren, aber nein, seine Stimme kommt von anderswo, und tatsächlich ist sie auf alle Akteure verteilt, die die Repliken teils auf der Bühne, teils von außen über Mikro einsprechen, in Verbindung mit raffiniert gesetzten Lichteffekten (alle Gewerke, der ganze Apparat von der Tonabteilung bis zum Licht arbeiten mit großer Präzision).

Einziges Fragezeichen, oder richtiger Luxusproblem meinerseits: Hätte man nicht doch besser die Pause nach dem 2. Akt setzen sollen, statt im 2. Akt nach dem Entschlummern von Titania und Zettel/Bottom? Der Grund ist klar, man wollte eine »Überlänge« des 1. Teils vermeiden (und Britten ist sicher von zwei Pausen ausgegangen, die man zu Recht auf eine reduzieren wollte). Aber der Spannungsbogen des 2. Aktes könnte ohne den vorzeitigen Unterbruch noch stärker wirken und würde über die Dauer tragen, scheint mir.

Der 3. Akt umfasst fast nur noch die »Most Lamentable Comedy«, und Fuchsberger/Biegler bieten hier- für nochmals eine ganz eigene Ästhetik auf. Während der Ouvertüre zu diesem »Theater auf dem Theater« hat der bis dato noch nicht eingesetzte rote Samtvorhang des Gießener Hauses seinen großen Auftritt. Als er sich wieder öffnet, ist auf der Bühne ein niedriges Podest entstanden, das von der Handwerkertruppe noch rasch mit einer Bordüre und Blumenschmuck versehen wird. Das Handwerkerensemble hat seit seinem ersten Auftritt durch den Zuschauerraum einen gewissen Realismus in die Hermetik der Veranstaltung getragen, die sechs Figuren sind liebevoll geführt, man folgt jedem einzelnen gern und zugleich verbinden sich die Einzelparcours zu stimmigen Gesamtsituationen. Bei aller Freude ihrer Darbietung an Travestie und Outriertheit geht die Poesie des Abends auch im Rüpelspiel nicht verloren und wird womöglich noch gesteigert.

Man müsste jeden einzelnen Mitwirkenden namentlich würdigen, stellvertretend für das wunderbare Ensemble sei das unter seinem GMD Andreas Schüller strukturiert, tänzerisch pointiert und klangfarblich transparent agierende Orchester genannt, das den Schlussjubel des ausverkauften Hauses ebenfalls von der Bühne aus entgegen nahm.

Text Sergio Morabito Bilder Jan Bosch